187.4 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
PRAG II.
Datum: 20.XI.1933

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich bestätige den Empfang Ihrer gesch.Zuschrift vom 17. l.M. in Angelegenheit des Herrn KarlKraus ca: ‚Aufruf‘ und bemerke, dass ich in dieser Ange-legenheit von Ihnen bereits zwei nichtunterfertigte Briefevom 11. und 14. l.M. erhalten habe, die ich meritorischmit meinem Schreiben vom 15. l.M. beantwortet habe.

Da ich nicht weiss, ob dieser Brief an-gekommen ist, gestatte ich mir, Ihnen die Rechtslage nachdem čsl. Urheberrecht zu erläutern. Das Zitierrecht istnach unserem Gesetze im § 23 Zahl. 2 geregelt.

Nach diesem bedeutet ,dass es es keinen Eingriff in die Urheber-rechte, wenn einzelne Stellen oder Teile eines herausge-gebenen Werkes ohne Aenderung ihres Sinnes wörtlichzitiert werden, wobei allerdings der Autor oder die benützteQuelle angeführt erscheinen müssen. Auch ich glaube, dasses sich im Falle der Verwendung des Gedichtes alsEinleitung zu einem Artikel, der sich mit dem Autor diesesGedichtes befasst, nicht um ein Zitat im Sinne der eben-erwähnten Bestimmung handeln kann. Das Gedicht wurdenicht dazu angeführt, um den Inhalt des betreffenden Ar-tikels von Verneau klarzustellen, die Stellungnahme desAutors zu begründen, Gegenstand der Kritik oder Polemikmit dem Dichter zu bilden. Gemäss § 24 Zahl 2 unseres

Gesetzes über das Urheberrecht ist es verboten, ohne Ein-willigung des Autors Romanfeuilletons, Novellen und Ge-dichte, sowie Abhandlungen, belletristischen, wissen-schaftlichen, technischen oder künstlerischen Inhaltes,welche in Zeitungen oder in periodischen Zeitschriftenerschienen sind, abzudrucken, wenn der Autor hiezu nichtseine Einwilligung erteilt hat. Dies ist auch dann der Fall,wenn in der betreffenden Zeitung oder Zeitschrift die Klausel„Nachdruck verboten“ nicht beigesetzt war.

Deswegen glaube ich, dass der Nachdruck des Gedichtes unstatthaft ist und dass Herr Kraus berechtigt ist, denSühnebetrag zu Gunsten des Flüchtlingskomites zu begehren.

Was nun die Berichtigung anbelangt, so gilt beiuns nunmehr der § 11 der Pressenovelle aus dem Jahre 1933.Dieser Paragraf ist dem § 19 des alten Pressegesetzes nach-gebildet. Es handelt sich allerdings um keine berichtigungs-fähige Mitteilung, sondern um die fehlerhafte Zitierungeines Gedichtes, sodass es fraglich sein könnte, ob dieRichtigstellung des fehlerhaft wiedergegebenen Textes nach§ 11 der Pressgesetz-Novelle verlangt werden kann.Trotzdem glaube ich, dass man versuchen kann, die Rich-tigstellung zu begehren und dass sie vom „AUFRUF“ nichtverweigert werden wird, zumal sich der verantwortlicheRedakteur, welcher Jurist und Advokat ist, sicherlich kei-nem Verfahren wird aussetzen wollen.

Wollen Sie mir daher evtl. telefonisch mitteilen,ob ich jetzt die Briefe versenden soll, damit die Angelegen-heit nicht zu lange liegen bleibt.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

21. NOV. 1933