195.37 Entwurf eines Schriftsatzes in der Angelegenheit Kraus – Aufruf

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, schwarze Tinte

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
Datum: 5. April 1935
Seite von 15

Entwurf eines Schriftsatzes in der AngelegenheitKrausAufruf.

Da nunmehr die Uebersetzung des inkri-minierten Artikels des ErstangeklagtenDie Fackel schweltdem Auftrage gemäss vorgelegt ist, obliegt es dem Privatan-kläger zu dem von den Angeklagten kurz vor der letzten Haupt-verhandlung eingebrachten Schriftsatz Stellung zu nehmen.Selbstverständlich kann es nicht Zweck dieses Schriftsatzessein, sich mit der Meinung der Angeklagten polemisch ausein-anderzusetzen. Für das gemeingefährliche Walten der Journalistikgibt es leider noch kein Forum, das ihre Verantwortlichkeit fest-stellen und sie zur Rechenschaft ziehen könnte. Schon die Meinungvon Journalisten, auch wenn sie nicht beleidigende Formen an-nimmt, kann ja gemeinschädlich sein. Die Angeklagten haben sichaber dafür zu verantworten, dass sie bei der Darstellung ihrerMeinung Behauptungen aufgestellt haben, die die Ehre des Privat-klägers angreifen; dafür müssen sie sich verantworten und dafürmüssen sie bestraft werden, wenn sie nicht die Wahrheit solcherBehauptungen beweisen. Dieser Bestrafung können sie aber auchdann nicht entgehen – sie erbrächten denn den Beweis der Wahr-heit ihrer Behauptungen –, wenn der inkriminierte Artikel wirk-lich „eine literarische Kritik“ darstellte, denn sie haben ebendie zulässigen Grenzen einer solchen literarischen Kritik über-schritten, wenn sie ihr einen beleidigenden Inhalt gaben, fürdie sie den Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen in der Lage sind.Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die Behauptungen:

1.) die Arbeit des Privatklägers zeige deutlich paranoischeZüge;

2.) der Privatkläger unterlasse die Polemik gegen das Hitler-

regime (was er nicht tut) nur deshalb, weil er an der Gefahr,die sie für die in Deutschland Lebenden mit sich bringe be-teiligt, durch sie also mitgefährdet sei, behaupte jedoch, siezu unterlassen, um die Gefährdung der Anderen zu vermeiden,diese Behauptung sei aber nur eine Ausrede, er sei also einLump;

3.) der Privatkläger lehne es in massloser Selbstüberschätzungab, das zu tun, was andere tun, nämlich den von ihm selbst alsgerecht und notwendig erkannten Kampf gegen Hitler zu führen,weil er seine Anhänger durch seinen originellen Standpunkt ver-blüffen wolle;

4.) der Privatkläger wolle durch längeres Nichterscheinenseiner Zeitschrift „Die Fackel“ bei seinen Lesern eine erhöhteSpannung und Neugierde hervorrufen, wodurch dann der Absatz derZeitschrift erhöht werde;

5.) der Privatkläger habe mit den rücksichtslosen Methoden desKapitalisten, nach Bankierart, mutwillig mit der tschechoslova-kischen Exekutivgewalt gedroht, um sein Recht durchzusetzen,sich aber selbst strafbare Handlungen zuschulden kommen lassen,in dem sicheren Gefühl, es könne ihm, da er inzwischen füreinen glühenden Feyanhänger(!) gehalten werde, nichts geschehen;

6.) der Privatkläger trete für die endgültige Beibehaltungeines Zustandes ein, der immer wieder nur Qualen, Wildheit,Unterdrückung produzieren könne, was keinem Ehrbaren gestattetsei;

