173.28 Brief Verlag Die Fackel an Universal-Edition

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Sender

VERLAG „DIE FACKEL“
HINTERE ZOLLAMTSSTR. 3
WIEN, III.
Datum: 21. März 1932

Empfänger

An: die | Universal-Edition A.G.
Karlsplatz 6
Wien I.
Seite von 7

22. März 193224.III.32.

Sehr geehrte Herren!

Auf Ihr an unsern Rechtsanwalt gerichtetes Schreiben vom14. März haben wir Ihnen das Folgende zu antworten:

In dem zwischen Herrn Karl Kraus und Ihnen geschlossenenVertrag ist Ihre Verpflichtung enthalten, den Bühnen mitzuteilen,daß Änderungen im Text wie in der Musik von den Theatern nicht ohneZustimmung des Herrn Karl Kraus vorgenommen werden dürfen. DieseVerpflichtung haben Sie niemals erfüllt. Als es sich bei der Auffüh-rung der „Perichole“ an der Krolloper herausstellte, daß die Direk-tion die allgemeine gesetzliche Bestimmung, die zwar den Autor schützt, aber Änderungen „nach Treu und Glauben“ als Ausnahme zu-läßt, für den erbärmlichen Versuch ausnützen wollte, hinter dem Rük-ken des Textautors kunstwidrige und sinnwidrige Streichungen vorzu-nehmen, und als dieser Versuch mit großer Mühe, Arbeit, Kosten undZeitverlust abgewehrt war, ist Ihnen, respektive Ihrem Herrn Dr.Heinsheimer – trotz seiner Versicherung, daß die allgemeine gesetz-liche Bestimmung hinreichenden Autorschutz gewähre – die Verpflich-tung auferlegt worden, die bisher nicht beachtete Klausel des Ver-trags wenigstens künftighin durchzuführen. Herr Dr. Heinsheimer hatdies ausdrücklich zugesagt, was von zwei Zeugen bestätigt werdenkann. In vollem Vertrauen auf diese Zusage des Herrn Dr. Heinsheimer,der gewußt und es erlebt hat, daß die Direktion der Krolloper ihrVorgehen ausdrücklich mit einem Vertrag motivierte, der „nur“ denHinweis auf die allgemeine gesetzliche Bestimmung und keine besonde-re Verpflichtung enthalte; im Vertrauen auf die Zusage des HerrnDr. Heinsheimer, mit dem man eigens zu einer Ausschließung solcherMöglichkeit zusammentrat; im Vertrauen auf eine Zusage, die er mach-te, wiewohl er abermals seiner Überzeugung Ausdruck gab, daß dieallgemeine Bestimmung ausreiche – wir führen dies gerade zu demZweck an, um seiner Erinnerung entgegenzukommen, daß er nicht etwaaus diesem Grund es abgelehnt hat, die Zusage zu machen, sondern sie

gemacht hat, wiewohl er eine bestimmte juristische Überzeugung hat;im Vertrauen also auf diese Zusage hat man es unterlassen, ihn in denFällen Düsseldorf und Köln zu befragen, ob und in welcher Form er dieVertragsklausel wirksam gemacht, also diesen Bühnen notifiziert ha-be, daß über die usuelle Deutung des Gesetzes hinaus – welches eben,wie das Berliner Beispiel zeigt, von Theaterleitern doch weniger kor-rekt als von Herrn Dr. Heinsheimer interpretiert wird – das Autor-recht des Herrn Karl Kraus so zu wahren sei, daß wirklich nur in je-nen äußersten Fällen technischen Notstands, wie sie Herr Dr. Heins-heimer oft angeführt und durch Beispiele illustriert hat, winzige Ab-weichungen ermöglicht wären. Die Aufführung von Madame l’Archiduc inPrag hat nun nach Bestätigung durch Herrn Dr. Heinsheimer selbst Über-griffe aufgewiesen, die weit über diese Möglichkeit hinausgingen, und dieer zwar durch nachträgliche Intervention zu beseitigen bemüht war, de-ren sich aber das Theater ganz gewiß nicht erdreistet hätte, wenn SieIhrer vertraglichen Verpflichtung entsprechend den Vertrag mit derPrager Bühne eingerichtet, also ihr eingeschärft hätten, daß keineAbänderung ohne Zustimmung Ihres Vertragspartners erlaubt sei. Dieserhat es leider auch diesmal unterlassen, Sie zu fragen, ob Sie dieausbedungene Vorkehrung getroffen haben; er war der Meinung, daß diePrager Bühne es sich eben erlaubt habe, sich auch über eine ihr vonIhnen ausdrücklich auferlegte Verpflichtung hinwegzusetzen. HerrDr. Heinsheimer wurde bloß davon unterrichtet, daß das widrige Er-lebnis dieses Falles und die Plage des Versuchs einer Remedur HerrnKarl Kraus bedauern ließen, sein geistiges Gut einer Verbindung aus-geliefert zu haben, die offenbar keine hinlängliche Sicherung gegendie Gefahr einer Verunstaltung bietet, nicht etwa einer Verunstaltungdurch die Unfähigkeit, mit deren Faktor er ja von vornherein rechnenmußte, sondern der durch den gewalttätigen Eingriff in den Textbe-stand. Eine solche Verbindung schien ihm schon problematisch auf derGrundlage des Vertrauens, in dem ihn Herr Dr. Heinsheimer belassenhatte: daß durch diesen alles vorgekehrt war, um eine Sicherung zuerzielen, die eben bei Theaterleuten, die keinerlei Bindung respek-tieren, nicht zu erzielen ist.

