189.91 Entwurf zu der Äußerung zu dem Beweisantrage in der Strafangelegenheit Karl Kraus ca: Gegen-Angriff

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte
  • Oskar Samek, rote Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 10. Januar 1935
Seite von 6

Entwurf

zu der Aeusserung zu dem Beweisantrage in der Strafange-legenheit Karl Kraus ca: Gegen-Angriff.

In der rubrizierten Strafangelegenheithat die Angeklagte Beweisanträge gestellt, in welchen siedarzulegen bemüht ist, dass der inkriminierte Artikel keinerlei Beleidigungen des Privatklägers enthält.

Zu diesen Ausführungen wird zunächst bemerkt: a

1./ Nicht in der Ueberschrift des Artikels ist der SatzWofür doch so ein Karl Kraus alles Kraft, Nerven undZeit hat“ enthalten, sondern im Texte dieses Artikels.Die Ueberschrift lautet „Mut, Verrat oder Feigheit?“.Der ganze Inhalt dieses Artikels ist herauf angelegt, denPrivatkläger zu verspotten, herabzusetzen und lächerlichzu machen. Da bei der Beurteilung des strafbaren Tatbestandesdurch Auslegung des Artikels zu prüfen ist, ob eine Belei-digung vorliegt und dieser Umstand nicht nach einzelnenaus dem Zusammenhange gerissenen Sätzen oder Wendungen,sondern aus dem Gesamtinhalte des Artikels fest-gestellt zu werden hat, ist es klar, dass auch der Ausdruckwofür so ein Karl Kraus alles Kraft, Nerven und Zeit hatsowohl als Beleidigung empfunden werden muss, und zwar (ebenso vom Leser ,wie und vom Beleidigten), als auch in beleidigen-der Absicht niedergeschrieben wurde.

Wenn sich ein Blatt veranlasst sieht, seinen Lesern einenArtikel vorzulegen, in dem die Haltung eines Zeitgenossenbesprochen wird, so muss es wohl überzeugt sein, dass dieserZeitgenosse den Lesern bekannt ist und dass über ihn ver-öffentlichte Artikel bei ihnen Interesse finden.Somit ist es sicher, dass der Autor des Artikels in derUeberzeugung – und diese Ueberzeugung ist wohl auch richtig –,dass seine Leser wissen, um wen es sich handelt, durch dieBezeichnung des Privatklägers, d.i. eines den Lesern bekann-ten Autors, als „so ein Karl Kraus“ die Absicht verfolgt,

hat, den Privatkläger in der öffentlichen Meinung herabzu-setzen und lächerlich zu machen.

Die Wirkung des in der Presse gedrucktenWortes auf primitive, aber auch auf sogenannte intellektuelleLeser ist hinlänglich bekannt und jedermann weiss, wie leichtder Leser dazu gebracht werden kann, das zu glauben, was erin seiner Zeitung zu lesen bekommt. Wenn also in der ZeitschriftDer Gegenangriff“ der Leser, 2 2 den ihm wenigstens dem Namen bnach und durch die wiederholten Angriffe samt Ehrenerklärungen bekannten Privatkläger als „so ein Karl Kraus“ be-zeichnet findet, so versteht spürt er sehr gut wohl den herabsetzendenTon, in welchem vo m Kläger n ihm gesprochen, resp. geschrieben wird,und es ist nicht nur wahrscheinlich, sondern auch begreiflichund gewiss, dass sich ihm der Privatkläger als Begriff einer minderwertigen oder unwürdigen Person imZusammenhang mit der herabwürdigenden Absicht und Ausdrucks-weise des gelesenen Artikels einprägen wird.

Die Angeklagte versucht daher vergeblichvorzutäuschen, dass in dem Ausdrucke „so ein Karl Krauskeine Beleidigung enthalten sei.

Beweis: der inkriminierte Artikel.

3 2./ c Es ist kein Zitat des Privatklägers unter Anklage gestellt, sondern die Mitteilung beleidigender,weil ehrenrühriger Tatsachen. In dem ganzen Artikel handeltes sich um nichts anderes, als darum, dem Leser glaubhaftzu machen, der Privatkläger habe die Polemik gegen Deutsch-lands Machthaber, eine Aeusserung zu der Ermordung ErichMühsam’s und zum Schicksale Karls von Ossietzky aus Feigheitunterlassen und so an seiner eigenen Gesinnung und an derSache der Menschlichkeit Verrat geübt.

