158.1 Brief Heinrich Fischer an die Direktion der Oper am Platz der Republik

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, schwarze Tinte

Sender

Heinrich Fischer
Schiffbauerdamm
Berlin
Datum: 31. März 1931

Empfänger

An: die | Direktion der Oper am Platz der Republik
Platz der Republik
Berlin
Seite von 3

A) col 1

Sehr geehrte Herren!

Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus mache ichSie vorsorglich auf folgendes aufmerksam:

Es ist Herrn Karl Kraus zu Ohren gekommen, dass Sie dieAbsicht, oder mindestens den Wunsch haben, der Meinung von Zeitungsleu-ten, es müssten Streichungen im Dialog vorgenommen werden, entgegen zukommen. Abgesehen davon, dass Herr Karl Kraus die Theaterwidrigkeitjournalkritischer Existenzen generell annimmt, wird sie in dem vorliegen-den Falle evident durch die plane Ignoranz oder Böswilligkeit, die die Unzu-länglichkeiten der technischen Bewältigung (übergrosse Pausen und Licht-pause vor dem 5. Bild sowie Tempoverschleppungen an manchen Stellen desDialogs) dem Verfasser des deutschen Textes zuschiebt, welcher quantita-tiv nachweislichermassen zwei Drittel des französischen Originaltextesumfasst und geistig gesehen seine Funktion für die musikdramatische Wir-kung mit äusserster szenischer und sprachlicher Konzentration erfüllt.Nur völlige Theaterfremdheit könnte nach der Meinung des Herrn Karl Krausim vorliegenden Falle die Heilung eines szenischen Uebels von einer Kür-zung der Quantität erwarten. Sollten Sie gleichwohl entschlossen sein,ohne Zustimmung des Autors die Weglassung auch nur eines einzigen seinerSätze vorzunehmen, deren jeder für die musikdramatische Wirkung gewicht-

mässig unentbehrlich ist und ohne den die diese Wirkung, auf welche es auchdem Textverfasser ausschliesslich ankommt, schwer gefährdet wird, so wür-de der Autor seine durch Judikatur des Oberschiedsgerichts prinzipielleund durch seinen Vertrag mit dem Verleger speziell gesichertes Recht aufvöllige Unversehrtheit des Textes mit allen juristischen Mitteln wahrenund Sie für den ihm entstehenden ideellen und materiellen Schaden vollverantwortlich machen.

Bitte bis hieher zu setzen!

Herr Karl Kraus hätte selbstverständlich Ihnen alles daspersönlich auseinander setzen können, wenn nicht gewichtige Gründe gesell-schaftlicher Natur es ihm unmöglich gemacht hatten. Seine am Abend derPremiere unverblümt geäusserten Zweifel an dem Erfolg sind, wie er heuteohne weiteres zugibt, bloss aus der unglücklich isolierten, der Resonanzder Parkettwirkung verschlossenen Lage der Logenplätze zu erklären. Seinepersönlich abweisende Haltung dagegen, deren Gründe, solange die Zusammen-arbeit nicht vollendet war, im Interesse dieser nicht berührt werden konn-ten, bleibt aufrecht, bis eine angemessene Aufklärung erfolgt. Die Aner-kennung, die von massgebender direktorialer Seite an dem Abend der Erstauf-führung erfolgte, reicht nicht hin, die so begeistertem Dank flagrant wider-sprechende Tatsache aus der Welt zu schaffen, dass nebst allen Versuchen,den Autor von der ihm vertraglich zugesicherten Wortregie fernzuhalten undnebst der Bagatellisierung seines Anteils in jeder Form der Publizierungbis zum Nonpareille der vereinbarten Formel ihm die Aeusserungen dreierdirektorialer Faktoren bekannt geworden sind, die ihn nicht – wie am Abendder Premiere – als Förderer, sondern in gehässigster Tendenz und Form alsStörer der künstlerischen Arbeit bezeichneten, den man gegebenenfalls ent-sprechend behandeln werde. Der genaue Wortlaut der Aeusserungen wird Ihnenauf Wunsch in Erinnerung gebracht werden.

Hochachtungsvoll

KrausKrolloper