Wie sich inzwischen herausgestellt hat, kam zu diesen Ge-fahren auch noch die einer Verunstaltung im eigenen Wirkungskreis

des Verlags, welche die Mühsal einer Wiederherstellung bei den Pra-ger Proben nach sich gezogen hat. Zu diesem Punkt bemerken wir, daßSie uns bis heute nicht mitgeteilt haben, ob Sie der Zusage des HerrnDr. Heinsheimer gemäß die Wiederherstellung des durch den Kopisten gröblich verunstalteten Gesangstextes – Herr Kraus konnte aus dem Ge-dächtnis nur drei (bis zur Vernichtung des geistigen Werts und Stran-gulierung der Bühnenwirkung) veränderte Stellen angeben – für dieAufführung in Essen vorgenommen haben. Daß Sie sie für die spätereAufführung im Wiener Rundfunk – wenigstens in einer Anzahl von Exem-plaren – unterlassen haben, davon hat sich der Textautor als Regisseurleider bereits überzeugen müssen. Wir stellen fest, daß hier in einergeradezu unverantwortlichen Weise mit dem Text umgegangen wurde, dieals ein fahrlässiger Eingriff in geistiges Gut leider nicht straf-rechtlich belangt werden kann und zu deren Remedur nach dem Zivil-recht wir Ihnen eine Frist zu setzen haben. Wir fordern Sie demnachauf, binnen acht Tagen sämtliche Abweichungen vom Text der Buchaus-gabe in dem Notentexte der Madame l’Archiduc überall dort durchzu-führen, wo Sie einen Vertrag über die Aufführung geschlossen haben,sowohl dort wo diese erst bevorsteht (wie im Wiener Rundfunk) wiedort (wie in Essen), wo sie schon im Repertoire ist. Der Textautor hat bei dem Abschluß des Vertrags mit Ihnen an diese Möglichkeiteiner Gefährdung des Textes durch den Vertrieb selbst natürlich nichtdenken können, sonst wäre für diesen Fall wie für jene Nichtbeachtungder Klausel, durch die der Text auch der Willkür der Bühnen ausge-liefert wird, eine Konventionalstrafe festgesetzt worden.

Da sich nun die Bühne in Essen unqualifizierbare Eingriffein Text und Musik erlaubt hat, deren Kenntnis sie dem Textautor mitgroßer Offenheit, ja mit Stolz durch zwei Fußnoten der offiziellenProgrammschrift vermittelte, so hat er von Ihnen (wie nach der AffärePerichole“) verlangt, daß Sie ihm Einblick in den Vertrag gewähren,den Sie mit der Essener Bühne geschlossen haben. Er hatte im Vertrau-en auf das Versprechen des Herrn Dr. Heinsheimer bis dahin in demGlauben gelebt, daß sich auf Grund der Berliner Erfahrungen der Ver-trag mit Essen von dem Berliner Vertrag unterscheide, und wurde erstdurch die öffentliche Mitteilung der Direktion, daß sie sich Änderun-gen erlaubt habe, stutzig. Er gibt zu, daß er sich in der Rolleeines, der erst so spät stutzig wurde, gar nicht wohl fühlt, daß sieihm nicht liegt und daß er sich ihre Übernahme nur durch das Vertrau-en in das Wort des Herrn Dr. Heinsheimer erklären kann, da er zwar