7.) der Privatkläger tue dies, weil er persönlich eine gesicher-te Stellung zu verlieren habe, er sei vom Glanz der siegreichenChristenkanonen mürbe gemacht worden; –

es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass diese Behauptungen

beleidigend sind und die Straflosigkeit der Beschuldigten nurdann eintreten könnte, wenn sie die Wahrheit dieser Behauptun-gen bewiesen. Diesen Beweis müssten sie selbst dann erbringen,wenn es wahr wäre, wie der Schriftsatz der Beschuldigten be-hauptet, dass der Privatkläger in seiner Abhandlung vom Juli1934in höchst beleidigender Weise demokratische und sozialisti-sche Schriftsteller angreift, ohne eine Menge von Ausfällen zuvermeiden“. Diesen angegriffenen demokratischen und sozialisti-schen Schriftstellern steht kein anderes Recht zu, als denPrivatkläger wegen seiner bewusst beleidigenden Behauptungenzu verklagen und seine Bestrafung durchzusetzen, wobei diesemnatürlich wieder das Recht offen stehen müsste, die Wahrheitseiner Behauptungen zu beweisen. Gegen den Privatkläger wurdeaber in keinem einzigen Fall eine Privatklage von seiten derdemokratischen und sozialistischen Schriftsteller erhoben, ge-schweige denn, dass eine solche Anklage aus dem Grunde miteinem Freispruch des Privatklägers enden würde, weil der öster-reichische Richter aus Parteilichkeit ein Gerichtsurteil zuGunsten des Privatklägers fällen würde. Die Angriffe des Privat-klägers gegen demokratische und sozialistische Schriftsteller,die übrigens seit vielen Jahren, vielfach seit jeher vom Privat-kläger erhoben wurden und keine Enttäuschung oder gar Erregunghervorrufen könnten, müssen also füglich bei der Beurteilung desvorliegenden Falles ausser Betracht bleiben, und die Abhilfe,die etwa von ihm Beleidigte sich verschaffen könnten, kann nichtin der Veröffentlichung von Ehrenbeleidigungen mit unwahren Be-hauptungen liegen, sondern lediglich in der eigenen Anklage.Vielleicht könnte man noch jene Art der Reaktion auf Beleidi-gungen gutheissen und als Milderungsgrund betrachten, wenn be-

reits einmal der vergebliche Versuch gemacht worden wäre, sichgegen den Privatkläger in Oesterreich Recht zu verschaffen.Solange aber dieser Versuch nicht unternommen worden ist, mussdie grundlose Verdächtigung des österreichischen Richters alsein Bestreben aufgefasst werden, sich dem vom Privatkläger ge-führten Wahrheitsbeweis zu entziehen und vor der Oeffentlich-keit von den eigenen Handlungen abzulenken. All dies behielteseine Geltung auch dann, wenn der Erstangeklagte persönlichin der von ihm angegebenen Weise angegriffen worden wäre. Diesist aber keineswegs der Fall. Unter den demokratischen undsozialistischen Schriftstellern, denen die Angriffe des Privat-klägers im Juliheft 1934 der Fackel galten, wurde der Fall desErstangeklagten ganz besonders behandelt. Er hatte in derNummer vom 1.11.1933 in der Zeitschrift „Der Aufruf“ einenrecht naiven und etwas wirren Artikel unter dem Titel „KarlKraus’ Abschied?“ geschrieben, in dem er die müssige Frage er- örterte, ob das Schweigen des Privatklägers zu den Ereignissenin Deutschland dadurch bewirkt worden sei, dass „die Resignationin ein Herz eingezogen ist, das bisher nicht nur frei davonwar, sondern das alle Gegengifte der Resignation verbreitet undgezüchtet“ habe oder ob es „ein Atemholen, ein Zusammenkauern vordem Ausschreiten“ sei. Er schloss seinen Gedankengang mit denfolgenden Worten: „Eine schwärende, stinkende Krankheit liegtauf Europa. Es gibt einen Arzt, der im Besitze eines Instrumentesist um ihre Gehirnmetastase erfolgreich zu behandeln. Wir rufenihn. Es gibt eine geistige Kraft, die imstande ist die läppischenWidersprüche teutonischen Wesens zu polemischer Schärfe zuzu-spitzen, die Untaten darzustellen und den Kern blosszulegen.Wir brauchen diese Kraft, Karl Kraus, lassen Sie uns nicht im

