189.21 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 10.I.1934
Betreff: Karl Kraus – „Gegenangriff“

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Zu der heutigen Verhandlung erschienfür die verantwortliche Redakteurin des „Gegenangriff Herr Kollege Dr. Stein, bei dem Dr. Schnierer als Konzipien-tin angestellt ist und der die kommunistische Partei haupt-sächlich in Strafprozessen zu vertreten pflegt. Dieserwendete ein, dass die verlangte Berichtigung deswegen nichtveröffentlicht wurde, weil durch sie nicht eine in dem Arti-kel behauptete Tatsache, sondern lediglich ein Druckfehler/ Auslassung eines Beistriches / richtiggestellt werden sollte.Dies entspreche nicht dem § 11 des Pressgesetzes.Dagegen habe ich angeführt: „In dem zu berichtigenden Artikelwird behauptet, Karl Kraus besinge auf der letzten Seite derFackel‘ sein Schweigen“: und nun folgt die Zitierung desGedichtes und zwar richtig bis auf die fünfte Zeile.Durch den Doppelpunkt und das Anführungszeichen brachte derzu berichtigende Artikel zum Ausdruck, dass der Wortlautdes abgedruckten Gedichtes folgt. Dies ist eine unwahre Tat-sache, durch die der Antragsteller in seinem berechtigtenInteresse daran berührt wurde, dass das Urteil, welchessich der Leser des zu berichtigenden Artikels auf Grund derüber den Antragsteller behaupteten Tatsachen bilden muss, nichtauf unwahren Tatsachen begründet werde, nämlich, dass die 5. Zeile

des Gedichtes laute „Kein Wort das traf“, wenn sie in Wirk-lichkeit folgendermassen lautet „Kein Wort, das traf“.Darauf war die verlangte Pressberichtigung gerichtet und sieentspricht auch ihrer Fassung nach dem Wortlaute des Gesetzes.

Der Richter verlangte von mir die Aeusserung,ob ich meine Einwilligung zu einer Fassung der Berichtigungerteile, die dem Gesetze entsprechend wäre. Darauf erklärteich, dass die verlangte Berichtigung ihrem Wortlaute nachdem Gesetze entspreche und dass daher eine neue Formulierunggemäss § 14 Abs. 4 der Pressgesetznovelle nicht notwendigsei, weswegen ich meine Einwilligung zu einer Neufassung desBerichtigungswortlautes nicht erteilen könne. Dies tat ichaus folgenden Gründen: Wird dem verantwortlichen Redakteuraufgetragen, die Berichtigung in der vom Gerichte abgeänder-ten Fassung zu veröffentlichen, dann hat der Antragstellerdie Kosten des Verfahrens zu tragen. Aus dem bisherigen Ver-halten des Autors und der verantwortlichen Redakteurin desGegenangriff musste ich schliessen, dass die Veröffent-lichung der Berichtigung in diesem Falle mit einem Zusatzeoder einer Bemerkung erfolgen würde, die auf den Umstand,Herrn Kraus sei der Ersatz der Kosten des Verfahrens aufer-legt worden, in ebenso unanständiger Weise hinweist, wiedie bisherigen gegen Herrn Kraus veröffentlichten Artikel.Das wollte ich unbedingt vermeiden und da ich ausserdem über-zeugt bin, dass der Wortlaut der verlangten Berichtigung demGesetze durchaus entspricht, habe ich eine Neufassung dieserBerichtigung abgelehnt. Darauf verkündete der Richter denBeschluss, dass der Antrag, dem verantwortlichen Redakteur,möge die Veröffentlichung der Berichtigung aufgetragen werden,abgewiesen wird.

Er begründete dies folgendermassen: In dem zu berichtigen-den Artikel wird nicht behauptet, dass die Zeile 5 des inder Fackel erschienenen Gedichtes laute „Kein Wort das traf“.Nach Ansicht des Richters hätte die Berichtigung lautenmüssen: „Es ist unwahr, dass Karl Kraus auf der letztenSeite sein Schweigen besingt“: jetzt hätte die Zitierung desGedichtes mit Auslassung des Beistriches in der 5. Zeile er-folgen sollen; – richtig ist, dass Zeile 5 des in dem Artikel abgedruckten Gedichtes lautet: folgt richtige Zitierungdieser Zeile.

Diese Entscheidung ist meiner Ansicht nachdurchaus unrichtig und ich habe die Beschwerde angemeldet.

Wenn man auch zugeben will, dass das Press-gesetz auf den Grundsätzen des Formalismus beruht, so darfder Formalismus sicher nicht so weit getrieben werden, dasseine Berichtigung, die tatsächlich so, wie es das Gesetzfordert, lediglich Tatsachen anführt, welche die in demzu berichtigenden Artikel enthaltenen Tatsachen richtig-stellen, als unrichtig bezeichnet und ihre Veröffentlichungdaher abgelehnt wird.

Ueber das Verfahren zur Verhandlung derBeschwerde ist ausser im § 14 Absatz 6 in der Pressegesetz-novelle nichts erwähnt. Dort heisst es nur, dass gegen denBeschluss gemäss Absatz 2 bis 4 nach den Bestimmungen derStrafprozessordnung Beschwerde geführt werden kann.In dem einzigen bisher erschienenen Kommentar wird bemerkt,dass die Bestimmungen über die Beschwerde nach den Vorschriftender §§ 10 und 12 des alten Pressegesetzes zu handhaben sind.

Danach käme für die Beschwerde die Bestimmung der §§ 389 und 390 Strafprozessordnung in Betracht.

Daraus schliesse ich und dies ist auch die Ansicht desGerichtes, dass die Beschwerde schriftlich nicht ausgeführtwerden kann und dass über den Inhalt dieser Beschwerde,sowie über das Verfahren I. Instanz ohne Interventionder Parteien in nicht öffentlicher Sitzung resp. Verhand-lung entschieden werden wird. Dies ist insoferne unange-nehm, als ich nicht weiss, ob das Gericht II. Instanzdie Grundlagen der Beschwerde mit entsprechender Sorgfaltüberprüfen wird, wenn ihm die Beschwerdepunkte nicht ineinem Schriftsatze oder mündlich ausgeführt werden.Deswegen will ich versuchen, die Beschwerde trotzdemschriftlich durchzuführen und mit den Referenten auch nochüber die einzelnen Punkte zu sprechen.

Ich bitte Herrn Kraus von dem Ergebnisder Verhandlung Mitteilung zu machen und hoffe, dass ermein Vorgehen billigen wird. Die juristischen Ausführun-gen werden Sie, sehr geehrter Herr Doktor, anhand des Ihneneingesendeten Pressegesetzes leicht überprüfen können.

Mit vorzüglichster Hochachtung ergebener:Dr. Turnovsky

KrausGegenangriff11. JAN. 1934