99.21 Brief RA Max Hirschberg an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, blauer Stift

Sender

Dr. MAX HIRSCHBERG
KAUFINGERSTRASSE 30
MÜNCHEN, C 7
Datum: 11. Juni 1928
Diktiersigle: 2/H

Empfänger

An: Herrn | Rechtsanwalt Dr. Samek
Schottenring 14
Wien I.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kollege!

In Sachen Kraus gegen Völkischen Beobachter ist die Hauptverhandlung auf neuerlichen Verlegungsantragdes Gegners auf heute, 11. Juni 1928, vorverlegt worden.Ich habe die Verhandlung, welche 2 1/2 Stunden dauerte,durchgeführt. Ich hatte mit freundlicher Mithilfe desHerrn Dramaturgen Heinrich Fischer als Zeugen zur Stellegebracht: Herrn Bruno Frank, Schriftsteller in München,Herrn Dr. Ring, Herausgeber des Kunstwart, Herrn Dr. Steffel,Staatsbibliothekar; der Gegner hatte jedoch keine Zeugenund Sachverständigen mitgebracht, sodaß ich, um eine neuer-liche Terminsverlegung zu vermeiden, auf Vernehmung derZeugen ebenfalls verzichten konnte.

Ich habe auf die ziemlich verworrenen Ausführungendes Beklagten etwas ironisch und im übrigen rein juristischrepliziert, insbesondere wies ich darauf hin, wie dasHakenkreuzlerblatt in Wien 1924 das Traumstück kritisierthat und stellte die masslosen Beschimpfungen des Völkischen

Beobachters dem gegenüber.

Bezüglich der frei erfundenen Tanzszene verteidigteder Beklagte sich damit, daß er in der Aufführung den Tanzvon Valuta und Zinsfuß bei schlechter Beleuchtung so gesehenhabe, wie wenn eine Hure mit einem einbeinigen Soldatentanze. Ich nagelte ihn sofort darauf fest, daß er demnachdas Stück kritisiert hat, ohne es überhaupt gelesen zuhaben.

Das Gericht verurteilte den Beklagten wegenzweier sachlich zusammentreffender Vergehen der Beleidigungzu 2 mal 100 M Geldstrafe und zu sämtlichen Kosten. Dem Privatkläger ist das Recht zugesprochen, innerhalbeiner Woche nach Rechtskraft das Urteil in der für amt-liche Bekanntmachung vorgesehenen Form im VölkischenBeobachter auf Kosten des Beklagten zu veröffentlichen.

Ich warte nunmehr ab, ob der Beklagte Berufungeinlegt, andernfalls werde ich für Veröffentlichung imVölkischen Beobachter und für Einziehung der Kosten sorgen.

Ein Vergleichsversuch wurde weder vom Gericht noch vom Gegner gemacht. Ich habe die Vergleichsfrageselbstverständlich nicht angeschnitten.

Ausser den Münchener Tageszeitungen warendie Frankfurter Zeitung, die Vossische Zeitung und andereBlätter vertreten.

Ich lege Durchschlag dieses Schreibens für HerrnKraus, dem ich meine verbindlichsten Grüsse zu übermittelnbitte, bei.

Mit vorzügl. koll. HochachtungDr. Hirschberg Rechtsanwalt.

KrausVölk. Beobachter 13. JUNI 1928