Zur Widerlegung dieser unleugbaren Tendenzdes inkriminierten Artikels führt die Beklagte an, man habevom Privatkläger mit Recht voraussetzen können, er werde sichin irgendeiner weise zur Ermordung des Erich Mühsams und zum

Schicksale Ossietzkys’ äüssern. Was „man“ vom Privat-kläger erwartet hat oder erwarten konnte, geht diesen nichtsan. Es ist zwar wohl der einzige Fall in der Geschichte derLiteratur, dass ein Autor zu irgendwelchen Aeusserungen ge-zwungen werden soll und, wenn er diesem Zwange nicht nachgibt,in von Beleidigungen strotzenden Artikeln angegriffen werdend a ü rfte. Ueber diese geistige Tatsache Materie wi ll rd sich jedoch der Privatkläger mit dem Schreiber des Artikels ebensowenig nicht auseinandersetzen, wie und er lehnt es natürlich ab, sich diesem gegenüber zu verantworten, aus welchen Gründen erdie von ihm erwartete Aeusserung unterlassen hat. Er kann je-doch verlangen und muss darauf bestehen, dass er gegen Angriffeauf seine Ehre geschützt werde, die von den Beleidigern mitder Unterlassung irgendwelcher erhoffter oder erwarteter Aeus-serungen begründet werden.

Darüber, was „man“ erwartet hat, können keineZeugen aussagen und der Privatkläger verwahrt sich ausdrück-lich gegen den Versuch, über diesen Umstand den Beweis durch dieZeugenaussage irgendwelcher Schriftsteller oder Journalisten durchführen zu lassen, d

Was der Schreiber dieses Artikels und vielleichtseine Leser erwartet haben, kommt hier nicht in Frage. Es kannkeinem Zweifel unterliegen, dass niemand und insbesondere nicht der anonyme Schreiber oder pseudo- berechtigt ist, wegender Nichterfüllung seiner Erwartung gerade den Privatkläger derFeigheit und des Verrates zu bezichtigen und ihn mit einergrande Cocotte oder einer Klosettfrau zu vergleichen, wobei vom Schreibernoch mit Nachdruck darauf hingewiesen wird, dass man dadurcheiner früheren der Klosettfrau und nunmehrigen grande Cocotte durch einen Vergleich mit dem PK nicht zunahe treten möchte.

Der gegnerische Beweisantrag hat mit dem Wahrheits-beweis über die vom gegen den Privatkläger ausgesagten Tatsachen nichtszu tun, weswegen der Antrag gestellt wird, die angebotenenBeweise nicht zuzulassen.

3./ Auch hier versucht die Angeklagte, durchBestreitung des strafbaren Tatbestandes glaubhaft zu machen,der inkriminierte Artikel habe über den Privatkläger nichts

Beleidigendes ausgesagt. Es hiesse jedoch beim Leser, beimPrivatkläger, aber auch beim Gerichte allzuviel Naivitätvorauszusetzen, wollte man ihnen einreden, der inkriminier-te Artikel enthalte nicht den Vorwurf der Feigheit und desVerrates. Wenn in dem Artikel ausgeführt und tadelnddarauf hingewiesen wird, der Privatkläger habe sich zu derErmordung Erich Mühsams und zum Schicksal Karls von Ossietzky nicht geäussert und es unterlassen, gegen das Hitlerregimezu schreiben und wenn hiezu gesagt der an und für sich unlogische Satz gefügt wird „denn Polemik er-fordert entweder Mut oder ist Feigheit oder Verrat und keinePolemik ist auch eine Polemik“, so kann diese Darstellungkeinen anderen Sinn haben, als den, beim Leser den Eindruckzu erwecken, der Privatkläger habe die Polemik aus Feigheitunterlassen und Verrat geübt. Wenn also auch die Angeklagte leugnet, dass dies in dem inkriminierten Artikel behauptetworden sei, so ist sie nicht nur durch den Artikel selbstüberführt, sondern e auch durch die weiteren in diesem Punkte schon durch den Satz der ihrer Ausflucht auf dem Fuße folgt. 5 ihres Beweisantrages enthaltenen Es folgen nämlich Ausführungen, in denendarauf hingewiesen wird, dass der Privatkläger allerdingsfrüher, in und nach dem Kriege, mit den Repräsentanten desdamaligen Regimes heftig polemisiert habe, insbesondereauch mit Schober, dass er Anhänger des demokratischen Regimesund der sozialdemokratischen Partei gewesen sei und erstvon der Zeit an, in welcher ein Wechsel im Regime Deutsch-lands und Oesterreichs eingetreten ist, die Polemik mit diesenfaszistischen Regimen, insbesondere mit dem Dollfuss’, Feys und Schuschniggs eingestellt, daher seine früher demokratischeGesinnung geändert habe. b

