126.6 Brief Samek an Kraus

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, blauer Stift
  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Sender

DR. OSKAR SAMEK | RECHTSANWALT
Schottenring 14
Wien, I.
Datum: 28. Mai 1929
Betreff: Kraus – Tag.
Diktiersigle: Dr.S./Fa.

Empfänger

An: Herrn | Karl Kraus
Hotel de Saxe
Teplitz-Schönau
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Kraus!

Bei der heutigen Verhandlung wurde derRedakteur des „Tag“ freigesprochen und festgestellt, was von der ein-gesendeten Berichtigung zu veröffentlichen ist und zwar: der zweiteund dritte Absatz vollständig und vom ersten Absatz alles bis aufeinen Satzteil und den letzten Satz. Um Ihnen die Entscheidung, obman berufen soll, zu erleichtern, zitiere ich diesen ersten Absatzund unterstreiche die wegzulassenden Stellen blau.

Sie schreiben: „Zwei Akte waren anstandslos gespielt worden,als dem Publikum mitgeteilt wurde, dass Camillo Castiglioni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er verkörpert werdensollte, Einspruch erhoben habe und dass diesem Ein-spruch stattgegeben worden sei. Ein Schauspielertrat dann vor die Rampe und erzählte den Inhalt des dritten Aktes.Die Behauptung, dass dem Publikum mitgeteilt wurde, einem Einspruchdes Herrn Castiglioni sei stattgegeben worden, ist unwahr. Wahrist, dass einem solchen Einspruch nicht stattgegeben wurde und einesolche Mitteilung dem Publikum nicht gemacht würde. Wahr ist, dassdem Publikum mitgeteilt wurde, dass eine lebende Person, die sichin einer Figur zu erkennen glaubte, die Veranstalter der Auf-führung mit der Einbringung einer einstweiligen Verfügung habe bedrohen lassen, wenn nicht jene Beziehung auf sie eliminiert würde.Wahr ist, dass der dritte Akt schon auf die Drohung mit der Ein-bringung der einstweiligen Verfügung hin ausgelassen wurde.

Der Richter begründete seine Entscheidung damit, dass hiernur zulässig sei, den Inhalt der Mitteilung zu berichtigen, nichtaber überdies den übrigen Tatsachengehalt des falschen Berichtes.

Die Einwendung des Beschuldigten, dass Sie nichtals „Beteiligter“ anzusehen sind, ferner, dass die Berichtigungder Behauptung „Pfeifkonzert“ durch die Mitteilung, dass nur einoder zwei Personen pfiffen, unzuläßig sei, ferner, dass der Berichtigung „dassein Zuschauer den Namen Castiglione rief“ keiner These ent-gegenstehe, verwarf das Gericht.

Ich halte die Entscheidung für unrichtig undwerde rechtzeitig Berufung einlegen, wenn Sie mir nicht telegrafischabsagen. Die Frist läuft am 1. Juni ab.

Mit ergebensten GrüssenDr. Samek