137.2 Brief Samek an Neues Wiener Journal (verantw. Red. Desiderius Papp)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Frieda Wacha, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 16. September 1929

Empfänger

An: den verantwortlichen Redakteur | des Neuen Wiener Journals | Desiderius Papp
Biberstr. 5
Wien I.
Seite von 2

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus, Herausgebers der Fackel,verlange ich mit Berufung auf den § 23 P.G. die Aufnahme der folgendenBerichtigung der in dem Artikel „Genossen unter sich! Der Kniefall vorSchober“, Nr. 12858 vom 8. September 1929, enthaltenen, meinen Mandan-ten betreffenden unwahren Behauptungen.

Sie schreiben: „Die sozialdemokratischen Führer haben tatsächlichbedingungslos kapituliert. Kapituliert aber haben mit ihnen die publi-zistischen Führer der Marxistenpresse, die gewissenlosen ‚Mörder‘-Ruferder ,Arbeiter-Zeitung‘, des ,Abend‘ und des ,Kleinen Blattes‘. Kapitu-liert hat schließlich das rote Revolverschmöckchen Karl Kraus, der sichin den Großkampftagen gegen Schober an die Rockschösse der marxistischenVerleumder hing, aber sehr bald schon, als er in einen publizistischenWettstreit mit dem Steinhofer ‚Goldfüllfederkönig‘ geriet, unter unge-heurer Heiterkeit der Öffentlichkeit aus der Schlachtarena schlich.

Es ist unwahr, daß Karl Kraus kapituliert hat. Wahr ist, daß KarlKraus nicht kapituliert hat. Es ist unwahr, daß er sich in den Groß-kampftagen gegen Schober an die Rockschösse der marxistischen Verleum-der hing. Wahr ist, daß er seinen Kampf gegen Schober ohne jede Verbin-dung mit den sozialdemokratischen Führern und später in Gegnerschaftgegen diese geführt hat. Es ist unwahr, daß er in einen publizistischenWettstreit mit dem Steinhofer „Goldfüllfederkönig“ geriet. Wahr ist,daß er niemals in einen solchen publizistischen Wettstreit geraten ist.Es ist unwahr, daß er sehr bald schon unter ungeheurer Heiterkeit derÖffentlichkeit aus der Schlachtarena schlich. Wahr ist, daß er niemalsaus der Schlachtarena geschlichen ist; wahr ist, daß er den Kampf gegenSchober in sämtlichen Heften der Fackel, von dem Aufsatz „Der Hort derRepublik“ (Nr. 766–770, Oktober 1927), der Publizierung der Aktenzum Fall Bekessy in „Mein Abenteuer mit Schober“ (Nr. 771–776) und demAufsatz „Das Ereignis des Schweigens“ (Nr. 777) bis zu dem AufsatzPflicht“ (Nr. 811–819, August 1929), fortgesetzt hat, wie auch insämtlichen seit damals in Wien, Deutschland, der Tschechoslowakei undParis gehaltenen Vorlesungen aus eigenen Schriften und in sämtlichenseit damals im In- und Ausland gehaltenen Vorträgen der Werke Offen-bachs und Nestroys, insbesondere der von ihm bearbeiteten „Briganten“,

im Dialog und in Zusatzstrophen, ferner durch das im Mai 1928 erschiene-ne, im In- und Ausland vorgelesene und im Ausland aufgeführte Nach-kriegsdrama „Die Unüberwindlichen“ wie durch das als Sonderdruck erschie-nene „Schober-Lied“, welches er in Wien und in den Städten Berlin,Dresden, Gablonz, Hamburg, Karlsbad, München, Neu-Strelitz, Prag, Teplitz zum Vor-trag gebracht hat.

Sie schreiben: „Man wird sich an sein kindisches Plakat erinnern,das lautete: ‚Herr Schober! Ich fordere Sie auf, zurückzutreten!‘

Es ist unwahr, daß das Plakat so gelautet hat. Wahr ist, daß esgelautet hat: „An den Polizeipräsidenten von Wien Johann Schober. Ichfordere Sie auf, abzutreten.