gewohnt ist, den Dingen auf den Grund zu gehen, aber in der Fülleseiner Arbeit doch manchmal froh ist, einen Sachverhalterledigt zu glauben. Sie haben nunmehr den Vertragvorgewiesen und zur Entschuldigung des Fehlens jener ausdrücklichenVerpflichtung, deren Aufnahme von Herrn Dr. Heinsheimer zugesagt war,nichts weiter vorgebracht als die Mitteilung seiner wiederholt ge- äußerten Rechtsansicht, daß das Gesetz in seiner allgemeinen Fassunghinreichenden Schutz gewähre. Für Herrn Karl Kraus, den hier wenigerdiese Ansicht interessiert, deren Vorbringen durch Herrn Dr. Heins-heimer er keineswegs bestreitet, als die Nichterfüllung einer Zusage,die er bezeugt – für ihn stellt sich die Sache nun folgendermaßendar: Es ist ihm ganz klar, daß Herr Dr. Heinsheimer, als er jene Zu-sage in aller Form machte (den Bühnen jenen Punkt ausdrücklich einzu-schärfen), nicht daran gedacht hat, sie jemals zu erfüllen, einerseitsweil er wirklich der juristischen Ansicht sein mag, daß die allgemei-ne Bestimmung vollauf ausreiche, anderseits weil er die Schwierigkeiterwog, die Werke bei den Bühnen anzubringen, denen eine Verpflichtungzugemutet wird, die andere Autoren nicht zu stellen pflegen, welcheeben in gleichem Maße wie der Verleger an Aufführungen interessiertsind. Darüber, wie wir eine Denkungsart beurteilen würden, die HerrKarl Kraus stillschweigend in solchen Kalkül einbezieht (so berech-tigt sie vom kaufmännischen Standpunkt aus auch sein möge), brauchenwir nichts zu sagen. Nun konnte Herr Dr. Heinsheimer, so möchte manvermuten, doch wohl nicht wähnen, daß die Diskrepanz der Anschauungen,die sich da auf einem gemeinsamen künstlerischen Gebiete ergibt, aufdie Dauer verbergen bleiben und nicht ereignishaft an den Tag kommenwürde. Wir erklären uns sein Verhalten – wenigstens für eine abseh-bare Zeit des Zusammenwirkens – nun so: Die Hoffnung, daß es zuSchwierigkeiten mit Herrn Karl Kraus nicht kommen werde, hat er einer-seits aus der Erwartung geschöpft, daß die Bühnen, die vielleichtschon etwas von den strengen künstlerischen Forderungen oder der son-stigen Eigenart des Herrn Karl Kraus gehört haben, von selbst davonAbstand nehmen würden, Gewalttätigkeiten oder Unsauberkeiten zu be-gehen; daß, wenn es wider Erwarten doch geschehen sollte, nachträg-lich von der Universal-Edition (wie im Prager Falle) interveniertwerden kann; und hauptsächlich: daß es Herr Karl Kraus nicht erfahrenwird. Im Falle Essen hat er es komplett erfahren. Die Frage, ob Herr

Dr. Heinsheimer, als er am Abend des 5. März über die ihm damals schonbekannte Essener Programmschrift (nämlich von deren Szenenbild) sprach– ob er damals auch die Fußnoten zu dem Artikel eines Herrn Költzsch gelesen hatte, diese Frage hat Herr Kraus gern verneint, weil es ihmnachträglich doch sehr unangenehm wäre, daß Herr Dr. Heinsheimer sohoffnungsfroh von der Essener Aufführung gesprochen hätte, die HerrnKraus „Freude“ machen werde, und es unterlassen haben sollte, ihn vondem Attentat, das mit dieser Aufführung geplant schien, zu benachrich-tigen. Selbstverständlich müßte jedoch auch eine ausdrückliche Ver-neinung der Frage durch Herrn Dr. Heinsheimer vorliegen, um die Beant-wortung seiner Frage zu ermöglichen, ob er Herrn Kraus etwas über Ber-liner Dinge persönlich berichten könne. Aber selbst dann würde wohlder inzwischen zutage getretene Umstand, daß er ein förmliches Ver-sprechen nicht eingehalten hat – selbst dann, wenn diese Unterlassungkeine rechtliche Schädigung bedeutete –, ein beträchtliches Hindernisfür einen persönlichen Bericht bilden. Ganz abgesehen von dem mehrprivaten Moment ist nun durch diese Unterlassung die Verletzung desVertrags evident geworden. Sie haben uns am 2. März geschrieben, daßSie im künstlerischen Sinne und „keineswegs den Buchstaben unseres Ver-trages nach bemüht bleiben wollen, im Rahmen des Möglichen Herrn Kraus bei der Durchsetzung seiner künstlerischen und persönlichen Forderun-gen an die Hand zu gehen“. Es erscheint nunmehr bewiesen, daß Sie tat-sächlich keineswegs den Buchstaben des Vertrages gefolgt sind, indemSie doch eine ganze Klausel, die Sie verpflichtet hat, Herrn Kraus beider Durchsetzung seiner künstlerischen Forderungen an die Hand zu ge-hen, mit deren sämtlichen Buchstaben außer Kraft gesetzt und die Durch-setzung dem Buchstaben des Gesetzes anvertraut haben, das wieder vonden Bühnenleitern nicht buchstäblich genommen wird. Was das PragerBeispiel betrifft, so liegt Ihre Erklärung noch nicht vor, daß es Ihnengelungen sei, die Bühne zum Verzicht auf die rechtswidrigen Abweichun-gen zu bewegen. Was Essen betrifft, so teilen wir Ihnen mit, daß dasTelegramm der Direktion an Sie die Antwort vorstellt auf einen Protestdes Herrn Karl Kraus gegen den autorrechtlichen Eingriff und auf dasVerlangen nach voller Wiederherstellung. Wir teilen Ihnen auch mit,daß weitere juristische Schritte von uns bisher nicht unternommen wur-den und daß es durchaus Ihnen überlassen ist, diese im Sinne unseresVertrages zu unternehmen. Zu dem Telegramm, das Sie uns übermittelthaben, wäre zu sagen, daß gewiß Ihnen wie uns der Widerspruch zwischendem Versuch einer Ableugnung – auch wenn diese nicht selbst Änderungenzugäbe, die allein schon rechtswidrig sind –, also der Widerspruch

