123.4 Brief Samek an Verlag des Fränkischen Kurier

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

Dr. OSKAR SAMEK | RECHTSANWALT
Schottenring 14
Wien, I.
Datum: 18. Mai 1929
Betreff: Kraus – Fränkischer Kurier II
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: den | Verlag des „Fränkischen Kurier“
Nürnberg
Seite von 4

Ich sende Ihnen noch einmal die Berichtigung mitder Aufforderung zu deren Abdruck und erwidere auf Ihr Schreiben vom4.5. : Dass die 3 Punkte nach dem Wort „zerrissen“ „nach dem deutschenSchriftgebrauch einwandfrei angeben, dass hier einige Verse nichtzitiert sind“, ist unrichtig. Die 3 Punkte wirken hier vielmehr alsdie typischen Stimmungspunkte, die in einem schlechten lyrischenStück an jener Stelle, wo von dem Herzen der Mutter die Rede ist,auch pünktlich stehen würden. Wenn Sie eine Weglassung von Versen, diefür Ihre Beweisführung belanglos sind“, andeuten wollten, so hattenSie nach der Stelle, wo sie erfolgt, etwa eine Zeile Gedankenstrichezu setzen.

Dass „hinsichtlich des von Ihnen über die obszönen Verse ge-machten Werturteils“ in der Berichtigunggar keine Stellung genommenwird, ist richtig. Dies erklärt sich aber erstens daraus, dass einWerturteil nicht berichtigt werden kann, und zweitens daraus, dassselbst wenn dies pressgesetzlich zulässig wäre, der Autor, den dasWerturteil betrifft, sich durch dieses nicht im geringsten berührtfühlt. Es ist jedoch keineswegs richtig, dass lediglich Wert daraufgelegt wird, dass die Verse, die Sie für obszön halten, sich an von

Ihnen zitierten Verse „nicht unmittelbar anschliessen“. Es wird da-mit gewiss nicht zugegeben, dass überhaupt obszöne Verse vorkommen,sondern nur festgestellt, dass die sich unmittelbar anschliessendenVerse, von denen Sie gesprochen hatte, nicht obszön sind. Wieso die-se Feststellung „irrig“ sein soll, erklären Sie mit keinem Wort. Obsie „ absolut nebensächlich“ ist, hat der von Ihrer Behauptung Be-troffene mit demselben Recht zu entscheiden wie Sie. Dass die Aus-legung, die dem Wort „anreihen“ gegeben wird, „gar nicht dem inReichsdeutschland üblichen Sprachgebrauch entspricht“, ist falsch; eswäre denn, dass dieser Sprachgebrauch selbst falsch ist. Jedenfallsist die Logik falsch, mit der Sie das Beispiel „Eine Reihe von Straf-taten“ heranziehen, durch das nicht zum Ausdruck gebracht sei, „dasssich die Straftaten unmittelbar aneinander anschliessen“. Abgesehendavon, dass diese Reihe in sich selbst einen unmittelbaren Anschlussder Straftaten aneinander bedeutet, dient das Beispiel keineswegs derErläuterung. Denn wenn eine solche Reihe auch nur der beiläufige Aus-druck für eine Quantität wäre, so ist Ihnen hier eine Verwechslungdes Aneinanderreihens innerhalb der Reihe mit dem Anschluss dieserGesamtheit an ein vorher Gesetztes passiert. Ob sich die Straftatenunmittelbar aneinanderschliessen oder nicht – sobald sie an eineandere Handlung angereiht sind, sind sie eben alle zusammen oder einevon ihnen an diese unmittelbar angereiht. Es ist also mit Recht fest-gestellt worden, dass die sich anreihenden Verse, die Sie als obszönbezeichnet haben, so und so lauten. Damit ist natürlich keineswegsgesagt worden, dass obszöne Verse vorhanden sind, die sich nicht un-mittelbar anreihen. Der Autor weiss nicht, welche Verse Sie für obszönhalten, und Sie wären wohl auch in Verlegenheit, wenn Sie aufgefordertwürden, solche anzuführen. Wenn Sie etwa die 7 Seiten von jener Stel-le entfernten Verse der „Psychoanalen“ gemeint haben, so wäre Ihnen

vielleicht zu erwidern, dass die Darstellung der Sexualforschereisich vom Standpunkt der deutschvölkischen Kultur weniger als Obszöni-tät erweisen dürfte denn als deren Brandmarkung. Sie würden sich dochwohl auch dagegen verwehren, dass man Ihre Charakterisierung einesAutors, der einem teilweise syphilitisch verseuchten Literaturkreiseangehöre, für eine Obszönität erklärt, wiewohl man da schon mit eini-gem Recht sagen könnte, dass sie eine Schweinerei ist.

Zum Schluss Ihres Schreibens geben Sie sich der optimisti-schen Hoffnung hin, dass der Berichtigungswerber nach Ihrer „Auf-klärung“ „selbst feststellen“ werde, dass sein Berichtigungsersuchendurchaus unberechtigt sei. Sie meinen, es liege „ja auch nicht imInteresse meines Mandanten“, dass aus so kleinlichen und inhaltlichbelanglosen, nur formalen Gründen eine Berichtigung erfolge, „da sichan diese unbedingt ein Kommentar Ihrerseits anknüpfen müsste“, wasmeinem Mandantennicht gleichgültig sein kann“. Hier haben Sie zwarein gutes Beispiel für unmittelbare Aneinanderreihung gefunden, aberSie ahnen gar nicht, wie falsch es wieder in inhaltlicher Beziehungist. Denn wenn es wirklich nicht ausschliesslich Sache meines Mandan-ten wäre, zu entscheiden, was in seinem Interesse liegt, so kann ichIhnen doch die Versicherung geben, dass ihm nichts auf der Weltgleichgültiger ist als der Kommentar, den Sie an seine Berichtigunganreihen. Er hat lediglich ein Interesse an dieser, an der Beseitigungihn betreffender unwahrer Behauptungen, aber nicht das geringste ander Verhütung Ihrer Werturteile, deren Recht Ihnen durch den Zwang derBerichtigung keineswegs genommen wird. Sie scheinen zu glauben, dasser sich dieser ihm drohenden Gefahr nicht bewusst ist, wenn er Sie zu einerBerichtigung auffordert. Er ist sich aber der Rechte, die ihm wie Ihnenin solchem Falle gewahrt bleiben, durchaus bewusst und in der Materie

so bewandert, dass er Sie auf die Möglichkeit aufmerksam machen möchte,Ihren Versuch, ihn von der Geltendmachung eines Rechtes durch Ankündi-gung eines „Kommentars“ abzuhalten, als Nötigung aufzufassen. Wieimmer Sie es nun mit diesem halten mögen, werden Sie hiemit aufge-fordert, die Berichtigung zu veröffentlichen und ein Belegexemplaran mich gelangen zu lassen.

Hochachtungsvoll

1 Beilage.Rekommandiert mit Rückschein.

KrausFränkischer Kurier IIexp. 18/5.29