125.123 Brief Otto Bringezu an Alwin Kronacher

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Otto Bringezu
Frankfurt a.M.
Datum: 10. November 1932

Empfänger

An: Alwin Kronacher
Frankfurt am Main
Seite von 1

Abschrift.

Sehr geehrter Herr Dr. Kronacher!

Leider habe ich Sie, trotz mancher Bemühungen, tele-fonisch nicht erreichen können. Es ist an manchen Tagen wie ver-hext und besonders dann, wie’s scheint, wenn man lieber sprechenals schreiben möchte. So muss ich Sie also brieflich um eineAuskunft bitten, deren – wenn es geht – baldige Uebermittlung mirsehr lieb wäre. Seit einiger Zeit werden von vielen Seiten Gerüchtean mich herangetragen, die davon wissen wollen, dass der Spielplandes Schauspielhauses wieder mit einem Stück belastet werden solle,das seinerzeit im Februar fast zu einem Skandal geführt hätte.Man spricht davon, dass man das Schauspielhaus nötigen wolle, seinenvor Jahren eingegangenen Verpflichtungen gegenüber Karl Kraus undseinen „Unüberwindlichen“ nachzukommen, d.h. wohl, das Stück in öf-fentlicher Aufführung wieder einmal herauszubringen. Wie weit dasSchauspielhaus seinerzeit Verpflichtungen eingegangen ist, und wie-viel der Autor oder der Bühnenvertrieb des Stückes auf die Einhal-tung der Verpflichtungen dringen kann, weiss ich nicht, ich weissja nicht einmal, ob es sich um Tatsachen oder Vermutungen handelt,weshalb ich mich zunächst an Sie, sehr geehrter Herr Doktor, wende.Ich selbst kann es mir ja offen gesagt, nicht denken, dass die In-tendanz des Schauspielhauses das Theater, in seiner heute schonso schwierigen Lage einer solchen Erschütterung aussetzen möchte,wie sie eine abermalige Aufführung der „Unüberwindlichen“ zweifel-los zur Folge haben würde. Wie gross schon nach der ersten Auffüh-rung die Entrüstung, ja die Erbitterung gewesen ist, wird Ihnenja kaum verborgen geblieben sein. Man braucht nicht einmal betontkirchlich gesinnt zu sein, um die Weihnachtsszene als überausgeschmacklos und abstossend zu empfinden. Ich selbst hatte wieder-holt Gelegenheit, mit Frauen und Männern, mit Protestanten, Juden,Katholiken und auch kirchlich Indifferenten – allerdingsin allen Fällen mit, im höchsten Sinne, religiösen und gebildetenMenschen – über diese Aufführung oder besser, das Stück zu spre-chen: die Tatsache, dass hier das religiöse Empfinden weiter Krei-se auf das Empfindlichste verletzt worden sei, wurde von niemandenbestritten, mochten auch in anderen Punkten die Meinungen über denkünstlerischen Wert des Stückes auseinandergehen. Wie sich die Kri-tik in den Tageszeitungen zu dem Schauspiel gestellt hat, wirdIhnen wohl noch in Erinnerung sein; da die Aufführung am 11. Februarwar, findet sie sich in den Ausgaben vom 12.11.

Besser wäre es wohl gewesen, wenn ich diese Angelegen-heit mit Ihnen, Herr Dr. Kronacher, hätte bereden können. Befürch-tungen und Mutmassungen haben ja, wenn man sie so geschriebensieht und liest, ein recht unzartes Gewicht und ich bin beinahesicher, dass es sich bei den Gerüchten mehr um Annahmen als umTatsachen handelt. Immerhin würden Sie mich für eine Antwort – beiGelegenheit – zu Dank verpflichten, damit ich nötigenfalls neuen,an mich gerichtete Fragen mit der richtigen Antwort begegnen kann.

Mit besten EmpfehlungenIhrgez.: Dr. Bringezu.