100.1 Privatanklage von Karl Kraus gegen Johann Schober wegen Ehrenbeleidigung (Strafbezirksgericht I Wien)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 10. März 1928
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 6

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtestrasse Nr. 3,durch:

Beschuldigter: Johann Schober, Polizeipräsident inWien I., Schottenring Nr. 11,

wegen Ehrenbeleidigung

1 fach 1 Vollmacht8 Beilagen

Privatanklage.

Am 24. Februar 1928 fand im Festsaale desNiederösterreichischen Gewerbevereines ein Vortrag des Beschul-digten Polizeipräsidenten Johann Schober statt. In diesembeschäftigte sich der Beschuldigte mit den gegen die Wiener Poli-zei in der letzten Zeit gerichteten Angriffen. Der Beschuldigte sagte, dass der Zweck seines Vortrages sei, in kurzer und ge-drängter Weise ein einigermassen anschauliches, wahres Bild der öffentlichen Sicherheit zu zeichnen, das erheblich abweicht vondem Zerrbild, das einige Blätter und einige Personen zuzeichnen versucht haben. Wenn man die vom Beschuldigten geleiteteBehörde Monate hindurch wider besseres Wissen Tag für Tag verspotte und verhöhne, sie als unfähigste und volks-feindliche Behörde hingestellt habe, dann sei es an der Zeit, dasser als Chef dieser Behörde den Mund auftue … Er sei dies schonseinen Mitarbeitern, allen braven Männern vom VizepräsidentenDr. Pamer angefangen bis zum jüngsten Wachebeamten schuldig …Ferner zitierte er ohne Quellenangabe einen Spruch, der vermutlichvon Rückert stammt, in dem vom „losen Maul“ der Angreifer gespro-chen wird.

Wie aus beiliegenden Heften der „Fackel“Nr. 766–770, 771–776 und Nr. 777 hervorgeht, habe ich in denAufsätzen „Der Hort der Republik“, „Mein Abenteuer mit Schoberund „Das Ereignis des Schweigens“ sowohl in Druckwerken, als auchin einem mündlichen Vortrag heftige Angriffe gegen die Polizeiwegen ihres Verhaltens an dem ereignisschweren 15. Juli, wie auchinsbesondere in der Angelegenheit des wegen Erpressung steck-brieflich verfolgten ehemaligen Herausgebers der „StundeEmmerichBekessy gerichtet und in dieser Angelegenheit den Vorwurf desMissbrauchs der Amtsgewalt, der Lüge, der Fälschung und der Felonieerhoben.

Es liegt also der Verdacht nahe, dass der Be-schuldigte Polizeipräsident Johann Schober, als eine der Personen,welche wider besseres Wissen die von ihm geleitete Behörde ver-

spottet und verhöhnt haben, mich gemeint hat. Insbesondere istdieser Verdacht dadurch gekräftigt, dass die von mir als Grund-lage der Angriffe in dem Aufsatz „Mein Abenteuer mit Schoberveröffentlichten bedenklichen Urkunden der Polizeidirektion Wien von dem namentlich angeführten Herrn Vizepräsidenten Dr. Pamer ge-zeichnet sind. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Worte des Be-schuldigten auch auf mich abzielten, liegt in dem Umstande, dasstags vorher der Vizekanzler Hartleb sichtlich auf Grund der In-formationen des Beschuldigten eine irreführende Darstellung desFalles Bekessy, dessen Erörterung der Polizeidirektion einestarke Verlegenheit bereitet und dem man mit einigen ablenkendenBemerkungen beikommen wollte, im Nationalrat gegeben hat, unddass der Nationalrat Dr. Eisler daraufhin folgende Erklärung ab-gab:

Die Beschuldigung wegen Bekessys ist nicht in der ‚Arbeiter-zeitung ‘ erhoben worden, sondern von einem sehr bedeutendenSchriftsteller, von Karl Kraus. Hier ist nicht die richtige Stel-le, von der aus man sich mit Herrn Kraus auseinandersetzen kann.Herr Schober begebe sich mit dem Herrn Kraus vor den ordentlichenRichter und weise dort nach, dass solche Anschuldigungen unbe-gründet sind. Wenn der Vizekanzler statt von der Leumundsnotedes Herrn Bekessy mit Vorliebe von dem Heimatsrecht gesprochenhat, so sei das ein Versuch, abzulenken …

