93.6 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U I 404/27, Richter: Landesgerichtsrat Robert Kramer)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 28. September 1927
Seite von 2

Geschäftszahl U I 404/27/3

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressgerichthat heute in Gegenwart des P.A.Vertreter Dr. Oskar Samek und des Angeklagten Dr. Ernst Holzmann über die Anklageverhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus gegenDr. Ernst Holzmann, 46 Jahre alt, verh., verant-wortlicher Schriftleiter der „Wiener Neuesten Nachrichtenwegen der Übertretung nach § 24 (2)3 Pressgesetz erhobenhatte, und über den vom Ankläger gestellten Antrag aufBestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung zur Ver- öffentlichung der Berichtigung in der obgenannten Zeitung zu Recht erkannt:

Dr. Ernst Holzmann ist schuldig, erhabe im September 1927 in Wien als verantwortlicherSchriftleiter der „Wiener Neuesten Nachrichten“ sichgrundlos geweigert, die von Karl Kraus verlangte Berich-tigung von in der Nummer 673 der genannten Zeitung vom18. September 1927 unter der Überschrift „Karl Kraus fordert!“ mitgeteilten Tatsachen zu veröffentlichen.

Er hat hiedurch die Übertretung nach §§ 23 und24 (2) 3 Pressgesetz begangen und wird gemäss diesesGesetzes zu einer Geldstrafe im Betrage von 20.–(zwanzig) Schilling im Nichteinbringungsfalle zu 24Stunden Arrest und gemäss § 389 St.P.O. zum Ersatzeder Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Dr. Ernst Holzmann wird ferner gemäss § 24 (2) 3,(4) und (6) Pressgesetz verpflichtet, diese Berichti-gung in der nächsten und zweitnächsten Nummer der ZeitungWiener Neueste Nachrichten“, die nach Verkündung diesesUrteiles erscheinen wird, in der im § 23 Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffentlichen, widrigenfallsdie genannte Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.

Gemäss § 5 (2) Pressgesetz haftet die „WienerNeueste Nachrichten“ Verlags A.G. als Eigentümerinund Herausgeberin der genannten Zeitung für die Geld-strafe und die Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten

Hand mit dem Verurteilten.

Entscheidungsgründe:

Durch die Angaben des Beschuldigten und dasImpressum ist erwiesen, dass Dr. Ernst Holzmann in derin Betracht kommenden Zeit verantwortlicher Schrift-leiter der „Wiener Neuesten Nachrichten“ war, dass erdas Berichtigungsschreiben vom 19. September 1927 er-halten hat und dass seit Erhalt des Berichtigungsschrei-bens mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung er-schienen sind, ohne dass die Berichtigung veröffentlichtworden wäre. –

Die Verantwortung des Beschuldigten, dass inder Stelle des berichtigten Artikels … „und angeblich… selbst aufklebte“ bloss eine Ansicht irgend jemandeszum Ausdruck gebracht würde, kann nicht als stichhältigangesehen werden, da das Wort „angeblich“ nicht ge-eignet erscheint, dieser oberwähnten Behauptung, dassKarl Kraus Maueranschläge aufklebte, den Charakter einerberichtigungsfähigen Tatsache zu nehmen, sondern nureine Abschwächung, eine schwere Fassbarmachung der Be-hauptung, die als Tatsache angesehen werden muss, dar-stellt.

Die Weigerung des Beschuldigten, die von KarlKraus verlangte Berichtigung zu veröffentlichen, wardaher eine grundlose, weshalb der Beschuldigte zu ver-urteilen war. –

Bei der Strafbemessung kommen als erschwerenddie Vorstrafen wegen Pressdelikten, als mildernd keinUmstand in Betracht.

Die über Dr. Ernst Holzmann verhängte Strafeerscheint daher dessen Verschulden angemessen. –

Die übrigen Aussprüche des Urteiles gründensich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Wien, 28. September 1927.Der Richter: Der Schriftführer:Kramer Dr. Russy m.p.

B. Kosten einbringlich.