147.5 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. U 8/31, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Robert Ticho)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 20. Januar 1931
Seite von 6

1 U 8/313

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht istheute in Gegenwart des Privatanklagevertreters Dr. OskarSamek, des Angeklagten Josef Koller im Nichteinbringungsfalle zu 24 Stunden Arrest und gemäss

§ 389 St.P.O. zum Ersatze der Kosten des Strafver-fahrens verurteilt.

Josef Koller wird ferner gemäss§ 24(2)3, (4) und (6) Pressgesetz verpflichtet, dieseBerichtigung in der nächsten oder zweitnächsten Nummerder Zeitung „Der Wiener Tag“ die nach Verkündigung diesesUrteiles erscheinen wird in der im § 23 Pressgesetz vor-geschriebenen Weise zu veröffentlichen, widrigenfalls diegenannte Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.

Gemäss § 5(2) Pressgesetz haftet „DerTag“ Verlag A.G. als Eigentümer und als Herausgeberder genannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kostendes Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem Ver-urteilten.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum bezw. dieAngaben des Verteidigers und des Beschuldigten isterwiesen, dass Beschuldigter in der in Betracht kommendenZeit der verantwortliche Schriftleiter der Zeitung „DerWiener Tag“ war, dass er das Berichtigungsschreiben vom24. Dezember 1930 erhalten hat und dass seit Erhaltdes Berichtigungsschreibens mehr als zwei Nummern dergenannten Zeitung erschienen sind, die verlangte Be-richtigung aber nicht veröffentlicht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, obdie Weigerung des Beschuldigten, die verlangte Berichtigungzu veröffentlichen, eine grundlose war.

Der Beschuldigte hatte eingewendet, dieBerichtigung deshalb nicht veröffentlicht zu haben, da sienach seiner Meinung in mehreren Punkten dem Pressgesetz

nicht entsprochen habe. Die These des 1. Punktes,die lediglich lautet: „Diese Behauptung ist unwahr.“ bringein dieser Fassung nicht zum Ausdruck, welche der vorherzitierten Stellen des berichtigten Artikels der Berichtigungs-werber als unwahr bezeichnen wolle;auch sei lediglich die Möglich-keit gewesen zu berichtigen, dass der Inhalt der Ehren-beleidigungsklage Dris. Pisk gegen Karl Kraus ein anderergewesen. Die Behauptung der Antithese des 2. Punktessei kein richtiger Gegensatz zu den Behauptungen des Artikels,insbesonders deswegen, weil der Berichtigungswerber dasGegenteil dieser Antithese „laut nunmehr vorliegendemProtokoll“ behaupte, dieses „Protokoll“ im Artikel aber nicht erwähnt sei. Es sei auch überflüssig, inder Antithese des 3. Punktes anzuführen, was der Berichtigungs-werber in Breslau getan habe (einen Offenbach-Vortrag gehalten), da hiemit kein Gegensatz zu einer Be-hauptung des Artikels aufgestellt wurde.

Das Gericht konnte diesen Einwendungendes Beschuldigten keine Berechtigung zuerkennen.

Der Berichtigungswerber zitiertim 1. Punkt eine Stelle des berichtigten Artikels, in derbehauptet wird, dass der Berichtigungswerber nach demVortrag einer Zeitstrophe, die sich „gegen die sozial-demokratische Presse richtete“, einige Worte, die in demZitat auch angeführt werden („Aber in einigen Tagen …sondern Offenbach.“) gesagt habe. Nach Ansicht des Gerichtes ist dieser Berichtigungspunkt, in welchem die ebenzitierte Behauptung des Artikels als unwahr bezeichnet undgegenübergestellt wird, dass der Berichtigungswerber nicht

die im Artikel angeführten, sondern andere Wortegesprochen und weiters, dass Karl Kraus nicht vor,sondern nach diesen Worten eine Strophe vorgetragenhabe, vollkommen gesetzgemäss. Dass die angeführten WorteKarl Kraus lediglich nach Inhalt der Klage Dr. PiskKarl Kraus gesprochen hatte, ist nicht massgebend; da diebeteiligte Person berechtigt ist alles zu berichtigen wassie betrifft und zwar ohne Unterschied, ob eine Tatsachevom Artikelverfasser oder von jemand anderen behauptetworden ist.

Im 2. Punkte wird eine Behauptungdes Artikels, dass der Verteidiger des Prozesses, über dender Artikelschreiber berichtet, unter Beweis gestellthabe, dass Piskfür die Berliner Börsen-Zeitung, einebürgerliche, mehr rechts stehende Zeitung schreibe,“ alsunwahr bezeichnet und in der Antithese demgegenüber be-hauptet, der Beweis des Verteidigers sei dahin gegangen,dass PiskMitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung sei, dieauf der äussersten Rechten stehe. Es ist in diesen Wortender Antithese ein genügender Gegensatz hinsichtlich derbehaupteten Richtung des Blattes aufgestellt. Es istallerdings richtig, dass die Aufnahme der Worte „lautnunmehr vorliegendem Protokoll“ in die Antithese nichtnotwendig war; mit Rücksicht aber auf die geringe Zahl undden geringen Umfang dieser wenigen Worte konnte derverantwortliche Schriftleiter aus diesem Grunde die Ver-öffentlichung der Berichtigung berechtigter Weise nichtverweigern.

Die These des 3. Punktes bezeichnet es alsunwahr, dass der Berichtigungswerber sich an dem bestimmten

Tage in Berlin befunden habe. Es ist dieser These eineentsprechende Antithese gegenübergestellt, wenn be-hauptet wird, dass sich der Berichtigungswerber in Breslau befunden habe. Es war zwar nicht notwendig, dassin der Antithese angeführt werde, dass der Berichtigungs-werber in Breslau einen Vortrag gehalten habe. Das Gerichtist jedoch der Ansicht, dass es dem Sinne des Pressgesetznicht entsprechen würde, wenn der verantwortliche Schrift-leiter wegen der Aufnahme von einigen wenigen, wennauch überflüssigen Worten in eine sonst dem Gesetz ent-sprechende Berichtigung die Veröffentlichung dieser Be-richtigung mit Grund verweigern dürfte.

Da nach dem Vorgesagten die ver-langte Berichtigung dem Gesetz entsprach, war die Weigerungdes Beschuldigten, diese Berichtigung zu veröffentlichen,eine grundlose.

Da sohin der Tatbestand der Ueber-tretung nach § 24(2) 3 Pr.G. gegeben war, war mit einemSchuldspruch vorzugehen.

Bei der Strafbemessung kam keinUmstand als erschwerend oder als mildernd in Betracht.

Die über den Beschuldigten verhängte Strafe erscheint seinem Verschulden angemessen.

Die übrigen Aussprüche des Urteilesgründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Wien, am 20. Jänner 1931.Kahlert

KrausDer Wiener Tag24. JAN. 1931