Stich!“ Im Gegensatz zu anderen demokratischen und sozialisti-schen Schriftstellern, die sich publizistisch beleidigend ge- äussert haben, und Personen, die sich in lästigen Briefen anden Verlag der Fackel gewendet haben, mit der Aufforderung, dassein Heft erscheinen möge oder mit dem Vorwurf, dass der Privat-kläger Rücksicht zu nehmen habe, konnte damals dem Erstangeklag-ten noch zugebilligt werden und wurde ihm tatsächlich zugebilligt,dass er nur geistig der Situation nicht gewachsen sei, die un-heilvolle Wirkung der Entgegenstellung des Wortes gegen die Ge-walt nicht durchdenken könne, nicht erfasste, dass man durchdie Behandlung ihres Falles die Opfer der Willkür nicht rette,sondern den Umkreis des Verderbens erweitere, dass also der Ver-gleich mit einem Arzt, der eine schwärende und stinkende Krank-heit erfolgreich behandeln könne, zwar journalistisch ausgeführtwerden, aber vor der Wirklichkeit nicht standhalten könne. Die-se überaus glimpfliche Behandlung einer publizistischen Regungvergilt nun der Erstangeklagte damit, dass er sich in die Reihederjenigen drängt, die den Privatkläger beleidigten und deswegenzur Verantwortung gezogen werden mussten. Da aber die ihm wider-fahrene, fast mitleidige Behandlung seine beleidigenden Ausfällegegen den Privatkläger keinesfalls rechtfertigen, ja nicht ein-mal die Erregung begründet erscheinen lassen, auf die sich derErstangeklagte gleichfalls ausredet und die später besprochenwerden soll, so usurpiert er – vielleicht gerade aus gekränktemEhrgeiz – die Rolle der schwergetroffenen „demokratischen undsozialistischen Schriftsteller“, gegen die sich die Angriffe desPrivatklägers im Juli-Heft der Fackel tatsächlich richteten. Erzitiert im Schriftsatz eine grosse Anzahl von Worten aus diesenAngriffen, verschweigt aber geflissentlich, dass sich diese An-

griffe überhaupt nicht mit seiner Person beschäftigen, sondernmit anderen Personen respektive mit einem aus vielen Personenkonstruierten Typus, während gerade seine eigene Person selbstän-dig und erkennbar in der nachsichtigsten Weise behandelt wurde.Denn alle diese vom Erstangeklagten zitierten Angriffe, auf dieauch noch in manchen Einzelheiten zurückgekommen werden muss,richteten sich gegen den oben geschilderten Typus und dies wurdeauch ausdrücklich bemerkt. Auf Seite 39 des Juli-Heftes derFackel war einem fingierten lästigen Anfrager geantwortet: Ausserdem verraten wir Ihnen, dass Sie gar nicht vorhandensind, sondern dass wir Sie uns als Extrakt aus solchen, diegleichfalls nicht vorhanden sind, hergestellt haben, aus denbescheidenen Fragern, kühneren Anzapfern, hauptsächlich aberden Enttäuschten, die sich durch langjährigen falschen Gebraucheiner Lektüre der Fackel berechtigt glauben, den, der nichtStellung nehmen will, zu stellen.“ Aus der selbständigen Be-handlung des Erstangeklagten gegenüber der allgemeinen Behandlungdes Typus, der jene zitierten Stellen entnommen sind, ergibtsich die vollkommene Unrichtigkeit der Behauptung, der Erstange-klagte sei durch die von ihm zitierten Stellen betroffen. Ueber-dies sind diese Stellen, so wie sie zitiert werden, vollständ-lich unverständlich und, wenn das Gericht nicht das Juli-Heftder Fackel als Ganzes zu Gesicht bekommt, (zu dessen Vorlagewohl nicht der Privatkläger verpflichtet ist, sondern die An-geklagten, die sich auf dieses Heft berufen), so kann es damitgar nichts anfangen und insbesondere nicht ermessen, wie ab-grundtief der schmähliche Versuch der Angeklagten ist, dasGericht von ihrer eigenen beleidigenden Tat abzulenken, und anStelle des Wahrheitsbeweises, zu dem sie verpflichtet wären, den

