189.90 Entwurf zur Äußerung und zu den Beweisanträgen Maries Schnierers

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 10. Januar 1935
Seite von 11

a)

Der Privatkläger empfindet es als äusserst deprimierend, jageradezu demütigend, sich auf das juristische, logische wieethische Niveau solcher Argumentation begeben zu sollen, undkann es gar nicht begreifen, dass ein Angeklagter, der dochjuristisch beraten wird, einem Gericht zumutet, sich mit einemsolchen Wust aus Unwahrhaftigkeit und Ausflucht ernsthaft zu be-fassen. Vielleicht findet diese Zumutung darin ihre Erklärung,dass der Angeklagten nichts anderes möglich war, als zu solchemMittel zu greifen, das sicherlich von ihrer grössten Verlegen-heit eingegeben ist. Nachdem sie nämlich für Beleidigungen ana-loger Art eine Ehrenerklärung mit gänzlicher Zurückziehung derAnwürfe hatte veröffentlichen müssen und zwar wegen ungenauerWiedergabe nicht weniger als dreimal, (Anmerkung für Dr. Turnovsky:eventuell Angabe der Nummern und deren Vorlage) war – sicheremVernehmen nach infolge Weigerung des derzeit in Paris ansässigenBerliner Geldgebers namens Münzenberg – ein Stillstand in der ver-unglückten Offensive gebenden Privatkläger eingetreten, ja esmusste sogar ein auf der Titelseite einer Nummer angekündigterSchmähartikel mit dem lügnerischen Titel „Karl Kraus gleichge-schaltet“ (Anmerkung für Dr. Turnovsky: eventuell Nummernangabeund Vorlage) im letzten Augenblick ausgemerzt werden, was inPrager eingeweihten Kreisen grosse Heiterkeit erregte. Privatimwurde belustigten Neugierigen ein „technisches Hindernis“ alsGrund des Nichterscheinens angegeben und späteres Erscheinen inAussicht gestellt. Statt dessen erschien aber eine drollige Brief-kastennotiz, in der es hiess, der angekündigte Artikel sei nichterschienen, weil ohnehin alles gegen den Privatkläger zu Sagendeschon ausgesprochen sei. Dann aber erfolgte offenbar ein Wechselder Direktive und es erschien der nunmehr inkriminierte Schmäh-artikel, der alles wiederholt, wofür die Angeklagte bereits Ab-bitte geleistet hat.

Zu den Ausflüchten, durch die dieser Artikel als nichtbeleidigend dargestellt wird, sei, da man sich nun einmal mitihnen befassen muss, bemerkt:

b)

Wenn also in der Zeitschrift „Der Gegenangriff“ der Leser– selbst der dem der Privatkläger auch nur dem Namen nach undjedenfalls durch die wiederholten Angriffe samt Ehrenerklärungenbekannt – den Privatkläger als „so ein Karl Kraus“ bezeichnetfindet …

c)

Die Behauptung, der Privatkläger stellesein eigenes Zitat, durch das er sich doch nicht selbst beleidigtfehlen könne, unter Anklage, wäre auch dann absurd, wenn diesesZitat im Schriftsatz richtig wiedergegeben wäre. Das Zitat lautet:Polemik ist Mut, Verrat oder Feigheit.“ Dieser Satz ist an undfür sich unverständlich, weil aus dem Zusammenhang gerissen.(Anmerkung für Dr. Turnovsky: Es ist Ihnen überlassen, das ganzeZitat zu bringen. Im Zusammenhang lautet das Zitat: „Polemik istMut, Verrat oder Feigheit. Entweder es geht einer gegen die vielenlos oder einer von den vielen gegen die vielen oder einer von denvielen gegen den einen. So mutig der Starke ist, der den Schwachen,so feig ist der Schwache, der den Starken angreift. Denn der Schwa-che hat hinter sich eine Armee von Schwachen. Kehrt er sich, auf-gehetzt von einem missverstandenen Vorbild, gegen seinesgleichen,so wird er zum Verräter. Alle Freibeuter der modernen Meinung han-deln so schimpflich. Es sind Spiessbürger, die aus der Reihe tre-ten.“ „Nachts, Seite 37.“) In der Anwendung des Satzesauf seinen Autor liegt die Beleidigung, weil der Satz für denLeser, der die Fortsetzung im Original nicht kennt, selbstver-ständlich keine andere Deutung zulässt, als dass der Autor, sei esals Verräter oder als Feigling oder als beides hingestellt werdensoll, keineswegs als mutiger. Es wirkt einfach als Scherz, diebeleidigende Absicht der Anwendung eines Satzes, den ein Autorgeschrieben hat, grundsätzlich auszuschliessen. Wenn jemand dieStelle bei Shakespeare: „… dass einer lächeln kann und immer

c) Fortsetzunglächeln, und doch ein Bube sein“ auf den Autor anwenden wollte,so wäre Shakespeare zweifellos beleidigt. Es ist jedoch grotesk,sich darauf auszureden, dass Zitat des Privatklägersals solchessei in keiner Weise anstössig. Gewiss war der Aphorismus, den derPrivatkläger einst schrieb, nicht „anstössig“, da er sich jagegen keine bestimmte Person kehrte, aber anstössig ist seine An-wendung auf eine bestimmte Person und natürlich auf den Autor umsomehr, der nicht nur beleidigt, sondern mit seinen eigenenWorten verspottet werden sollte.

