103.2 Privatanklage und Strafantrag von Karl Kraus gegen Fränkischer Kurier (verantw. Red. Oskar Franz Schardt) wegen Beleidigung (Amtsgericht Nürnberg)

Materialitätstyp:

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Datum: 24. April 1928
Seite von 4

München, den 24. April 1928

ZumAmtsgericht Nürnberg Strafgericht.

Privatklage und Strafantrag der Rechtsanwälte Dr. Hirschberg,Dr. Ph. Loewenfeld & Dr. L. Regensteiner in München, Kaufingerstr. 30/II namensKarl Kraus, Schriftsteller in Wien,gegenOskar Franz Schardt, verantwort-licher Schriftleiter der periodischenDruckschrift, Fränkischer Kurier,Nürnberg, Rathausplatz 4 wegen Beleidigung.

In Nummer 65 der Zeitung„Fränkischer Kurier“ vom Montag, den 5. März1928 Seite 14 unten, ist ein Artikel unterder Ueberschrift „Antinationaler Skandalin München“ veröffentlicht, der für dasGericht im Original anliegt und in seinemganzen Inhalt zum Gegenstand von Privatklageund Strafantrag gemacht wird. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Person des Privat-klägers und der Aufführung seines WerkesTraumstück“ in den Münchner Kammerspielen,

sowie mit einem Vortragsabend den der Privatkläger in München gehalten hat. Der Privatkläger wird darin als „Pseudowienerbezeichnet, der sich durch die Herausgabe der „Fackel“ undseinen Reklamestreit mit Harden und auch „ansonsten“ sichbekanntgemacht hat. Es wird die unwahre Behauptung aufgestellt,dass der Verfasser seiner pazifistischen Meinung durch Verhöh-nung des deutschen Frontkämpfertums rohen und widerlichenAusdruck gegeben habe. Es wird beschimpfend von dem „kleinenKreise derartiger Literätchen“ gesprochen, in dem sittlichverwerfliche Dinge alle Tage Uebung seien. Es heisst ferneres ist ja bekannt, dass eine Reihe von Vertretern desLiteratur-Bolschewismus syphilitisch verseucht ist“. Es wirdvon Gemeinheit, von Verniggerung und Verspottung deutschenWesens gesprochen und die Frage gestellt, ob die MünchenerKammerspiele den Ruf der Reinlichkeit verlieren wollen.

Der Beklagte ist auf Seite 13 als verantwortlich fürden unterhaltenden Teil, Kunst und Wissenschaft“ aufgeführt,in welchem dieser Artikel Aufnahme gefunden hat.

Der Artikel hebt selbst hervor, dass es ihm um einekünstlerische Würdigung der Aufführung und des Vortragsabendsnicht zu tun gewesen sei.

Der Artikel stellt eine Beleidigung des Privatklägers nach § 185 St.G.B. dar. Die tatsächliche Behauptung, dass derPrivatkläger seiner pazifistischen Meinung durch Verhöhnungdes deutschen Frontkämpfertums rohen und widerlichen Ausdruckgegeben habe, ist, wie der Inhalt des Traumstücks beweist, dasGegenteil der Wahrheit. Er ist geeignet, den Kläger verächtlichzu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.Die Beleidigungen sind öffentlich begangen.

Unter Vollmachtsvorlage und Beifügung eines Exemplarsdes „Traumstück“ erhebe ich namens des Privatklägers gegenden Beklagten wegen des bezeichneten ArtikelsPrivatklage und stelleStrafantrag mit demAntrag,das Hauptverfahren wegen zweier sachlich zusammentreffenderder Beleidigung nach §§ 185, 186 St.G.B., öffentlich verübt,zu eröffnen.

Gemäss § 380 Abs. 4 St.P.O. mit Bekanntmachung vom21.X.26 über den staatlichen Ehrenschutz, G.V.Bl. S. 501beantrage ich, die Vorlage eines Sühneversuchszeugnisses zu erlassen.Der Privatkläger wohnt in Wien. Es kann ihm nicht zugemutetwerden, sich zu einem Sühneversuch nach Nürnberg zu begeben.Ein Sühneversuch wäre vollkommen aussichtslos, da der Privat-kläger mit dem Beklagten sich im Sühnetermin unter keinenUmständen vergleichen wird. Der Privatkläger wird vielmehrzum Schutze seiner öffentlich angegriffenen Ehre auf gericht-licher Austragung bestehen.

Anlagen.

gez. Dr. Hirschberg Rechtsanwalt.

Für die Abschrift:Rechtsanwalt

Fränkischer Kurier KrausSchardt 26./4.28.