Beweis anzutreten, der Privatkläger habe „demokratische undsozialistische Schriftsteller“ angegriffen, und sie seiendeshalb in einen Erregungszustand geraten. Der Privatkläger hat in einer 36jährigen Tätigkeit zu wiederholten Malen denBeweis erbracht, dass er zu seinem Worte steht und bereit ist,die Verantwortung für alles zu übernehmen, was er geschriebenhat. Diese Haltung ist zahllose Male eben von den demokrati-schen und sozialistischen Schriftstellern der Tschechoslovakeiin der rühmendsten Weise gewürdigt worden, vom Präsidenten derRepublik angefangen bis zu den bekanntesten und unbekanntestenAutoren und Kritikern. Wer von den demokratischen und sozialisti-schen Schriftstellern durch seine Einbeziehung in den Typussich erkennbar beleidigt glaubt, hat das Recht, zu verlangen,dass der ihm gemachte Vorwurf, die ihm angetane Beleidigungvom Privatkläger verantwortet, dass der Beweis der Wahrheit fürdie angetane Beleidigung erbracht werde. Der Privatkläger bekenntsich vollständig zu der aggressiven Haltung gegen demokratischeund sozialistische Schriftsteller, soweit sie vermöge ihrerpolitischen Einsichtslosigkeit in den von ihm aufgestelltenTypus einbeziehbar sind, und er glaubt noch grössere Nachsichtmit ihnen geübt zu haben, wenn er nur ihre geistige und intel-lektuelle Kapazität anzweifelte, bei einer publizistischenHaltung, die in ihrer Folge Menschenleben gekostet hat. DerPrivatkläger möchte am liebsten zu jeder der von den Angeklagtenzitierten Stellen die ganze umgebende Betrachtung zur Kenntnisdes Gerichtes bringen, weil dadurch auch der politische Gegen-satz zu dem allgemein Menschlichen, in welchen sich die ange-griffenen demokratischen und sozialistischen Schriftsteller ausparteipolitischen Gründen gestellt haben, klar und offenbar

würde. Die Zitierung aller dieser Stellen mit ihrer Umgebungwürde aber einen Umfang von mehr als vierzig Seiten ausmachen,welche Arbeit, noch dazu in Uebersetzung, dem Anwalt des Privat-klägers wohl nicht zugemutet werden kann. Einige dieser Stellenmüssen aber doch herausgegriffen werden, weil sie zeigen, dassdie Angeklagten den Sinn dieser Angriffe entweder nicht ver-standen haben oder nicht verstehen wollten, oder dass sie inKenntnis des Umstandes, dass sich diese Stellen unmöglich aufsie beziehen konnten, sie doch zu ihrer Verantwortung heranzogenund, um den Schein solcher Möglichkeit zu wahren, sie falschzitierten. So zitieren die Angeklagten z.B. eine angeblicheStelle von der Seite 24 des Juli-Heftes der Fackel: „DerPlunder der Freiheit.“ Diese Stelle lautet aber: „ Denn ihrHerausgeber hat, da ihm die Weltgeschichte zu dumm wurde …es einfach uns überlassen, mit den gesinnungsgemässen Ansprücheneiner Zeit fertig zu werden, die sich noch immer nicht alsFrist erkennen will; mit dem Plunder einer Freiheit, durch derenGunst das Leben so wohlfeil wurde wie das Denken.“ Es ist ausder Gegenüberstellung ersichtlich, dass nicht, wie die Ange-klagten darstellen, die Freiheit ein Plunder genannt wurde,sondern solche Freiheit, wie sie die angegriffenen Schrift-steller meinen, eine Freiheit, die das ganze Chaos der Gegen-wart verursacht hat und durch die Menschenleben und Kulturwertevernichtet oder aufs Spiel gesetzt wurden. Die Angeklagten zi-tieren von der Seite 49 des Juli-Heftes der Fackel die Worte:Prager Schmock.“ Da die Angeklagten in Prag ihren Wohnsitzund Betätigungsort haben, muss beim Gericht der Anschein er-weckt werden, dass sich diese Beschimpfung auf den Erstange-klagten bezieht. Vollständig heisst das Zitat aber: „ Der als