d)

Selbst wenn die Zeugenschaft mancher von ihnen nicht wegen ihreranalogen Gehässigkeit bedenklich wäre, so liegen analoge publizi-stische Handlungen vor, deren Verfolgung sich der Privatkläger vorbehält. Allesamt jedoch sind sie nicht berufen, sich darüberzu äussern, was „man“ erwartet hat. Die Nichterfüllung dieserErwartung eines Ausspruchs, auf den kein Recht besteht, könnteder Ehre des Privatklägers nicht Eintrag tun. Dass diese Nicht-erfüllung in zwei so tragischen Fällen tatsächlich erfolgte,wird ja keineswegs in Abrede gestellt. Dafür ist die Tatsachefestzuhalten, dass das „erwartete“ dreihundertfünfzehn Seitenstarke Heft der Fackel mit der umfassendsten Darstellung derSchmach und Schande, die das Regime des dritten Reiches bedeutet,fast gleichzeitig mit dem Schmähartikel des „Gegenangriff erschienen ist. Aber in eben diesem Hefte ist auch der ungeheureZwang dargestellt, der es unmöglich macht, sich der einzelnenOpfer mit Nennung ihres Namens anzunehmen. Es ist aber fernerdie empörende Verantwortungslosigkeit emigrierter Journalistendargestellt, die von mitleidigen Besuchern eines Konzentrations-lagers beschworen wurden, den Fall Ossietzky nur ja nicht zuberühren, weil nachweislich jede Erwähnung zugunsten eines Opfersdurch die ausländische Presse die Wut der Peiniger vermehre.Es ist charakteristisch, dass gerade jenes Emigrantenblatt, daseiner der von der Angeklagten geführten Zeugen redigiert, (Anmer-kung für Dr. Turnovsky: Es ist dies Herrmann Budislavský, Zeugenhiefür sind: Erich Heller und Willi Schlamm in Prag, ratsam, erstdann zu nennen, wenn die Zeugen zugelassen würden,) im Besitzeiner solchen schriftlichen Bitte war, und es ist eine Schmach,dass dieser Bitte nicht entsprochen wurde. Die Furchtbarkeit desdeutschen Ereignisses besteht ja gerade in jenem erpresserischenGeisselsystem, und vielleicht wäre der arme Erich Mühsam noch amLeben, ja vielleicht überhaupt nie misshandelt worden, wenn sichnicht die glücklich geretteten Kameraden, denen ja die körperlicheRettung gewiss zu gönnen ist, im Auslande zu einer publizistischenTätigkeit entschlossen hätten, die, im allgemeinen wirkungslos,im einzelnen Fall schädlich gewirkt hat. In jenem Heft der Fackel,

d) Fortsetzungdessen Erscheinen die gleiche Sorte urgiert hat, ist die Unsitt-lichkeit, ja Erbärmlichkeit der „Erwartung“ einer Polemik, dieGrausamkeit solches falschen Samaritertums und insbesondere dieFeigheit, solches, zumal wie im „Gegenangriff„“ anonymen Heldentumsgebrandmarkt.

e)

schon durch den Satz, der ihrer Ausflucht auf dem Fusse folgt.In diesem ihrem eigenen nächsten Satz schon, der mit einem völligunlogischen und unwahrhaftigen „Allerdings“ anschliesst, wird derVorwurf des Verrates wiederholt.

f)

Es gehört viel Mühe dazu, diesen logischen Unsinn zu entwirren,die Angeklagte behauptet, mit Anerkennung, dass der Privatkläger gegen ein Regime, das also offenbar von ihrem Standpunkt ausein reaktionäres war, heftig polemisiert hat, aber von der Zeitan, in welcher ein „Wechsel“ im Regime – man musste also glauben,ein Wechsel nach der Freiheit hin – eingetreten ist, habe erseine Gesinnung gewechselt. Also könnte man fragen, ob eigentlichmehr ein Regime – oder ein Gesinnungswechsel vorliegt.

