91.9 Urteil des Landesgerichts für Strafsachen I Wien (G.Z. Bl. XV 964/27, Vorsitz: Franz Gottfried)

Materialitätstyp:

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Datum: 6. Dezember 1927
Seite von 4

Geschäftszahl Bl XV 964/27UI 403/27

Im Namen der Republik Österreich!

Vor dem Landes-Gericht in Strafsachen Wien I alsBerufungsgericht hat gemäß der die Verhandlung anordnenden Verfügungvom 2.11.1927 am 6. Dezember 1927 unterdem Vorsitz des Hofrates Gottfried im Beisein des Hofrates Dr. Blaschke unddes Hofrates Heidrich des Hofrates Neuwirth als Richterund des J.A. Hanak als Schriftführerin Abwesenheitdes Privatanklägers Karl Kraus in Gegenwart dessenVertreters Dr. Oskar Samek,in Abwesenheit desAngeklagten Oskar Hirth undin Gegen-wart des Verteidigers Dr. Josef Geiringer die Verhandlung über die Berufung des Privatanklägers wegen Nichtigkeitund im Punkte der Schuldgegen das Urteil desStrafbezirksgerichtes I in Wienvom 28. September 1927 stattgefunden. Das Gericht hat über den Antrag des Klagevertreters, derBerufung des Privatanklägers stattzugeben, und den des Verteidigers,sie zurückzuweisen,am 6. Dezember 1927 zu Recht erkannt:

Der Berufung des Privatanklägers wird Folge gegeben und dasUrteil dahin abgeändert, daß der Angeklagte Oskar Hirth schuldigerkannt wird, er habe sich als verantwortlicher Schriftleiterder Zeitung Neues Wiener Abendblatt im September 1927 grundlosgeweigert, die vom Privatankläger Karl Kraus verlangte Berichtigung von in der Nummer 254 der genannten Zeitung vom 17.9.1927 unterder Ueberschrift: „Amnestie?“ mitgeteilten Tatsachen zu veröffent-lichen, er hat hiedurch die Uebertretung nach § 23 und § 24 Absatz2 Pkt. 3 des Pressgesetzes begangen und wird gemäß dieser Gesetzes-stelle zu einer Geldstrafe von zwanzig Schilling, im Nichteinbringungs-falle zu vierundzwanzig Stunden Arrest und gemäß § 389 und § 390aSt.P.O. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens in beiden Instanzenverurteilt.

Gemäß § 24 Abs. 2 Pkt. 3, Abs. 4 und Abs. 6 Pressgesetz wirdderselbe verpflichtet, diese Berichtigung in der nächsten oder zweit-nächsten Nummer obiger Zeitung die nach Zustellung dieses Urteileserscheinen wird, in der im § 23 Pressgesetz vorgeschriebenen Weisezu veröffentlichen, widrigens die genannte Zeitung von dem hienachbestimmten Tage an nicht mehr erscheinen dürfte.

Gemäß § 5 Absatz 2 Pressgesetz haftet die Steyrermühl Papierfabriks-und Verlagsgesellschaft Wien 1. Fleischmarkt 5 für die Geldstrafeund die Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit demVerurteilten.

Gründe.

Hinsichtlich der pressgesetzlichen Verantwortlichkeit des Ange-klagten wird auf die zutreffenden erstrichterlichen Gründe verwiesen.

Es ist zwar richtig, daß die These sich wortwörtlich mitder Stelle des berichtigten Artikels deckt, wie der Berufungswerber behauptet, da diese Stelle lautet: „Vielleicht ein Zeugnis dessen, daß die sozialdemokratischePartei etz. nun schon alle möglichen Bundesgenossenschaften mobili-siert“, während die Antithese die Worte enthält, es ist unwahr, daßHerr Karl Kraus von der sozialdemokratischen Partei als Bundes-genosse mobilisiert wurde. Allerdings wurde aber in den Entschei-dungsgründen behauptet, daß die Antithese keinen vollkommen Gegen-

satz zur These darstelle, in dieser Richtung muss aber dem Berichtigungs-werber beigepflichtet werden, wenn er behauptet, daß sich These undArtikel mit der Antithese inhaltlich decken. Der Artikel spricht, wie sich aus demZusammenhang ergibt, die Vermutung aus, daß Karl Kraus hinsichtlichdes fraglichen Plakates als Bundesgenosse von der sozialdemokratischenPartei mobilisiert wurde und behauptet der Berichtigungswerber dagegen,daß dies nicht der Fall sei, sondern daß der Plan des Plakates dereigensten Initiative des Karl Kraus entsprungen sei ohne daß irgendein außenstehender Faktor, daher auch nicht die sozialdemokratischePartei darauf Einfluß genommen oder auch nur davon Kenntnis erlangthat. Hierin liegt aber die zulässige Berichtigung einer mitgeteiltenTatsache. Wenn der berichtigte Artikel, die Tatsache, daß die Plaka-tierung durch die sozialdemokratische Partei veranlaßt worden sei,in die Form kleidet: „Vielleicht ein Zeugnis dessen daß – mobilisiertso ist dies unentscheidend, dann auch Tatsachen, Mitteilungen,die in die Form einer bloßen Vermutung gekleidet werden, eine be-rücksichtigungsfähige Tatsachen, zumal sonst jede Berichtigungdadurch frustriert werden könnte, daß der Verfasser der Tatsachenmit-teilung beisätze wie: „vielleicht, angeblich, vermutlich, wie wirhören, wie man erzählt“ etz. hinzufügt. Daß aber ein Handeln aus ei-gener Initiative einen Gegensatz bildet zur Mobilisierung durchjemand anderen ist klar, da die Mobilisierung eines anderen inBeweglichmachen desselben, eine Veranlassung desselben, zum Handelnbedeutet, während das Handeln aus eigener Initiative das selbsttätigeHandeln zum Ausdruck bringt und sind übrigens, wie der Oberste Ge-richtshof in der Entscheidung vom 29.5.1925 Os 299/25 zum Ausdruckgebracht hat, nicht nur äußere Tatsachen, sondern auch Ansichten,Absichten, Entschlüsse, Beweggründe und Gesinnungen als innere Tat-sachen der Berichtigung fähig. Die Berufung erscheint daher begrün-det, und war der Angeklagte nach § 24 Z. 2 Pkt. 3 Pressges. schul-dig zu erkennen, da er die Berichtigung grundlos verweigert hat.Die Strafe war nach dieser Gesetzestelle zu bemessen und lag alserschwerend kein Umstand, als mildernd das Geständnis des Tatsäch-lichen und die Unebscholtenheit vor. Die oben verhängte Strafewar dem Verschulden des Angeklagten angemessen.

Der Ausspruch über die Kosten, die Mithaftung vom Eigen-tümer und Herausgeber und die Verpflichtung zur Veröffentlichungstützt sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Wien, am 6. Dezember 1927.Der Vorsitzende: Der Schriftführer:Pollak

KrausHirth 22. Dez 1927