Arnold‘ kämpfende Prager Schmock“, der Erstangeklagte konntees unmöglich auf sich beziehen, da ‚Arnold‘ das Pseudonym einesanderen Autors ist, gegen den in jenem Heft polemisiert wurde;er möchte es offenbar gerne dazu benützen, sich einen Ent-schuldigungsgrund zu schaffen, weshalb er sich gar nicht scheut,es einfach zu verfälschen. Auch andere, von den Angeklagtenzitierten Stellen sind verfälscht oder entstellt wiedergegebenworden. Da aber alle Stellen, aus dem Zusammenhang gerissen,unverständlich sind und, wenn man einmal auf die einzelnenStellen einginge, zu jeder eine Erklärung zu geben wäre, diedas Ausmass der Stellen samt ihrer Umgebung in der Fackel um einVielfaches übersteigen müsste; da überdies nachgewiesen wurde,dass diese Stellen für den vorliegenden Prozess vollständig ohneBedeutung sind, muss die Erörterung über diesen Punkt abge-schlossen werden. Es muss den Angeklagten der Nachweis überlas-sen bleiben, dass sie durch diese Stellen getroffen werdensollten, wo doch gerade der Fall des Erstangeklagten gesondertauf den Seiten 65–67 des Juli-Heftes der Fackel behandelt wurde,von welcher Behandlung die Verteidigung wohlweislich überhauptnichts erwähnt, weil es ihr nicht gelingen könnte, darin eineBeleidigung des Erstangeklagten aufzuzeigen. Der Privatkläger glaubt erwarten zu dürfen, dass die demokratischen und soziali-stischen Schriftstellern geltenden Angriffe, selbst wenn unterihnen „ein amtierender tschechischer Minister ist“ bei der Be-urteilung, ob die Angeklagten eine strafbare Handlung gegen denPrivatkläger begangen haben, von einem Gericht vollständigausser Betracht gelassen werden, das es den angegriffenen Schrift-stellern überlassen muss, sich ihr Recht zu suchen, was siebisher in keinem einzigen Fall getan haben. Die Verteidigungder Angeklagten meint, eine gründliche und richtige Beurteilung

des inkriminierten Artikels sei nur dann möglich, wenn dasGericht den Inhalt und die Art jenes Artikels kenne, der denImpuls zu den literarischen Angriffen auf Karl Kraus gegebenhabe, unter anderem auch zum Angriff des Erstangeklagten.Damit hat sie natürlich, wenn auch im umgekehrten Sinne, recht.Da sie aber selbst einsieht, dass ein solches Begehren un-möglich wäre (und sie jedenfalls nicht die Kosten in dem fürsie aussichtslosen Prozess aufwenden möchte), eine Uebersetzungdieses umfangreichen Werkes herzustellen, möchte sie gerne,dass dem Privatkläger der Auftrag erteilt werde, sich dieseKosten zu machen und die Beweise, die die Beklagten zu führenhätten, ihnen zur Verfügung zu stellen. Wenn die Angeklagtenaus diesem Heft selbst die Wahrheit ihrer Behauptungen zu er-weisen sich erbötig machten, was bisher aber nicht der Fallgewesen ist, müssten sie selbst die Uebersetzung veranlassen,bezahlen und dem Gericht vorlegen. Dem Privatkläger würde esgenügen, wenn die Angeklagten nur die Stellen seines Heftes soausführlich übersetzt vorlegten, die erforderlich sind, ihreeigenen Behauptungen in dem Schriftsatz zu überprüfen. Siebehaupten, dass die Mehrzahl der inkriminierten Stellen (inder Klage sub 2, 3 und 4) nur Zitate der Aussprache des Privat-klägers sind. Es wäre sehr wünschenswert, wenn die Angeklagtenwenigstens die drei Stellen des Heftes bezeichneten, die derErstangeklagte angeblich zitierte. In Wirklichkeit liegt derFall nämlich gerade umgekehrt. Der Erstangeklagte zitiert inseinem Artikel keine Stellen der Fackel, deren Reproduktionder Privatkläger absurder Weise dann unter Anklage stellenwürde, sondern er schliesst eben an ein Zitat aus der Fackel