zwischen der Ausrede und dem im offiziellen Programm einbekanntenSachverhalt offenbar sein mußte. Es bedarf keiner weiteren Feststellungeines Tatbestandes, der durch das umfassende Geständnis des Täters gege-ben ist, möge er auch hinterdrein den Ahnungslosen spielen. Herr KarlKraus hatte nun ursprünglich den Wunsch, Sie aufzufordern, binnenvierzehn Tagen alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um sowohl dieBühne in Essen wie die in Prag zu zwingen, die vertrags- und autorrechts-widrig vorgenommenen Änderungen rückgängig zu machen und dem Werk wie-der die Gestalt zu geben, die ihm der Textautor und geistig einzig Ver-fügungsberechtigte bestimmt hat und die er von niemandem und ganz ge-wiß nicht von der dramaturgischen Mittelmäßigkeit antasten lassen wird.Er macht Ihnen aber einen anderen Vorschlag, mit dem er an Ihren Wunschanknüpft, eine Bestätigung zu erhalten, daß er mit der Lösung des Ver-trages mit der städtischen Oper in Berlin über Madame l’Archiduc ein-verstanden sei. Dieser Wunsch ist ihm aus dem Grunde nicht ganz ein-leuchtend, weil die Lösung ja doch auf seinen eigenen Wunsch zurückge-hen würde und an seinem Einverständnis wohl nicht gezweifelt werdenkönnte, wenn die Anregung doch von ihm selbst ausgegangen ist. Aber daSie in diesem Falle offenbar auf schriftliche Fixierung Wert legen –wiewohl keineswegs zu befürchten wäre, daß Herr Karl Kraus sein Wortverleugnet –, so teilen wir Ihnen ausdrücklich mit, daß er sein Ein-verständnis gern gibt. Er benützt aber diese Gelegenheit, dieses Ein-verständnis: daß Madame l’Archiduc an der Städtischen Oper in Berlin nicht aufgeführt wird, auf sämtliche Bühnen Deutschlands und Öster-reichs, und natürlich auch für Perichole und Vert-Vert, auszudehnen.Er erklärt vor jedem Forum, daß er es satt habe, sich dauernd der Ge-fahr ausgeliefert zu wissen: von Dilettanten oder Kaufleuten in seinemgeistigen Recht verkürzt zu werden, in jedem einzelnen Fall, in dem esgeschieht, Zeit, Arbeit und Nervenkraft an die Wiedergutmachung wendenzu müssen und dazu auch noch die gesellschaftlichen Unmanieren einervon ihm nach Gebühr eingeschätzten Theaterbürokratie hinzunehmen, dieihre Subalternität durch Frechheit auszugleichen glaubt. Es ist seinsehnlichster Wunsch, ein Verhältnis zu lösen, das ihn nicht nur nichtgegen schwere Beeinträchtigung der gegenständlichen künstlerischenLeistung schützt, sondern auch durch die Notwendigkeit der jedesmali-gen Remedur in seiner sonstigen Arbeit schwer beeinträchtigt. Er er-klärt demnach, daß er – natürlich unbeschadet Ihrer Verpflichtung, diedurch Sie selbst entstandenen Schäden im Notentext der Madame

l’Archiduc zu beseitigen – bereit ist, Sie der Verpflichtung desentsprechenden Vorgehens gegen die Bühnen in Prag und Essen zu ent-heben, wie Sie auch der Verpflichtung zu entheben, in allen künfti-gen Fällen den zwischen ihm und Ihnen geschlossenen Vertrag in sei-ner Ganzheit zu erfüllen, unter der Bedingung, daß Sie mit der augen-blicklichen Lösung dieses Vertrages einverstanden sind.

Mit vorzüglicher Hochachtung[Unterschrift]