112.4 Brief RA Botho Laserstein an Kraus

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Botho Laserstein, schwarze Tinte

Sender

Dr. jur. Botho Laserstein | Rechtsanwalt
Landsberger Allee 55
Berlin NO 18
Datum: DEN 30. Sept. 1928

Empfänger

An: Herrn Karl Kraus
Lützowstraße 76. | Künstlerzimmer, Schwechten-|saal
Berlin W
Seite von 5

Hochverehrter Herr Kraus,

ich habe den Spätnachmittag dazu benutzt, unserheutiges Telefongespräch nochmals eingehend zu durchden-denken, und bin dabei zu folgenden Ergebnissen gelangt:

1. Betr. Kerr-Inserat.Zwischen Ihnen und der Firma Rudolf Mosse, ver-treten durch ihre Zweigannahmestelle, ist ein bindenderund wirksamer Inseratenvertrag / gemischter Werkvertrag /auf einmaligen Abdruck des Kerr-Inserats in der „Literari-schen Rundschau“ des „Berliner Tageblatt“ zu stande ge-kommen. Dieser Vertrag ist auch in keiner Weise anfecht-bar oder nichtig: wegen arglistiger Täuschung nicht, weildas Inserat den Zusammenhang klar erkennen läßt und eine

weitere Aufklärung des Filialsleiters, die zur Ab-lehnung hätte führen können, nach den Verkehrsanschau-ungen nicht erforderlich war, wegen Irrtums nicht, ausden gleichen Gründen, und weil es sich höchstens umeinen rechtlich belanglosen Irrtum im Motiv handelt, wegenSittenwidrigkeit nicht, weil es zulässig sein muß, dieÖffentlichkeit über einen Kritiker auch an der Stelleseines Wirkens aufzuklären. Demnach ist der Verlag Mosse verpflichtet, Ihr Inserat abzudrucken oder Schadensersatzwegen Nichterfüllung des Vertrages zu leisten. Schadens-ersatz können Sie jedoch, da Ihnen ein bestimmter Aufnahme-tag nicht zugesichert, dieses Inserat jenem Wesen nachauch nicht erkennbar an einen solchen gebunden ist, ge-mäß §§ 636, 634, 327, 326 BGB nur verlangen, wenn der Ver-lag trotz Setzung einer angemessenen Nachleistungsfristseiner Verpflichtung nicht nachkommt.

Ich rate daher, falls das Inserat auch am nächstenSonntag nicht erscheint, am Montag, den 3. Oktober 1928,der Inseratenabteilung des Mosse-Hauses folgenden Briefzu schreiben / eingeschrieben! /:

„Ich habe Ihnen am Freitag, den 28. September1928 durch Ihre Filiale … den Auftrag erteilt,ein Inserat betr. Heft 787–794 der Zeitschrift‚Die Fackel‘ in die nächstes Nummer der ‚Literari-schen Rundschau‘ des ‚Berliner Tageblatt‘ aufzu-nehmen, habe aber dieses Inserat weder in der Aus-gabe vom 30. September 1928 noch in der vom 7. Ok-

tober 1923 gefunden. Ich ersuche Sie daher,dieses Inserat spätestens in der Ausgabe derLiterarischen Rundschau‘ vom 14. Oktober 1928zum Abdruck zu bringen. Nach dem Ablauf dieserFrist werde ich die Annahme der Leistung ableh-nen und Schadensersatz wegen Nichterfüllung ver-langen.“

2. Betr. Beleidigungsklage gegen W. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß derVorwurf der Lüge beleidigend ist. Durch die ironischeWendung „Reich der einfachen Lüge“ im Gegensatz zu demvon K. vorgebrachten Vorwurf der Verleumdung wird auchjene Absicht der Beleidigung klargestellt, die zum Aus-schluß des§ 193 StGB erforderlich ist. Daß auch Ihnender Vorwurf galt, wird durch die nachträglichen Briefedes Beschuldigten über jeden Zweifel erhoben.

Der Vorwurf der Lüge kann einmal bedeuten, daß Siedie Äußerung des sterbenden Harden erdichtet haben. Da-gegen können wir durch Pfempfert und die Dame den völligschlüssigen Gegenbeweis führen.

Soweit damit aber gesagt ist, daß der dieser Äuße-rung zu Grunde liegende Vorgang nicht stattgefunden habe,können wir einen m.E. nicht weniger schlüssigen Gegenbe-weis führen. Zunächst einmal wird die Dame bekunden, daßHarden ihr bereits mehrere Jahre vor seinem Tode, als ervon einer Konferenz mit Rheinhardt kam, mitgeteilt,

hat, wie Rheinhardts Bedenken gegen Kerr durch W. zer-stört wurden. Sodann wird durch Zeugnis der beiden Rhein-hardts und ihres Staues vielleicht die Wahrheit zu er-weisen sein, wo durch Vorlage der Original-Kritiken sichschon die hohe Wahrscheinlichkeit des Vorwurfs ergebenhat. Nicht zuletzt wird dann vielleicht auch ein eidliches„ich erinnere mich nicht“ des Bandwurms der geistigenWelt offenbaren, warum es so schön war.

Ausgegangen aber muß von der Zeitungsnotiz werden,der die Briefe nur als Erläuterung dienen, um Berlin-Mitte als sicheren Gerichtsstand zu haben.

Immer bleiben dann die verschiedenen „lügenhaft“und und der offensichtlich zu Ehrenkränkung und Blos-stellung gegenüber Dritten benutzte Vorwurf der Reklame-sucht zur Durchsetzung der Abstrafung, immer aber auchdie große Satire übrig, daß einer, dessen Tantieme amJahresschluß sich danach richtet, wie viele Menschen ihreReklamesucht gegen bare Kasse befriedigt haben, Reklameals etwas Schimpfliches empfindet.

3. Die Beleidigungsklage gegen Müller ist vielleichtnicht mehr erforderlich, da ihr Zweck ja durch 2 völligkonsumiert wird, bestimmt aber bis zu dem Zeitpunkt herauszu-schieben, in dem das Wutgeschwür zum Durchbruch gekommenist.

4. Nicht ganz sicher ist der Ausgang einer Beleidi-gungsklage der Tochter Hardens. § 189 StGB verlangt näm-

nämlich, daß die unwahre Tatsache – Harden habe den Vor-fall erlogen – wider besseres Wissen verbreitet ist. DaW. aber Hauptakteur des Vorfalls ist, wird sein besseresWissen zu unterstellen sein und ihm der Beweis seinesguten Glaubens nicht gelingen. Er könnte sich höchstens in diesem Prozeß darauf zurückziehen, er habe nicht Har-den, sondern die Verbreiter der Äußerung des Sterbenden,die er für erdichtet gehalten habe, angreifen wollen.

Ich stehe Ihnen heute Abend und in den nächstenWochen jederzeit nach Vereinbarung zu mündlichen Rück-sprachen zur Verfügung und bin

in wirklicher VerehrungIhrBotho Laserstein