beleidigende Behauptungen an, für die er den Wahrheitsbeweiszu erbringen hat. Wenn an das Zitat der Fackel man kann einLump sein, wenn man jemanden in Gefahr bringt“ angeschlossenwird, „man könne ein Lump sein, wenn man jemanden vor einerkleineren Gefahr bewahrt und in einer grösseren drinnen lässt,weil man an der kleineren mitbeteiligt wäre und gleichzeitigbehauptet, man täte es nur seinetwegen“, so ist bei dem deut-lichen Hinweis, dass der Privatkläger so etwa tue, doch nurdies Gegenstand des Prozesses und nicht etwa der Umstand, dassdie Behauptung an ein Zitat der Fackel sich anschliesst. Dasgleiche gilt für die Stellen 3 und 4 der Privatklage.

Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass allesdas von den Angeklagten Vorgebrachte mit dem Prozess nicht dasgeringste zu tun hat, und alle vorgebrachten Argumente hinfälligsind. Wenn sich die Angeklagten auf die Bestimmung des § 9Absatz 1 des Gesetzes über den Ehrenschutz berufen, so wäre zuüberprüfen, ob diese Bestimmung auf den vorliegenden Fall Anwen-dung zu finden hat. Der Privatkläger glaubt dies mit gutemGrunde vermeinen zu können. Jene Bestimmung, die den Angeklag-ten zwar nicht den Freispruch, wohl aber die Straflosigkeitsichert, setzt voraus, dass die beleidigende Handlung durchunmittelbar vorangegangenes, herausforderndes und ärgerniserre-gendes Benehmen des Privatklägers veranlasst worden ist. DieserParagraph hat seinen Vorgänger offenbar in dem des deutschenStrafgesetzes, der eine ähnliche Rechtswohltat bei der Erwiderungeiner „Beleidigung auf der Stelle“ vorsieht. Es ist klar, dassauch für die Anwendbarkeit des tschechischen Paragraphen er-forderlich ist, dass Beleidigung und Gegenbeleidigung unmittel-bar in einem Zusammenhang stehen, sozusagen in einem Akte er-ledigt werden. Bei einer Beleidigung durch die Presse kann

dies logischerweise überhaupt nie der Fall sein, da zur Be-gehung der Gegenbeleidigung eine Anzahl von Schritten notwendigist, nämlich die Verfassung der Gegenbeleidigung, deren Redaktion,die Drucklegung und die Ueberprüfung durch den verantwortlichenRedakteur. Schon der Begriff eines „verantwortlichen Redakteurs“schliesst dieses Moment einer privaten Erregung aus, das etwain Betracht käme, wenn man einem, der seine Begleiterin beleidigthat, eine Ohrfeige versetzt. Von einer unmittelbaren Folge kannalso schon aus diesem Grunde nicht die Rede sein. Aber selbstdann, wenn man die Anwendbarkeit des Paragraphen für Pressdeliktenicht an und für sich ausschliesst, so wäre sie doch nur füreine Tageszeitung gegeben, die innerhalb weniger Stunden aufein vorhergehendes Benehmen des Beleidigten reagiert, und derman dann zubilligen könnte, dass die geforderte Unmittelbarkeitder Antwort noch vorliegt. Keinesfalls kann aber dieser Para-graph für eine Zeitschrift angewendet werden, die vierzehntägigerscheint, und für einen Fall, wo zwischen dem angeblich ärger-niserregenden Benehmen, das den Anlass zu der Beleidigung ge-geben hat und der Beleidigung selbst, ein Zeitraum von fünfWochen liegt und das Erscheinen des beleidigenden Artikels vorherdurch Wochen in fast täglichen Reklamenotizen im Prager Tagblatt angekündigt wurde.In einem solchen Fall kann sich der Beleidiger wohl nicht damitausreden, dass er in einer Erregung gehandelt hat und unmittel-bar auf ein Benehmen des Beleidigten reagiert habe, da er dochin der Zwischenzeit erheben konnte und musste, ob die von ihmvorgebrachten beleidigenden Behauptungen der Wahrheit entsprechen.Das Beispiellose des Falles lässt sich folgendermassen zusammen-fassen. Die von den Angeklagten zitierten Stellen enthaltenoffenbar Beleidigungen, für die der Privatkläger unter seinemvollen Namen jede Gefahr eingegangen ist und die volle Verant-

