189.11 Klageentwurf gegen den Autor und gegen die Redakteurin Marie Schnierer (Gegen-Angriff)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 23. Dezember 1933
Seite von 3

Entwurf der Klage gegen den Autor und den verantwortlichenRedakteur des „Gegenangriff“.

I.

In der Nummer 19 der Wochenschrift„Der Gegenangriff“ vom 26. November 1933, deren verantwort-licher Redakteur die erstbeklagte Dr. Marie Schnierer ist,wurde ein „Nachruf auf Karl Kraus“ betitelter, mit „ Arnoldunterzeichneter Artikel veröffentlicht, dessen erster Absatzlautet:

folgt Zitierung des ersten Absatzes des Artikels.Beweis: Nr. 19 der Wochenschrift „Der Gegenangriff“.

II.

Der unbekannte Autor dieses Artikels be-hauptet also, der Privatkläger habe auch während des Welt-krieges gewünscht, dass man von ihm kein eigenes Wort er-warte und habe, erst als der Zusammenbruch der Mittelmächteentschieden war, diese so beredt wie kein anderer verflucht.

Ferner behauptet er, der Privatkläger sucheauch heute – dreiviertel Jahre nach dem Ausbruche desHitlertums – sein Schweigen, das zum Himmel schreit, zu er-klären, er leide zu tief und habe auch sonst Rücksicht zunehmen.

Jeder uneingeweihte Leser dieses Artikels,in dem auch sonst noch mehr oder weniger verschleierte Be-leidigungen des Privatklägers, deren Verfolgung sich dieservorbehält, enthalten sind, muss den Eindruck gewinnen, dassder Privatkläger während des Weltkrieges solange geschwiegenhat, bis der Zusammenbruch der Mittelmächte entschieden war

und sich erst dann in seinen Schriften gegen diese gewendetund sie beredter verflucht hat als andere.

Der Leser muss ferner annehmen, dass das„Schweigen“ des Privatklägers seit der Hitlerherrschaftdie gleiche opportunistische Tendenz verrate, dass er aberetwa den Anschein vortäusche oder die Ausrede haben könnte,als ob ein „zu tiefes Leid“ ihn an einem Ausdruck hindere.Weiters wird behauptet, der Privatkläger habe „auch sonstRücksicht zu nehmen“. Wenn auch vom Autor des inkriminiertenArtikels nicht ausdrücklich gesagt wird, worauf der Privat-klägerRücksicht zu nehmen“ habe, so ist aus dem Zusammen-hange des Artikels klar, dass beim Leser der Eindruck er-weckt werden soll, dass sich der Privatkläger deshalb nichtgegen das Hitlerregime wendet, weil er es nicht wagt, gegendieses Regime zu schreiben, also aus persönlicher Feigheit,oder aus sonstigen unehrenhaften Beweggründen privater Natur.

Die Tendenz des zitierten Artikels unddie Absicht des Autors ist klar: Es handelt sich darum, überden Privatkläger etwas auszusagen, was diesen in der allge-meinen Meinung verächtlich machen und zurücksetzen kann undmuss.

Da der Autor, wie aus dem weiteren Inhaltedes Artikels hervorgeht, über die Werke des Privatklägers orientiert ist, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass erwissen musste und wusste, die von ihm behaupteten Tatsachen:nämlich, dass der Privatkläger auch während des Weltkriegesgewünscht habe, man möge von ihm kein eigenes Wort erwarten,und erst, als der Zusammenbruch der Mittelmächte entschiedenwar, diese beredter verflucht habe als andere; er schweigejetzt, weil er Rücksicht zu nehmen habe, etc. – seien unwahr

und bildeten den Tatbestand der §§ 2 und 3 des Gesetzes vom28.VI.1933 Nro. 108 der Gesetzessammlung.

Gegenstand der in dem Artikel fälschlichbehaupteten Tatsachen sind die dem Privatkläger zugeschriebe-nen verwerflichen und ehrenrührigen Eigenschaften und Ge-sinnungen, (nachträgliche Heldenpose eines Feiglings gegen-über der Kriegswelt und die Feigheit in der Aktualität derHitlerwelt).

Diese in dem Artikel über den Privatankläger angeführten Tatsachen sind geeignet, den moralischen Wertdes Privatklägers in den Augen der Leser herabzusetzen.Beweis: Der inkriminierte Artikel unter Vorbehaltweiterer Beweise.

III.

Ich stelle daher den Antrag auf Einleitungder Voruntersuchung gegen den unbekannten Autor des in derWochenschrift „Der Gegenangriff“ Nr. 19 vom 26.XI.1933 ver-öffentlichten Artikels „Nachruf auf Karl Kraus“ wegen Vergehensnach §§ 2 u. 3 des Gesetzes vom 28.VI.1933 Nr. 108 der Gesetzes-sammlung, sowie gegen den verantwortlichen Redakteur dieserWochenschrift, Dr. Marie Schnierer, wegen Vernachlässigung derpflichtgemässen Sorgfalt und behalte mir die Stellung derStrafanträge nach abgeschlossener Voruntersuchung und Er-ledigung des gesetzlich vorgesehenen Vergleichsverfahrens vor.