Die in dieser Rede angeregte gerichtliche Bereinigung der Ange-legenheit ist indessen nicht erfolgt; die subjektive Verjährungs-frist verstrich unbenützt. Der Beschuldigte schien aber doch diemoralische Verpflichtung zu empfinden, in der Angelegenheitirgendwie „den Mund aufzutun“ und so für die in den weitestenKreisen der Oeffentlichkeit gefühlte und bemängelte Unterlassungeine Art Ersatz herzustellen. Die Aktualität des Falles kannkeinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass dem Beschuldigten die Erledigung meiner Angriffe vor allem am Herzen lag.

Es ist gewiss in diesem Zusammenhang auchbezeichnend, dass das Blatt, zu dessen Originalmitarbeitern derBeschuldigte gehört, das „Neue Wiener Journal“, unmittelbar nachden Bericht über seinen Vortrag gerade auf meinen Kampf in

herabsetzendem Sinne Bezug genommen hat. Auch sonst hat dieöffentliche Meinung auf mich als das hauptsächliche Objekt desbeleidigenden Angriffs hingewiesen, so hat das „Kleine Blatt“ am8. März 1928 geschrieben:

Dass eine Polizeidirektion, die öffentlich in Wort undSchrift des Missbrauches der Amtsgewalt,der Begünstigung eines stadtbekannten Erpressers, der Lügeund Fälschung bezichtigt wurde und diese Beschuldigungenauf sich sitzen lassen muss, weil, wie Herr Schober sagte, dieGerichte in Oesterreich nicht verlässlich sind …

Die Behauptung, dass die Angriffe gegen diePolizeidirektion wider besseres Wissen von einem losen Maul erhoben wurden, sind Beleidigungen,besonders schwere in Anbetracht des Umstandes, dass ich geradeder Polizei zum Vorwurf gemacht habe im Falle Bekessy wider bes-seres Wissen vorgegangen zu sein. Wer selbst den Vorwurf der Lügeerhebt, muss umso empfindlicher gegen den Vorwurf der Lüge sein.Die Beleidigung fällt aber besonders schwer ins Gewicht durch denUmstand, dass ich für meine Aeusserungen nicht nur die volle Ver-antwortung übernommen, sondern den Angegriffenen auch zur gericht-lichen Erledigung aufgefordert habe, während sich dieser nichtveranlasst gesehen hat, irgendwelche Schritte gegen mich zu unter-nehmen, sich vielmehr damit ausredet, „dass das Gesetz und dieGeschworenengerichte versagen“, weshalb er sich an das „unvoreinge-nommene Forum“ des Gewerbevereines wende. Ich bin der Ansicht, dassdiese Kritik an Gesetz und Justiz, seltsam genug im Munde einesPolizeipräsidenten, jeder Berechtigung entbehrt, zumal da ihm inmeinem Fall Gelegenheit geboten war, das Gesetz vor dem Bezirksge-richt zur Anwendung zu bringen.

Da ich Vertrauen zu dieser gesetzlichenMöglichkeit einer öffentlichen Aufklärung in so wichtiger Sachehabe, beantrage ich:1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung, Ladung des Beschul-digten und seine Bestrafung;2.) Verlesung der relevanten Stellen aus den Aufsätzen „Der

Hort der Republik“, „Mein Abenteuer mit Schober“, „Das Ereignisdes Schweigens“ und aus den beigelegten Zeitungsnummern;

3.) Ladung und Vernehmung folgender Zeugen über den Tatbestandder inkriminierten Beleidigungena) Bergrat Dr. Otto Böhler, Wien I., Hoher Markt Nr. 8,b) Bundeskanzler Dr. Ignaz Seipel, Wien III., Keiner-gasse Nr. 37 ;c) Hofrat Dr. Bernhard Pollak, Wien VII., WimbergergasseNr. 30,d) Nationalrat Dr. Anton Jerzabek, Wien X., Neusetz-gasse Nr. 7,e) Vizepräsident der Polizeidirektion Dr. Ignaz Pamer,Wien IV., Johann Straussgasse Nr. 18.

Karl Kraus.

Betr. KrausSchober überreicht am 10.3.1928.