126.5 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. I U 186/29, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Fritz Oberländer)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift
  • ? Kahlert, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 28. Mai 1929
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 4

1 U 186/29/3

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute inGegenwart des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek, des Angeklag-ten Josef Koller und des Verteidigers Dr. Fritz Oberlän-der über die Anklage verhandelt, die der Privatankläger Karl Kraus gegen Josef Koller, 43 Jahre alt, verheiratet, verantwortlicherSchriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ wegen der Uebertretung nach § 24(2) 3 Pressgesetz erhoben hatte und über den vom Ankläger gestelltenAntrag auf Bestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung zur Veröffent-lichung der Berichtigung in der Zeitung: „Der Tag“ zu Recht erkannt:I. Es wird festgestellt, von der Berichtigung, die der Privatankläger mit Bezug auf den in der Nummer 2282 der Zeitung: „Der Tag“ vom 7. Mai1929 mit der Ueberschrift: „Theaterskandal in Dresden“ abgedrucktenArtikel dem verantwortlichen Schriftleiter Josef Koller dererwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen ließ, ist zu veröffent-lichen

Sie schreiben: „Zwei Akte waren anstandslos gespielt worden,als dem Publikum mitgeteilt wurde, daß Camillo Castiglio-ni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er verkörpertwerden sollte, Einspruch erhoben habe und daßdiesem Einspruch stattgegeben worden sei.Ein Schauspieler trat dann vor die Rampe und erzählte den In-halt des dritten Aktes.“ Die Behauptung, daß dem Publikum mitge-teilt wurde, einem Einspruch des Herrn Castiglioni sei stattge-geben worden, ist unwahr. Wahr ist, daß eine solche Mitteilungdem Publikum nicht gemacht wurde. Wahr ist, daß dem Publikum mit-geteilt wurde, daß eine lebende Person, die sich in einer Figurzu erkennen glaubte, die Veranstalter der Aufführung mit derEinbringung einer einstweiligen Verfügung habe bedrohen lassen,wenn nicht jede Beziehung auf sie eliminiert würde.

Sie schreiben: „Während die Sozialdemokraten applaudierten, be-gannen die Bürgerlichen ein Pfeifkonzert und war-

fen Stinkbomben.“ Diese Behauptung ist unwahr.Wahr ist, daß während der Schauspieler vor die Rampe trat, umdem Publikum die Weglassung des dritten Aktes mitzuteilen, einZuschauer den Namen „Castiglioni“ rief, worauf eine oder zweiPersonen pfiffen und ein Mann eine übelriechende Flüssigkeit ver-schüttete.

Sie schreiben: „Unter allgemeinen Lärm konnte die Vorstellungschließlich doch zu Ende geführt werden.“ Diese Behauptung istunwahr. Wahr ist, daß bei der fortgesetzten Vorstellung an kei-ner einzigen stelle Lärm entstand und die Vorstellung in keinerWeise gestört wurde.

II. Josef Koller wird verpflichtet, diesen Teil der Berichtigung in der nächsten oder zweitnächsten Nummer die nach Verkündigung desUrteiles erscheinen wird in demselben Teil der genannten Zeitung undin der gleichen Schrift, wie die zu berichtigende Mitteilung zu ver-öffentlichen, widrigenfalls die genannte Zeitung nicht mehr erscheinendürfte.

III. Josef Koller wird von der Anklage wegen Uebertretung nach § 23 und § 24 (2) 3 Pressgesetz, angeblich begangen dadurch, daß er als ver-antwortlicher Schriftleiter der genannten Zeitung sich grundlos weige-gerte, die vorerwähnte Berichtigung zu veröffentlichen, gemäß § 259/3St.P.O. freigesprochen.

IV. Der Privatankläger Karl Kraus hat gemäß § 390 St.P.O. die Kostendes Strafverfahrens zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum, bzw. die Angaben des Beschuldigten ist erwiesen,daß Beschuldigter in der in Betracht kommenden Zeit der verantwortlicheSchriftleiter der Zeitung: „Der Tag“ war, daß er das in Betracht kommendeBerichtigungsschreiben vom 13./5.1929 erhalten hat und daß seit Erhaltdesselben mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung erschienen sind,die verlangte Berichtigung aber nicht veröffentlicht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten, dieverlangte Berichtigung zu veröffentlichen, grundlos war.

Das Gericht ist der Ansicht, daß die gegenständliche Berichti-gung in einigen Belangen dem Pressgesetz nicht entspricht.

Entgegen der Einwendung des Beschuldigten kommt dem Privatan-kläger die Stellung eines Beteiligten im Sinne des § 23 Pressgesetz zu, da der Autor eines Theaterstückes ein Interesse an der Aufnahmeseines Werkes seitens der Zuhörer hat.

Die Berichtigung entspricht aber dem Pressgesetz insoferne nicht,als berichtigt wird: „Wahr ist, daß einem solchen Ein-spruch nicht stattgegeben wurde und

Zu dieser Antithese fehlt die bezügliche Behauptung in dem berich-tigten Aufsatze. In dem berichtigten Aufsatze wurde behauptet, daß demPublikum mitgeteilt wurde, daß … Einspruch erhobenund demselben stattgegeben wurde. Es kann daher diesbezüglich ledig-lich berichtigt werden, daß dies nicht mitgeteilt wurde; der Inhaltder Mitteilung aber konnte nicht berichtigt werden.

Weiters ist in der berichtigten Mitteilung nichts enthalten,was den Satz der Berichtigung: „Wahr ist, daß der dritte Akt schonauf die Drohung mit der Einbringung der einstweiligen Verfügung hinausgelassen wurde.“ rechtfertigen könnte.

Es war daher die Berichtigung auch in diesem Belange nichtgesetzesgemäß.

Insoweit der Hergang der Störung berichtigt wurde, entsprichtdie Berichtigung den pressgesetzlichen Bestimmungen, da berichtigtwurde, daß die in dem berichtigten Aufsatze mitgeteilten Störungenin anderer Weise erfolgten.

Da die verlangte Berichtigung – wie früher ausgeführt – auchStellen enthielt, die keine Mitteilung Berichtigung mitgeteilter Tatsachen sind,war der Beschuldigte berechtigt, die Veröffentlichung der Berichti-gung ihrem ganzen Umfange nach abzulehnen, seine Weigerung war nichtgrundlos, weshalb mit einem Freispruch vorzugehen, jedoch gemäß § 24(3) PrG. festzustellen war, was von der verlangten Berichtigung zuveröffentlichen ist und dieser Feststellung gemäß auf Veröffentlich-

chung zu erkennen.

Der Ausspruch über die Kosten stützt sich zur § 390 St.P.O.

Wien, am 28. Mai 1929.Kahlert

Kraus – der „Tag6. JUNI 1929