Auch über diesen Umstand geistigen Sachverhalt , der mit dem Prozesse gar nichts zu tunhat, beantragt die Angeklagte die Einvernahme von Schrift-stellern und Journalisten als Zeugen wiederum in der Absicht, das Verfahrenzu verschleppen und von dem eigentlichen Prozessgegenstandabzulenken. Es kann nicht Gegenstand dieses Prozesses sein,festzustellen, ob und in welcher Weise der Privatkläger in

früheren Zeiten mit den gegen die Repräsentanten des damaligen Regimespolemisiert hat, nicht einmal, ob er es unterlassen hat, gegendas gegenwärtige Regime zu schreiben. In diesem Prozesse kannund muss allein festgestellt werden, ob der Autor des inkri-minierten Artikels berechtigt war, zu behaupten, der Privat-kläger habe die Polemik aus Feigheit unterlassen und dadurchan der Menschheit Verrat geübt. Selbst wenn es wahr wäre,dass ein Wandel in seiner Gesinnung eingetreten ist, dürfteniemand die Behauptung aussprechen, dass dieser Wandel ausFeigheit und Verrat eingetreten ist.

Deswegen wird auch bezüglich dieses Punktes gegen die Zu-lassung irgendwelcher Zeugen über die Aeusserungen des Pri-vatklägers in früherer Zeit als nicht zum Prozesse gehörendVerwahrung eingelegt. 6

4./ In dem inkriminierten Artikel wird der Privat-kläger deswegen angegriffen, weil es nach Ansicht des Autors seine Pflicht gewesen wäre, gegen den Hitlerfaszismus, dasösterreichische Regime zu polemisieren und zum Tode ErichMühsam’s und zum Schicksale Karls von Ossietzky eine Aeusse-rung abzugeben. Anschliessend daran wird das, was die An-hänger des Privatklägers angeblich zu dessen Verteidigunganführen, glossiert. Die Rechtfertigung durch diese Anhängerdurch den Hinweis auf die früheren Verdienste des Privat-klägers wird vom Schreiber des inkr. Artikels abgelehnt. Hiezu wird bemerkt er: „Es gibt Leute,welche trotz aller Verdienste heute Hitlerbarden sind – lauteund schweigende. Was beweist das für die Gegenwart, was einerfrüher war? Ein Herr mit besserer Vergangenheit. Ich kenneeine Klosettfrau, die früher einmal eine grande Cocotte war./ womit aber nichts gegen Klosettfrauen gesagt sein soll /.E Ja wohl, Ganz gewiss, es ist zwar richtig, dass es sich hier um eine Polemik mit denAnhängern des Privatklägers handelt, jedoch unzweifelhaft,dass in dieser Polemik die Person des Privatklägers,einer Klosettfrau und früheren Cocotte in der Absicht gegen-übergestellt wird, um ihn in der allgemeinen

Meinung herabzusetzen und verächtlich zu machen. Es ist geradezu lächerlich phantastisch , in welcher dürftiger Weise die Angeklagte diesenklaren Tatbestand zu verschleiern sucht und wie sie dem Ge-richte vorzutäuschen bemüht ist, dass die in dem inkriminier-ten Artikel verwendeten Ausdrücke keine Beleidigung des Pri-vatklägers enthalten. In ihrer zur Verteidigung vorgebrach-ten Darstellung ist die Angeklagte bemüht, glaubhaft zu machen,dass der Gegenangriff als kommunistisches Blatt eine grandeCocotte oder eine Klosettfrau als ehrlich arbeitende Fraunicht in einer für den Privatkläger beleidigenden Absicht zumVergleiche mit diesem herangezogen haben kann und bemerkt noch glaubt besonders schlau zu sein, wenn sie naiv mit Unschuldsmiene , dass dies umsoweniger der Fall sein könne, weil ja aus-drücklich bemerkt beigefügt worden sei, dass damit gegen Klosettfrauennichts gesagt sein soll. Mit dem gleichen Mass von Logik wird Und noch schlauer und unschuldiger glaubt sie zu sein, wenn sie behauptet, dieser Passus betreffe ja überhaupt nicht den Pri-vatkläger, sondern die Hitlerbarden, welche trotz ihren frühe-ren Verdiensten heute begeisterte Verehrer des Faszismus sind.Und für diese Auslegung beruft sich die Angeklagte auf die Zeugenaussagen von Schriftstellern! Es ist wohl überflüssig,darzulegen, warum und in welchem Masse diese Verteidigungder Angeklagten unhaltbar unmöglich ist und dass die Zumutung eine Beweisführung überdiesen Punkt nicht nur überflüssig, sondern unstatthaft ist. wohl nur als Missbrauch der Geduld des Gerichtes aufgefasst werden kann.

Deswegen wird der Antrag wiederholt, es mögeden Beweisanträgen der Angeklagten nicht stattgegeben und dieseder Anklage gemäss verurteilt werden.