117.6 Privatanklage von Karl Kraus gegen Der Abend (verantw. Red. Siegfried Klausner) wegen §§ 23, 24 Pr.G.

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 15. Januar 1929
Seite von 4

An dasStrafbezirksgericht IWien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Beschuldigter: Dr. Siegfried Klausner, verantwortlicherSchriftleiter des „Abend“, Wien IX., Universitätsstrasse Nr. 6–8.

wegen § 23, 24 Pr.G. 1 fach1 Vollmacht2 Beilagen.

Privatanklage.

In der Nummer 285 der Zeitung „der Abend“vom 12. Dezember 1928 auf Seite 4 erschien eine Notiz : „KarlKraus und Henri Barbusse an den österreichischen Justizministerin welcher mitgeteilt wurde, dass ich und Henri Barbusse an dasBundesjustizministeriumfolgendes“ Schreiben gerichtet haben:

Die Unterzeichneten, die den Fall des politischen FlüchtlingsMavrak kennengelernt haben, glauben sich verpflichtet,das Wort zu nehmen, und traten an das österreichische Justiz-ministerium mit der Erwartung heran, es werde in einem derFälle, wo die Erfüllung des Auslieferungsbegehrens aufstiefste als Verletzung eines europäischen Begriffes der Mensch-lichkeit empfinden würde, diesem gerecht und jene verweigern.Gez. Karl KrausHenri Barbusse.

Der Wortlaut unseres Schreibens war jedochunrichtig wiedergegeben, der Schluss des Schreibens hatte näm-lich folgenden Wortlaut:

… es werde in einem der Fälle, wo die Erfüllung des Aus-lieferungsbegehrens aufs tiefste als Verletzung eineseuropäischen Begriffes der Menschlichkeit empfunden würde,diesem gerecht werden und jene verweigern.

Ich habe zuerst die Rote Hilfe veranlasst,an die Redaktion des „Abend“ heranzutreten, damit der Druckfehlerrichtiggestellt werde. Als dies nicht geschah, habe ich durchmeinen Anwalt das Ersuchen um Richtigstellung wiederholen lassen.Die Redaktion des „Abend“ antwortete darauf, dass sie nicht inder Lage sei die Richtigstellung abzudrucken, „da der Sinn derErklärung durch den allerdings auch von uns gerügten Druckfehlerin ihrem Sinn nicht entstellt war. Sollte Herr Kraus dennochbesonderen Wert auf den Abdruck seiner Richtigstellung legen, soverweisen wir ihn auf das österreichische Pressgesetz § 23, derihm das Recht einräumt seinen Standpunkt mit Hilfe des WienerStrafbezirksgerichtes durchzusetzen“. Als auch eine weitere Zu-schrift an den „Abend“ erfolglos blieb, habe ich am 5. Jänner 1929durch meinen Anwalt die beiliegende Berichtigung an den verant-wortlichen Redakteur gesendet. Die Berichtigung wurde am 7. Jänner1929 zugestellt, in den Nummern vom 8. und 9. Jänner 1929 ist siejedoch nicht erschienen.

Hiedurch hat der Beschuldigte die Ueber-

tretung nach § 24, Absatz 2, Ziffer 3 begangen.Beweis : Die Nummer 285 der Zeitung „der Abend“vom 12. Dezember 1928, das Berichtigungs-schreiben vom 5. Jänner 1929, weitereKorrespondenz.

Ich stelle daher durch meinen mit bei-liegender Vollmacht ausgewiesenen Anwalt folgendeAnträge:

1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung,2.) Ladung des Beschuldigten,3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens,4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Ver-öffentlichung der Berichtigung,5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Handmit ihm des Herausgebers Karl Colbert, und des Eigentümersund Verlegers „Arbeitsgemeinschaft der Schriftleiter,Verwaltungsbeamten und Hilfskräfte des ‚Abend‘ (VerlagWiener Zeitungen, Ges.m.b.H.)“ sämtliche in Wien IX., Universitäts-strasse Nr. 6–8 zum Ersatz der Verfahrenskosten.

Karl Kraus.

N.S.Mit Rücksicht auf eine Behinderung meines Anwaltes, bitteich den Hauptverhandlungstermin nicht an folgenden Tagen anzube-raumen: 17., 18., 22., 23. und 24. Jänner 1929.

Betr. KrausAbend exp. 1m 15.1.1929.