163.1 Brief Samek an die Telegrafen-Direktion für Wien, Niederösterreich und Burgenland

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Schottenring
I., Innere Stadt
Datum: 14. Juli 1931
Betreff: Kraus – Telefonbeschwerde
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: die | Post- und Telegrafen-Direktion
Hetzgasse 2
Wien III.
Seite von 4

Als Anwalt des Herrn Karl Kraus,Wien IV., Lothringerstrasse Nr. 6 habe ich in seinem Namen diefolgende Beschwerde zu erheben:

Herr Karl Kraus wollte am 8. Juli1931 zwischen 7 und 1/2 8 Uhr abends ein Telegramm nach Berlin telefonisch (von seiner Nummer U 42-4-22) aufgeben. Er riefunter „Telegramm“ an und erhielt zunächst überhaupt keine Ver-bindung. Er wiederholte den Anruf, gab nach hergestellter Ver-bindung seine Nummer an und buchstabierte seinen Namen. Auf dieAntwort „Einen Moment!“ wartete er, die Hörmuschel am Ohrbehaltend. Da er fast 8 Minuten vergeblich gewartet hatte, riefer noch einmal unter „Telegramm“ an und fragte, warum sich derMoment“ so lange erstreckt habe. Auf die Antwort, es sei viel-leicht keine Verbindung mit ihm zu erreichen gewesen, sagte er,dass er die ganze Zeit mit der Hörmuschel am Ohr gewartet habe.Statt eines Bescheides über die Ursache der Verzögerung, wurdeer aufgefordert seinen Wunsch bekanntzugeben. Da immer wiederseine Beschwerde mit der Frage abgeschnitten wurde, was ereigentlich wünsche, verlangte er mit der Instanz verbunden zuwerden, an die er die Beschwerde richten könne. Anstatt dessen

wurden immer andere Damenstimmen hörbar, die ihn nach seinemWunsch befragten, und als mein Klient erklärte, er wolle sichbeschweren, ihn fragten, welches Telegramm er aufgeben wolle.Nach einer neuerlichen unangemessenen Antwort einer kontrol-lierenden Dame gelang es ihm die Nummer der Beschwerdeinstanzzu erfahren. Auch hier gab es noch einige Schwierigkeiten, bissich ein Beamter meldete. Als Herr Karl Kraus ihm den Vorgangzu erzählen begann, wobei er gleichfalls mit der Frage unter-brochen wurde, was er eigentlich wünsche, und als er den Be-amten ersuchte, ihn seine Beschwerde vorbringen zu lassen,die er doch eben vorzubringen im Begriffe sei, bekam er dieAntwort: „Also bitte, bringen Sie Ihre Beschwerde vor!Er tat dies und stellte fest, dass jener „Moment“ an die 8Minuten gedauert hatte. Daraufhin erhielt er die Antwort:Das ist unmöglich“. Er replizierte, dass kein Rechtsverfahrenmöglich wäre, wenn der Richter die Anklage mit den Worten ab-tue, dass der vorgebrechte Sachverhalt unmöglich sei, der Be-schwerdeführer wolle ja gerade das, was man in der Tat für un-möglich halten sollte, was aber eben doch möglich war, zumGegenstand der Beschwerde machen. Der Beamte erwiderte, er habeden Eindruck“, Herr Karl Kraus habe entweder die Telefonmuschelaufgelegt oder nicht zugehört, wie die Beamtin sich meldete. Erantwortete, dass dieser Eindruck falsch sei und das Gegenteiljenes Sachverhaltes, über den er Beschwerde führen wolle. DerBeamte erklärte ihm hierauf den technischen Vorgang und HerrKarl Kraus meinte, dass die Beamtin diesen technischen Vorgangnicht eingehalten habe. Der Beamte erwiderte: „Ich mache Siedarauf aufmerksam, dass Sie sich den technischen Vorschriften zu

fügen haben.“ Ehe noch Herr Karl Kraus in der Lage war den Be-amten begreiflich zu machen, dass er derjenige gewesen sei, dersich den technischen Vorschriften gefügt habe und seine Be-schwerde dahin gehe, dass sich die Beamtin offenbar den techni-schen Vorschriften nicht gefügt habe und dass er, wenn man seineBeschwerde nicht entgegennehmen wolle, sich an eine höhere In-stanz zu wenden bereit sei, meinte der Beamte, dass ihm ja derWeg zu einer schriftlichen Beschwerde offen stehe. Diese er-folgt hiemit und sie geht von der Hoffnung aus, dass sie nichtden Erfolg haben werde, das sei unmöglich, sondern dass ebenuntersucht werde, wie all dies möglich sei. Denn Herr KarlKraus ist nicht nur überzeugt, dass er „sich den technischenVorschriften gefügt“ hat, sondern vertritt auch die Meinung,dass es unerlässlich sei, sich in allen Angelegenheiten desVerkehrs vor allem logischen Vorschriften zu fügen. Diese Be-schwerde erfolgt keineswegs zu dem Zwecke, um Sühne für eineeinzelne Unzukömmlichkeit zu erlangen, sondern aus prinzipiel-len Gründen, um dem Publikum zu seinem Recht zu verhelfen.

Hochachtungsvoll

Kraus – Postbeschwerde15.7.31.