154.6 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien (G.Z. 1 U 32/31, Richter: Christoph Höflmayr, Verteidiger: Oswald Richter)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 17. Februar 1931
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 6

1 U 32/313

Im Namen der Republik!

Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als Presse-gericht ist heute in Gegenwart des Privatanklagevertre-ters Dr. Oskar Samek, in Abwesenheit des AngeklagtenDr. Oskar Pollak und in Gegenwart des VerteidigersDr. Oswald Richter über die Anklage verhandelt worden,die der Privatankläger Karl Kraus gegen Dr. OskarPollak, 37 Jahre alt, verheiratet, verantwortlicherSchriftleiter der „Arbeiter-Zeitung“ wegen der Ueber-tretung nach § 24 (2) 3 Pr.G. erhoben hatte.

Ueber den vom Ankläger gestellten Antrag aufBestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung zurVeröffentlichung der Berichtigung in der ZeitungArbeiter-Zeitung“ hat das Gericht zu Recht erkannt:

Dr. Oskar Pollak ist schuldig, er habe im Februar1931 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter derZeitung „Arbeiter-Zeitung“ sich grundlos gewei-gert, die von Karl Kraus verlangte Berichtigung vonin der Nummer 16 der genannten Zeitung vom 16. Jänner1931 unter der Ueberschrift „Eine Klage gegen dieBerliner Volksbühne“ mitgeteilten Tatsachen zu ver-öffentlichen.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach §§ 23 und24 (2) 3 Pr.G. begangen und wird gemäss § 24 (2) 3Pr.G. zu einer Geldstrafe im Betrage von 100 S

Schilling einhundert,im Nichteinbringungsfalle zu 48 Stunden Arrest und gemäss§ 389 St.P.O. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrensverurteilt.

Dr. Oskar Pollak wird ferner gemäss § 24 (2), 3 (4) und (6) Pr.G. verpflichtet, diese Berichtigung in dernächsten oder zweitnächsten Nummer der Zeitung „Ar-beiter-Zeitung“, die nach Zustellung dieses Urteileserscheinen wird, in der im § 23 Pr.G. vorgeschriebenenWeise zu veröffentlichen, widrigenfalls die genannteZeitung nicht mehr erscheinen dürfte.

Gemäss § 5 (2) Pr.G. haftet die Sozialdemokra-tische Arbeiterpartei Deutschösterreichs als Eigen-tümerin und der Verlag der Arbeiter-Zeitung: Dr.Adler Emmerling als Herausgeber der genannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kosten des Strafverfahrenszur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.

Entscheidungsgründe:

Durch das Impressum beziehungsweise die Angaben desVerteidigers ist erwiesen, dass Beschuldigter in derin Betracht kommenden Zeit der verantwortlicheSchriftleiter der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ war,dass er das Berichtigungsschreiben vom 6. Februar 1931 erhalten hat und dass seit Erhalt des Berichtigungs-schreibens mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nichtveröffentlicht wurde.

Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung desBeschuldigten, die verlangte Berichtigung zu veröffent-

lichen, eine grundlose war.

Der Verteidiger hatte eingewendet, dass dieBerichtigung in mehrfacher Hinsicht dem Pressgesetznicht entsprochen habe und zwar gehe es nicht an,dass die Behauptung der These „… das behauptetworden war, das Werk … aufgenommen worden.im 1. Punkte mit den Worten der Antithese „… dassvom Kläger Karl Kraus lediglich behauptet wurde, dass …berichtigt werde, da im Artikel keineswegs gesagt wurde,es hätte Karl Kraus eine Behauptung aufgestellt.

Das Gericht hat jedoch dieser Einwendung keineBerechtigung zuerkennen können. Der Artikel berichtetüber einen Prozess des Privatanklägers Karl Kraus gegen die Berliner Volksbühne wegen der Aufnahmeeines Stückes des Privatanklägers in den Spielplandieser Bühne. Der Artikel führt ferner das Urteildieses Prozesses an und teilt mit, dass „die Volks-bühne gegen das Urteil Berufung einlegen wird, da sienicht …, wie behauptet worden war, aus Rück-sichtnahme auf die österreichische Gesandtschaft… das Stück nicht … aufnahm, sondern …“. Es ist wahrscheinlich, dass diese „Be-hauptung“ von einer Prozesspartei und zwar von derGegenpartei der Berufungswerberin im Prozessverlaufevorgebracht wurde. Es kann sohin dem Berichtigungs-werber das Recht nicht genommen werden, in derBerichtigung mitzuteilen, wer „behauptet“ hat undanzuführen, was von ihm „behauptet“ wurde.

Weiters wendete der Verteidiger ein, dass dieWorte des 1. Punktes „… auf Intervention der österreichischen Gesandtschaft …“ keinen

Gegensatz, sondern eine Bestätigung der im Artikel gebrauch-ten Worte „… aus Rücksichtnahme auf die österrei-chische Gesandtschaft …“ darstellten.

Das Gericht findet jedoch, dass der Berichtigungs-werber das Wort „Rücksichtnahme“ keineswegs mit„Intervention“ berichtigen wollte, diese Behaup-tungen daher auch keinen Gegensatz bilden sollen.Der Berichtigungswerber stellt vielmehr der Mittei-lung des Artikels, dass „behauptet worden war, dassu.s.w.“ entgegen, was der Privatankläger tatsäch-lich behauptet habe. Es ist der Gegensatz auf „wiebehauptet worden war“ und „vom Kläger Karl Kraus lediglich behauptet worden“, aber nicht auf „Rück-sichtnahme“ und „Intervention“ zu legen.

Der Verteidiger hatte ferner eingewendet, dassdie Antithese Tatsachenbehauptungen enthalte, dienicht überprüfbar seien und dass der Schluss desBerichtigungsschreibens keine Berichtigung, sonderneine Polemik darstelle.

Das Gericht konnte auch dieser Einwendung keineBerechtigung zuerkennen. Der Artikel führt an, dassdas Stück deshalb nicht aufgeführt werden konnte, weildie Beteiligung eine zu geringe war. Der Berichtigungs-werber stellt demgegenüber die Behauptung auf, dass251 Karten verkauft waren, dass an der Kassa gegen100 Mark eingenommen waren, dass ein Plakat erschien,das den aussergewöhnlichen Erfolg ankündigte unddass die Absetzung des Stückes vom Spielplan nichtauf zu geringe Beteiligung, sondern auf eine Inter-vention der österreichischen Gesandtschaft zurück-zuführen sei.

Das Gericht findet, dass diese Behauptungender Antithese überprüfbare Tatsachenbehauptungen sind,die ein entsprechender Gegensatz zu der Artikel-behauptung und keine Polemik sind.

Es war sohin nach dem Vorgesagten die verlangteBerichtigung in allen Punkten dem Gesetze völligentsprechend und die Weigerung des Beschuldigten,diese Berichtigung zu veröffentlichen, eine grund-lose.

Da somit der Tatbestand der Uebertretung nach§ 24 (2) 3 Pr.G. gegeben war, war mit einem Schuld-spruch vorzugehen.

Bei der Strafbemessung waren die Vorstrafen er-schwerend, als mildernd kam kein Umstand in Betracht.

Die über den Beschuldigten verhängte Strafe er-scheint sohin seinem Verschulden angemessen.

Die übrigen Aussprüche des Urteiles gründen sichauf die bezogenen Gesetzesstellen.

Wien, am 17. Feber 1931.

Kahlert

KrausArb. Ztg. IX.26. FEB. 1931