Es ist ganz richtig, dass der Privatkläger in und nachdem Krieg gegen die Repräsentaten des damaligen Regimes heftigpolemisiert hat, insbesondere gegen Schober, und er hat kein Jotavon dieser Polemik zurückgenommen. Nicht wahr ist dagegen, dass erAnhänger der sozialdemokratischen Partei gewesen ist, vielmehrwaren die Sozialdemokraten seine Anhänger und vielfach noch lange,nachdem er ihre Führer ganz so wie jetzt in ihrer Halbschlächtig-keit (Halbheit) entlarvt und ihre Sünden am armen Proletariatgegeisselt hat, (dessen sich der Privatkläger stets in Wort und

f) FortsetzungSchrift annahm, für das er Vorlesungen hielt, für dessen menschlicheund soziale Rechte er eintrat, und dessen Wohlfahrtszwecken er zahl-lose Male den vollen materiellen Ertrag seiner Vorlesungen widmete.)Der Satz „Erst von der Zeit an u.s.w. bis hat er eingestellt“ istin sich ein Unsinn und widerspricht, soweit ihm ein Sinn entnommenwerden kann, dem wahren Sachverhalt. Der Privatkläger hat invölliger Konsequenz seiner früheren Haltung die Untauglichkeit derösterreichischen Parteiführer zur Abwehr Hitlers und die Zärtlich-keit des Märtyrers Dollfuss besprochen. Diese Haltung konntedem Autor des beleidigenden Artikels, der eine Wochefrüher erschienen war, als das Heft der Fackel, nicht bekannt sein.Ein Regime Schuschnigg hat es weder im Zeitpunkte des beleidigendenArtikels, noch des Erscheinens der Fackel, die dem lebenden Dollfuss gerecht wird, gegeben. Der Privatkläger hat lediglich fast gleich-zeitig mit der Schmähung im „Gegenangriff“ ein grosses Heft gegendas Dritte Reich und für dessen mutigsten Bekämpfer erscheinenlassen.

g)

Dagegen wäre der Privatkläger in der Lage, dokumentarische Beweiseund Zeugen zu führen, dass er seit sieben Jahren und ganz umfassendim Jahre 1932 in der Abhandlung „Hüben und Drüben“ die vehementesteKritik an den untauglichen Führern der österreichischen und deutschenArbeiterschaft geübt hat, was den kommunistischen Kreisen, denender „Gegenangriff“ zugehört, sehr wohl bekannt ist, welche sogarwissen, dass der Aufsatz „Hüben und Drüben“ in russischen Schulenals instruktivste Klarstellung der Unzulänglichkeit der österrei-chischen Führerschaft vorgetragen wird. Die Aeusserungen aus frü-herer Zeit liegen vor, können nicht in Abrede gestellt werden, undnichts liegt dem Autor ferner, als sie zurückzunehmen. Ob irgend-welche Literaten diese offenbar nicht erfasst haben, einen „Wider-spruch“ zwischen diesen Aeusserungen, einem „Schweigen“, welchesdurch ein Gedicht klar ausgedrückt und motiviert war, so wie heutigen

g) FortsetzungAeusserungen des Autors bemerken wollen und für ehrenrührig halten,ist ihre Privatangelegenheit und nicht Sache einer gerichtlichenTatsachenerhebung.

h)

4./ Den äussersten Versuch, durch Gerede über einenklaren Sachverhalt von Beleidigung hinwegzukommen, stellt dieservierte Punkt dar. Zu sagen, der Privatkläger sei „nicht mit einergrande Kokotte oder mit einer Klosettfrau verglichen worden“,es handle „sich vielmehr um eine Polemik mit den Anhängern desPrivatklägers und gegen deren irrige Ansichten“, stellt wohl einstarkes Beispiel von unredlicher Verantwortung vor. Diese wird abernoch übertroffen durch das Ansinnen, der Zusatz, der Autor desArtikelswolle gegen Klosettfrauen nichts gesagt haben, die jagewiss eben so ehrlich arbeitende Frauen sind, wie irgendwelcheandere Arbeiterinnen“, (was „sogleich beigefügt worden sei“!),wäre keine Beleidigung, sondern geradezu eine Ehrenrettung desPrivatklägers. Und der Gipfel ist wohl erreicht durch die Beteuerungkeinesfalls jedoch“ sei etwas Herabsetzendes gesagt, weil ja dochgar nicht „vom Privatkläger die Rede ist, sondern nur von ‚Hitler-barden‘, die heute begeisterte Verehrer des fascistischen Regimessind, wie zum Beispiel ein Herr Benn“, von dem doch ganz gewissnicht „die Rede“ ist. Noch gewisser aber ist die Wahrheit undganz ausdrücklich die Rede nicht von Herrn Benn sondern von KarlKraus. Es liegt also der dreisteste Versuch vor, den eigenen Texthinwegzulügen und durch einen nichtvorhandenen zu ersetzen.

Es ist gegen alle derartigen Versuche mit untauglichenund absurden Mitteln einfach festzustellen: