126.9 Ausführung der Berufung

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 14. Juni 1929
Seite von 4

G.Z. 1 U 186/29

An das Strafbezirksgericht I Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3, durch:

Beschuldigter: Josef Koller, verantwortlicher Redakteurdes „Tag“ in Wien IX., Canisiusgasse Nr. 8–10,

wegen §§ 23/24 Pr. G.

1 fach

Ausführung der Berufung.

Gegen das freisprechende Urteil desStrafbezirksgerichtes I in Wien vom 28. Mai 1929, G.Z. 1 U 186/39/3habe ich am 31. Mai 1929 die Berufung wegen vorhandener Nichtig-keitsgründe und wegen des Freispruches erhoben und um Zustellungeiner Urteilsabschrift zum Zwecke der Ausführung der Berufunggebeten. Diese wurde meinem Anwalt am 6.6.1929 zugestellt. Frist-gerecht erstatte ich folgende Ausführung der Berufung.

Ich mache den Nichtigkeitsgrund des § 468, Z. 3 (§ 281,Z. 9a) geltend.

Das Gericht erster Instanz ist der Ansicht, dass die Be-richtigung dem Pressgesetz nicht entspreche und zwar insoferneberichtigt werde: „Wahr ist, dass einem solchen Einspruche nichtstattgegeben wurde und …“, ferner der Satz der Berichtigung:Wahr ist, dass der dritte Akt schon auf die Drohung mit der Ein-bringung der einstweiligen Vertagung hin ausgelassen wurde.Das Gericht erster Instanz kommt zu dieser Entscheidung, weil esannimmt, dass zu dieser Antithese die bezügliche Behauptung indem berichtigten Aufsatz fehle. In diesem Aufsatz sei lediglichbehauptet worden, dass dem Publikum mitgeteilt wurde, dass einEinspruch erhoben und demselben stattgegeben wurde. Es könnedaher lediglich berichtigt werden, dass dies nicht mitgeteiltwurde; der Inhalt der Mitteilung selbst aber könne nicht berich-tigt werden.

Diese Ansicht des Gerichtes erster Instanz ist verfehlt.Wenn der Gegenstand eines Berichtes eine Mitteilung an das Publi-kum ist, so ist es das Recht des Berichtigungswerbers, nicht le-diglich den kurz gefassten Inhalt der Mitteilung bekanntzugeben,sondern auch den wahren Sachverhalt ausführlich darzustellen, be-sonders, wenn der unwahre Bericht es erfordert, denn der Inhaltder Mitteilung an das Publikum muss nicht immer so ausführlichgewesen sein, dass schon durch die Entgegenstellung der Sachver-halt einwandfrei dargestellt wird. Bei der vorliegenden Berichti-gung ist dies auch der Fall. Wenn der Mitteilung, dass „Camillo

Castiglioni gegen die Verwendung einer Figur, durch die er ver-körpert werden sollte, Einspruch erhoben habe und dass diesemEinspruche stattgegeben worden sei“, lediglich die Berichtigung entgegengesetzt wird, dass eine solche Mitteilung dem Publikumnicht gemacht wurde, sondern „nur die Mitteilung, dass eine le-bende Person, die sich in einer Figur zu erkennen glaube, dieVeranstalter der Aufführung mit der Einbringung einer einstweili-gen Verfügung habe bedrohen lassen, wenn nicht jede Beziehungauf sie eliminiert wurde“, so bleibt für den Leser noch immer dieFrage offen, ob nicht einem Einspruche stattgegeben würde, wenndies auch dem Publikum nicht mitgeteilt worden ist. Der Be-richtigungswerber hat nun aber ein Interesse daran, nicht nurlediglich die Mitteilung zur Kenntnis des Lesers zu bringen, son-dern auch den falschen Eindruck zu zerstören, der aus der falschenMitteilung trotz der Gegenüberstellung seiner eigenen Mitteilungnoch immer zurückbleibt. Zu diesem Zwecke muss er das Recht haben,in der Berichtigung mitzuteilen, dass ein solcher Einspruch nie-mals erhoben worden ist, sondern dass schon die Drohung mit derEinbringung einer einstweiligen Verfügung hin die Auslegung desAktes bewirkt hat.

Ich möchte dies an einem einfacheren Beispiel darstellen.Angenommen, in einer Zeitung wurde veröffentlicht, Herr N. habemitgeteilt, er habe sich mit Frau XY verheiratet. Es muss HerrnN. das Recht zustehen, nicht nur zu berichtigen, dass er einesolche Mitteilung niemals gemacht hat, sondern eventuell auch,dass er mit Frau XY bereits seit fünf Jahren verheiratet sei.der Oberste Gerichtshof hat zu wiederholten Malen entschieden,dass es das Recht des Berichtigungswerbers ist, eine genaue Dar-stellung des Sachverhaltes den Lesern zur Kenntnis zu bringen.Man kann nicht eine Berichtigung lediglich auf These und Antithesezuschneiden. Nur eine unsachliche Erweiterung müsste dem Berich-tigungswerber abgesprochen werden. Dass einem Teil seiner Berich-tigung eine These nicht entgegen steht, ist ein solcher Grundnicht, wenn die weitere Ausführung eine zum Verständnis des Sach-verhaltes notwendige Ergänzung der Antithese darstellt.

Ich beantrage daher das angefochtene Urteil abzuändern,den Beschuldigten zu bestrafen, auf vollständige Veröffentlichungder Berichtigung zu erkennen und dem Beschuldigten und zur un-geteilten Hand mit ihm den Herausgeber und Eigentümer des „Tag“Verlag A.G. Wien IX., Canisiusgasse 8–10 zum Ersatz der Kostenzu verurteilen.

Karl Kraus.

Tag.exp. 14./6.29