189.111 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 17.IV.1935
Betreff: Kraus – AUFRUF

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich habe den mit Ihrem gesch. Schreibenvom 5. d.M. eingesendeten Schriftsatz übersetzt und bei Gericht überreicht. Bei der heutigen Hauptverhandlung waren die Ange-klagten, von denen nur Ing. Butschowitz erschienen ist, aber-mals durch Herrn Dr. Maxim Reiner vertreten. Ich habe IhremWunsche entsprechend zur Sprache gebracht, dass die Angeklagten,trotzdem sie jedenfalls eingesehen haben, dass sie die Ehredes Privatklägers in strafwürdiger Weise verletzt haben, unddeswegen bereit waren, eine Satisfaktionserklärung abzugeben,sich grundlos weigern, die durch ihre strafbare Handlung ent-standenen Kosten zu ersetzen. Ich habe weiters auf die unrich-tige Zitierung jener Stellen der FACKEL 890 bis 905 hingewie-sen, die den Angeklagten Butschowitz überhaupt nicht betreffenund auf den sicherlich auffallenden Umstand, dass der inkrimi-nierte Artikel gerade auf diese Stellen reagiert, aber bezeich-nenderweise mit keinem Worte jener Stellen Erwähnung tut, diesich in schonendster Weise mit der Person des Autors des inkri-minierten Artikels befassen.

Der Vorsitzende erklärte, er könne auchnach der Lektüre der offenbar durchaus entsprechenden Uebersetzungdes inkriminierten Artikels nicht klug werden und verstehe, auf-

richtig gesagt, den Inhalt des Artikels in tschechischer Ueber-setzung ebensowenig, wie das deutsche Original. Als ich daraufhinwies, dass es Sache der Angeklagten sei, den Wahrheitsbe-weis durchzuführen, erklärte der Verteidiger, der inkriminierteArtikel sei eine Erwiderung der im FACKEL-Hefte 890 bis 905 abgedruckten Publikation des Privatklägers, stelle eine reinliterarische Kritik, evtl. eine Satire dar, welche jedoch dieGrenzen einer berechtigten Kritik nirgends überschritten habe.Er führte ferner aus, dass in dem Presseprozess gegen Dr. Ing.Emil Strauss gleichfalls der Beweis durch das Fackelheft 890–905 angeboten und angeordnet worden sei, dass in diesem Prozessedem Angeklagten aufgetragen wurde, eine beglaubigte Ueber-setzung des erwähnten Heftes der FACKEL binnen 6 Monaten vorzu-legen, weswegen er, der gleichfalls den Beweis durch diese Pu-blikation des Privatklägers beantragt und zwar darüber, dassder inkriminierte Artikel eine Kritik des erwähnten Artikels des Privatklägers darstelle, den weiteren Antrag stellt, dieHauptverhandlung möge bis zur Vorlage der Uebersetzung der zumBeweise herangezogenen Publikation des Privatklägers durch denAngeklagten im Presseprozesse gegen Dr. Strauss unterbrochenwerden.

Ich habe mich dagegen verwahrt und daraufhingewiesen, dass dieser Antrag nur auf eine Verschleppung desProzesses hinziele, zumal zur Durchführung des Wahrheitsbeweisesder Nachweis erbracht werden müsse, dass die in dem inkriminier-ten Artikel dem Privatkläger zugeschriebenen Handlungen und Ge-sinnungen tatsächlich vorliegen, was auch durch die Vorlage derFackelhefte Nr. 890 bis 905 nicht bewiesen werden könne.

Das Gericht hat nach langer Beratung be-schlossen, die Hauptverhandlung bis zum 1.IX.1935 zu vertagenund den Beschluss damit begründet, dass sich die Beklagten zuihrer Verteidigung darauf berufen, der inkriminierte Artikel seieine Kritik der Publikation des Klägers / FACKEL 890–905 / und dassdaher das Gericht, um beurteilen zu können, ob diese Kritik berech-tigt war, diese Publikation des Privatklägers kennen müsse.

Als ich nachher den Vorsitzenden darauf auf-merksam machte, dass es ausgeschlossen ist, dass Dr. Schwelb indem anderen Prozesse eine Uebersetzung der Fackelhefte 890–905 vorlegen werde, ebenso wie die Vorlage dieser Uebersetzung durchdie Angeklagten in diesem Prozesse nicht erfolgen werde, erklär-te der Richter, dann werde man eben den Wahrheitsbeweis als ge-scheitert ansehen müssen, weswegen er der Ansicht sei, dass dieAngeklagten besser daran täten, den Prozess jetzt durch Veröf-fentlichung der Satisfaktionserklärung und Bezahlung der Prozess-kosten zu beendigen. Da jedoch Dr. Reiner mitteilte, seine Klientenhätten die Bezahlung der Kosten strikte abgelehnt, ist es beider Vertagung der Hauptverhandlung geblieben.

Betrifft: MELANTRICH.

Während ich heute bei Gericht war, meldetesich als Vertreter des Melantrich Herr Dr. Krousky, ein ältererKollege, nationalsozialistischer Senator und Funktionär dernationalsozialistischen Partei, und liess mich ersuchen, in derAngelegenheit nichts zu unternehmen, bevor er mit mir nicht verhandelt hat. Da ich mich nicht selbst meinen will, zumal wir es

sind, die von der Gegenpartei etwas zu fordern haben, will ichseinen neuerlichen Anruf abwarten.

Betrifft: GEGEN-ANGRIFF-Ehrenbeleidigung.

Ich sprach heute mit dem Referenten, wel-cher mir mitteilte, er habe den Einstellungsbeschluss bereitsvorbereitet und Dr. Sigmund Stein vorgeladen, um ihm mitzuteilen,dass die Einstellung unverzüglich erfolgen wird, wenn die ord-nungsmässige Veröffentlichung der Satisfaktionserklärung und Be-zahlung der Kosten innerhalb der kürzesten Frist nicht nachgewie-sen sein sollte.

Indem ich Sie bitte, diese Mitteilungenzur Kenntnis zu nehmen und an Herrn Kraus weiterzuleiten, michdiesem bestens empfehlen lasse und Sie herzlichst grüsse, zeichne ich

mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hochachtungergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf19. APR. 1935