189.28 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 23. Januar 1934
Betreff: Kraus – Gegenangriff
Diktiersigle: Dr.S/Fa

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnowsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Es scheint, dass in der Berichtigungssacheimmer neue unvorhersehbare falsche Auffassungen der Richterzu verzeichnen sind. Nun kommt eine neue Ansicht desDr. Cervinka dazu, dass die Zitierung eines Gedichtes, nochdazu die falsche Zitierung, keine den Autor betreffendeNachricht darstelle. Ich glaube, dass diese Ansicht sofortzu widerlegen ist, wenn man sich die im Gegenangriff Nr. 19 erfolgte Art der Zitierung anschaut. Es heisst dort: „Undauf der letzten Seite besingt er sein Schweigen:“ Es folgtnun der falsche Abdruck des Gedichtes. Es ist klar und fürjeden, der nur zu lesen versteht, liegt die Behauptung vor,dass der nun zitierte Wortlaut des Gedichtes richtig ist.Dass es sich im gegenständlichen Fall nur um einen Beistrichhandelt, ist lediglich ein Quantitätsunterschied, denn derRichter müsste auch seine Ansicht aufrecht erhalten, wennein ganz anderer Wortlaut als der wirkliche als Gedicht desAutors zitiert wird. Es wäre wirklich interessantwomit Herr Dr. Cervinka die Ansicht begründet, dass dieZitierung des Gedichtes keine den Autor betreffende Nach-

richt darstelle, ich glaube, man müsste den Referenten besonders auf den Doppelpunkt und das Anführungszeichenbei der Zitierung des Gedichtes stossen, um ihm seinefalsche Meinung zu nehmen.

Eigentlich habe ich diese Einstellung derRichter niemals befürchtet, sondern mehr, dass sie Bedenkenhaben würden, einen Druckfehler berichtigen zu lassen, vondem man unter Umständen sagen konnte, dass ein aufmerksamerLeser selbst daraufkommen könne, dass es sich um einenDruckfehler handle. Auch in dieser Hinsicht glaube ich aber,dass man eine Ansicht des Richters leicht widerlegen könntedurch einen vor kurzem im Prager Tagblatt vorgekommenenDruckfehler, der zeigt, dass es sich auch hier nur um einenQuantitätsunterschied handelt. Im Prager Tagblatt vom14. Januar 1934 stand auf Seite 3 in einer Besprechung desBuches von TietzeDie Juden von Wien der folgende Satz:

Die ungeheure Mitschuld des Juden-tums an Geist, Gesinnung und Erfolg derPresse hat Kraus von dem assimilatorischenStandpunkt seiner ‚Krone für Zion‘ zu der hef-tigen Verdammung des Jüdischen geführt, diedurch seine Ode ‚Krone für Zion‘ zu der hefti-gen Verdammung des Jüdischen geführt, diedurch seine Ode ‚Gebet an die Sonne von Gibeonbebt.

Dass dem Setzer hier irgend etwas passiertist, wird jeder Leser sofort herausbekommen. Was ihmpassiert ist, aber nur der kundige Leser und auch dieser,der vielleicht nicht über alle Werke Kraus’ orientiert ist,wird als Wahrheit hinnehmen, dass es eine Ode „Krone fürZion“ gibt. Es liegt also tatsächlich eine Behauptung indieser Hinsicht vor, wenn sie auch nicht ausdrücklich ist.Es muss daher dem Autor das Recht zustehen, zu berichtigen,

dass das Werk „Krone für Zion“ keine Ode sondern eineProsaschrift ist. Es geht aus diesem Beispiel auch hervor,dass eine Behauptung nicht nur in Form einer Behauptungsondern durch eine nebensächliche Beifügung aufgestelltwerden kann. Wenn man nämlich zur Erkenntnis gekommen ist,dass die tatsächliche Behauptung nicht an eine bestimmteForm gebunden ist, so wird man leicht einsehen, dass in derZitierung des Gedichtes eine tatsächliche Behauptung vor-liegt und dass die Weglassung des Beistriches nur einQuantitätsunterschied gegenüber einer Wortverstümmelung be-deutet.

Was nun den von Herrn Dr. Stein gemachtenVorschlag, in der Ehrenbeleidigungsangelegenheit betrifft,so ist zwar der prinzipielle Standpunkt, es widersprecheden Grundsätzen seiner Partei auf eine Busse einzugehen,lächerlich. Nichtsdestoweniger hat Herr Kraus Gründe, sichmit der ein wenig abzuändernden Erklärung und Bezahlungder Kosten zu begnügen, unter der Voraussetzung, dass dieErklärung unter dem gleichen Titel veröffentlicht werde,wie seinerzeit der beleidigende Artikel und dass der ver-antwortliche Redakteur sich verpflichtet, zu der Erklärung,zu der Berichtigung und auch zu der etwa auf Grund derBeschwerde zu veröffentlichenden Berichtigung keinen Zusatzzu machen, und auch nicht in einer folgenden Nummer zurMaterie der Ehrenerklärung einen Artikel zu veröffentlichen.Die abzuändernde Erklärung hätte zu lauten:

Erklärung.

In Nr. 19 dieser Zeitschrift vom 26.XI.1933 wurde unter dem Titel „Nachruf auf Karl Kraus“ ein Artikel

veröffentlicht, durch dessen Inhalt Herr Karl Kraus be-leidigt wurde und zwar insbesondere durch die Behauptung,er habe auch während des Weltkrieges nicht gewünscht, dassman von ihm ein eigenes Wort erwarte und erst, als derZusammenbruch der Mittelmächte entschieden war, habe siekeiner so beredt verflucht wie er“, er schweige auch „jetzt,weil er zu tief leide und auch sonst Rücksicht zu nehmenhabe“. Dieser Artikel wurde ohne mein Wissen in Druck gegeben.Ich erkläre, dass diese Behauptungen, insoferne sie sichauf die Haltung des Herrn Kraus während des Weltkrieges be-ziehen, auf unrichtigen Informationen beruht haben und, inso-ferne sie auf sein Schweigen im gegenwärtigen Zeitpunkte Be-zug nehmen, dass das angeführte Motiv unrichtig ist. Ichwiderrufe daher die Behauptungen, durch welche sich HerrKarl Kraus beleidigt gefühlt hat.

Dr. Marie Schnierer verantwortliche Redakteurin.

Sollte Herr Dr. Stein auf diesen Vergleich nicht eingehen,so wäre die Angelegenheit weiter zu führen.

Ich habe Ihnen noch die besten Grüsseund den besonderen Dank des Herrn Kraus für Ihre Mühe zuübermitteln und bin mit dem Ausdrucke vorzüglichster

HochachtungIhr ergebener

KrausGegenangriff23/I.34.