162.1 Strafanzeige gegen Herta Gropper wegen falscher Zeugenaussage (eingebracht von Karl Kraus bei der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht für Strafsachen I Wien)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 18. Juni 1931
Stempel: Landesgericht für Strafsachen (Staatsanwaltschaft)
Seite von 6

21 St. 325/31

Dr.Sa/W

An dieStaatsanwaltschaft beim Landesgerichtfür Strafsachen IWien.

Anzeiger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien, III.Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3 durch:

Angezeigte: Herta Gropper, Wien, IX. WähringerstrasseNr. 33

wegen falscher Zeugenaussage

1 fach, 11 Vollmacht3 Beilagen

Strafanzeige.

Der Musikkritiker der Arbeiter-Zeitung Dr. PaulAmadeus Pisk hat gegen mich beim Strafbezirksgericht I zur G.Z.4 U 114/30 einen Ehrenbeleidigungsprozess angestrengt. Er stellteunter Anklage Aeusserungen, die ich in Vorträgen am 7. und 10.Juni 1929 gemacht haben soll. Ich habe diese Vorträge in der vonmir herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel“ wortwörtlich abge-druckt, wie sie an diesen Tagen aus den Manuskripten vorgelesenwurden. Die unter Anklage gestellten Aeusserungen habe ich teilsüberhaupt nicht, teils nicht so, wie sie unter Anklage gestelltwurden, gemacht. Nichtsdestoweniger wurden sie von den vom Privat-ankläger Dr. Paul Amadeus Pisk geführten Zeugen fälschlicherweisebestätigt. Die angezeigte Herta Gropper berief sich zur Stützungihrer Zeugenaussage auf ein angeblich angefertigtes Stenogramm,das sie über Ersuchen des Privatanklägers gemacht und in Schriftübertragen, welche sie dem Privatankläger gegeben habe. Sie be-hauptete, nichts nachträglich ergänzt, alles in der Reihenfolgeübertragen zu haben, bis gegen Schluss, wo ein Satz vergessen war,den sie nachgetragen habe. Diese Angaben der Zeugin sind falschund können nur falsch sein. Ich lege in der Anlage eine Abschrift der von der Zeugin Gropper angeblich angefertigten Uebertragungihres Stenogrammes vor, ferner eine Abschrift einer solchen Ueber-tragung des Zeugen Fritz Löwy und den Abdruck in der Fackel.Ein einfacher Vergleich des Abdruckes in der Fackel mit der Er-klärung des Zeugen Fritz Löwy ergibt, dass die von diesem Zeugenmitgeschriebenen Stellen, bis auf zwei, wörtlich mit den in derFackel abgedruckten übereinstimmen und zwar entsprechen die Stellen:… das gegen mich wirkende Schlieferl- und Tinterltum …

der Stelle: Fackel August-Nummer Seite 76, Zeile 9ff.;… der Musikkritiker des Organs, der Referent, der seit Jahrenden Kitsch der bürgerlichen Operette toleriert und bejaht …der Stelle:Seite 78, Zeile 22ff.;… unter dem Vorwand einer Fachkritik …der Stelle: Seite 78, Zeile 29;… die leichtfertige journalistische Mache wird abgelöst vonder planvollen …der Stelle: Seite 79, Zeile 1ff.;… kümmerliches Fachwissen …… bessere Schönbergschüler haben anders gesprochen …der Stelle: Seite 79, Zeile 14ff.;… unter fachlichem Vorwand eine üble Gesinnung auszudrücken …der Stelle: Seite 80, Zeile 1 und 2;… dass ich in solcher Fachkritik eine Petite erkenne … Cor-repetite …der Stelle: Seite 80, Zeile 6 und 7;… der unappetitliche Plan, meine Hingabe an seine Kunst herab-zuwürdigen …der Stelle: Seite 80, Zeile 20 und 21;… diese armen Teufel nennen sich Fachmänner …der Stelle: Seite 81, Zeile 12 und 13;… jede Parole gegen mich nach Partei- und Redaktionsbeschlussgebrauchsfertig zu machen …der Stelle: Seite 81, Zeile 5ff. v.u.;… Schlieferlpraktiken …der Stelle: Seite 84, Zeile 11 und 12;

