165.12 Beschluss des Amtsgericht Berlin-Mitte (G.Z. 148 B. 600.31, Amtgerichtsrat Bues)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 7. Dezember 1931
Seite von 3

148 B.600.31

Beschluß.

In der Privatklagesachedes Schriftstellers Karl Kraus Wien III, Hintere Zollamtstraße Nr. 3,Privatklägers,vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Willy Katz,Berlin SW. 68, Friedrichstraße 204,gegenden Schriftsteller Emil Ludwig zu Askona/Schweiz,Beschuldigten,wegen Beleidigung,wird die Privatklage auf Kosten des Privatklägers zurück-gewiesen.

Gründe.

Der Privatkläger fühlt sich durch eine Schilderung sei-ner Persönlichkeit beleidigt, die der Beschuldigte in seinereigenen Lebensbeschreibung „Geschenke des Lebens“ aus seinemAufenthalt in Wien vor dem Kriege von ihm gab. Zu verkennenwar nicht, daß der Privatkläger in dieser Schilderung weniggünstig abschnitt; ja, daß der Beschuldigte manche nachtei-ligen Charakterzüge hervorhob und daß dies dem Privatkläger unangenehm sein, ja ihn vielleicht verletzen konnte. Indessendurfte nicht übersehen werden, daß die Schilderung des Be-schuldigten in Form einer Gegenüberstellung mit dem Schrift-steller Altenberg, einem Zeitgenossen des Privatklägers, er-folgte und daß dieser offensichtlich dem Beschuldigten be-sonders sympathisch war. Bedingte aber schon dieses gegen-seitige Abwägen der Persönlichkeiten des Privatkläger mitder des Altenberg ein Hervortreten der Verschiedenheit ihrerCharaktere und, vom Standpunkt des Beschuldigten aus, gegen-über den Vorzügen des Altenberg eine abfällige Kritik desPrivatklägers, so war auch aus dem Zusammenhang und Inhalt

des ganzen Werkes des Beschuldigten ohne weiteres zu ent-nehmen, daß ihm dabei das Bewußtsein oder gar die Absichteiner Beleidigung des Privatklägers völlig fernlag. Das Werk reihte die Begegnungen mit den verschiedensten Persönlichkei-ten aneinander und ging auf ihr Wesen, ihre Veranlagungen undihre Tätigkeit so ein, wie sie dem Beschuldigten entgegenge-treten waren und wie sie ihm jetzt erschienen. Gab der Be-schuldigte aber in freier künstlerischer Gestaltung dabeiseiner – wie ihm zu glauben war – ehrlichen Überzeugung Aus-druck, so war ihm auch ohne weiteres zu glauben, daß er nie-mals dabei daran dachte, beleidigend zu wirken, auch wenn erdie einzelnen Persönlichkeiten seines Bekanntenkreises ab-fällig besprach. Infolgedessen bestand kein Anlaß gegen denBeschuldigten strafrechtlich einzuschreiten, da in seinerPerson der Tatbestand des § 185 StGB. nicht erfüllt war.Jeder richterliche Eingriff hätte das freie schriftstelleri-sche Schaffen des Beschuldigten über Gebühr eingeengt und be-schwert. Endlich enthielt die Schilderung auch keine Formal-beleidigung des Privatklägers.

Berlin, den 4. Dezember 1931.Amtsgericht Berlin-Mitte, Abteilung 148.gez. Dr. Bues,Amtsgerichtsrat.

Ausgefertigt:Berlin NW. 40, den 7. Dezember 1931Alt Moabit 11.[Unterschrift]Justizangestellterals Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

KrausLudwig