Von den in der Erklärung des Herrn Fritz Löwy angeführten Stellen fehlen in der Fackel lediglich zwei, nämlich:… das Schlieferl schreibt …“ und „… armseliges Fach-wissen…“; diese wurden auch nie gesprochen. Die Zeugin HertaGropper gibt an, vier Jahre lang Stenografin gewesen zu sein, umihre Glaubwürdigkeit zu bekräftigen. Hätte sie ein Stenogramm an-gefertigt, so wäre dieser Umstand allerdings eine Bekräftigungder Verlässlichkeit ihrer Angaben. Es ist aber vollkommen ausge-schlossen, dass sie ein Stenogramm gemacht hat, denn dieses könntesonst nicht in fast allen Punkten von der Fackel und dem Stenogrammdes Zeugen Fritz Löwy abweichen, das sich in eben diesen Punktenmit dem Druck der Fackel vollständig deckt.

Ich erstatte daher gegen Frau Herta Gropper die Strafanzeige wegen falscher Zeugenaussage.

Was den Zeugen Fritz Löwy anlangt, so wärewegen der beiden Punkte, in welchen das Stenogramm dieses Zeugenvom Druck der Fackel abweicht, die Aussage gleichfalls zu überprü-fen und zwar in der Richtung, ob es sich dabei um einen Hörfehleroder um eine absichtliche Entstellung des Stenogramms handelt.Der Zeuge Löwy wäre zu verhalten, dieses Stenogramm vorzulegen.Bei der Tatsache, dass der Zeuge Löwy angegeben hat, ich hättevon dem Privatankläger als einem „kümmerlichen Schönbergschülergesprochen, obwohl in seinem Stenogramm in Übereinstimmung mitdem Druck der Fackel die Worte „kümmerliches Fachwissen“ undbessere Schönbergschüler haben anders gesprochen“ aufgenommenwaren, wäre zu untersuchen, ob es sich dabei um eine Verwirrungdes Zeugen durch die Fragestellung gehandelt hat oder ob ihm die

Unrichtigkeit seiner Aussage bewusst war. Zum Beweis für die buch-stäbliche Uebereinstimmung des Druckes mit dem Manuskripte, sämtli-chen Korrekturen und dem gehaltenen Vortrage erbiete ich mich undführe meinen Anwalt Dr. Oskar Samek als Zeugen, der Hörer derVorlesungen war, das Manuskript gesehen hat und auch die Korrektur-bögen, welche nicht die geringste sachliche Aenderung des gesproche-nen Textes enthalten, und der auch Zeuge dafür ist, dass ich nichtetwa ein Wort ausserhalb des Manuskripttextes improvisierend ge-sprochen habe.

Wenn das Gericht trotz dem Antrag, den Akt wegenVerdachtes der falschen Zeugenaussage an die Staatsanwaltschaft ab-zutreten, dies nicht tat, wiewohl dieser Verdacht schon durch dieNichtvorlage des Stenogramms, vollends durch die Erklärung der Zeu-gin Gropper, dass es nicht mehr existiere, und evidenter Massen durchdie Widersprüche der vorgelegten Erklärungen gegeben war, so geschahdies wahrscheinlich deshalb, weil auch der gedruckte Vortragstextdem Gerichte zur Verurteilung wegen Beleidigung auszureichen schien.Immerhin aber wäre zu sagen, dass weit über den Rahmen der Ehren-beleidigung die falsche Zeugenaussage ein Delikt vorstellt, das (inhöherem Grade) das Interesse der Justiz gerechtfertigt hätte. Tat-sache ist aber, dass ich, selbst wenn ich wegen des von mir gespro-chenen und durch den Druck und in der Verhandlung zugegebenen Textesverurteilt worden wäre, die Verurteilung auch erfolgt ist wegen et-licher Stellen, die erweislich niemals gesprochen wurden z.B. „küm-merlicher Schönbergschüler“, eine Bezeichnung, die kombiniert wurdeaus den voneinander entfernten Wendungen: „kümmerliches Fachwissenund „bessere Schönbergschüler haben anders über mich gesprochen“.

Aber auch abgesehen davon und die Strafbarkeit jedes tatsächlichgesprochenen Wortes als möglich angenommen, bleibt es unerträglich,dass zur Grundlage dieser Verurteilung ein angeblich stenografier-ter Text genommen wird, der nachweislich anders gesprochen wurde.Ich schliesse mich dem Verfahren als Privatbetei-ligter an.

Karl Kraus.

überreicht 18/6.31

Kraus – Dr. Pisk