wortung übernommen hat. Darauf meldet sich ein Anonymus, derunter dem angemassten parvenuhaften französischen PseudonymLucien Verneau“ die grössten Beleidigungen gegen den Autor begeht, der ihn selbst mit keiner jener zitierten Schmähungengetroffen hatte. Er wird sogar beleidigend, weil man ihm seineAnonymität zum Vorwurf gemacht hat und verteidigt in der unver-frorensten Weise das Recht auf Anonymität, nachdem er demPrivatkläger einen Vorwurf daraus gemacht hatte, dass er es un-terlasse, der grossen Gefahr entgegenzutreten. Hinter seineAnonymität hat sich der Erstangeklagte auch dann noch verschanzt,als gegen ihn gerichtlich vorgegangen werden sollte, und es hatbesondere Mühe gekostet, seinen bürgerlichen Namen und seinenvon einem revolutionären weit entfernten Beruf auszuforschen.Er, der mit den Phrasen des Kampfmutes vom Privatkläger einen Aufruf um die Welt“ verlangte, eine Gegenüberstellung desWortes gegen die Gewalt, hatte nicht einmal den Mut, fürseine Beleidigungen einzustehen, wo er doch gewiss kein Martyrium,sondern nur eine mehr oder minder grosse Geldstrafe riskiert.Eine Groteske ist es nun, dass er sich zur Verteidigung desRechtes auf Anonymität auf eine Zuschrift des armen TheodorLessing an den Herausgeber des „Aufruf“ beruft, anstatt sie zuverheimlichen. Man erwartet, dass Lessing dieses Recht vertretenhat, verblüffenderweise stellt sich aber heraus, dass Lessing in jener Zuschrift die Schimpflichkeit der Anonymität behandelt,wobei er offenbar die Artikel des unauffindbaren Lucien Verneau gemeint hat. Die Verblüffung des Lesers steigert sich nun, wennman die Konklusion des Herrn Lucien Verneau vernimmt, Lessing sei eben leider das Opfer seiner heroischen Auffassung geworden,indem er durch eine Mörderkugel „an den Folgen seines Irrtums,

dass man mit der Kraft der Wahrheit und mit blossen Händender Karabinermündung gegenübertreten könne“, starb. Lessing hat also keine andere Auffassung vertreten als wie derPrivatkläger und der Angeklagte verteidigt sich gegen diesemoralische Forderung mit dem Argument des Klägers, dass manmit dem Wort der Gewalt nicht entgegentreten könnte. Einähnlicher Rekord geistiger Verwirrung dürfte im Schrifttumnicht aufzuweisen sein, und dieser Mann hält sich für berufen,dem Privatkläger paranoische Züge nachzusagen. Zur Rechen-schaft gezogen, beruft der Angeklagte sich auf eine Erregung,die sich seiner wegen jener fünfzig von ihm zitierten Angriffebemächtigt habe, und hat die Stirne, der Justiz gegenüber nichtnur so zu tun, als ob sich diese Angriffe auf ihn bezögen,sondern mit keinem Wort auch nur anzudeuten, dass diese An-griffe ihn gar nicht betreffen, ihn gar nichts angehen, jaauch nicht im entferntesten mit seiner Person etwas zu tunhaben, die ausdrücklich in einem ganz besonderen Kapitel be-handelt ist, das keine derartigen Angriffe enthält.

Zu ihrer Verteidigung könnten also die Angeklagtensich lediglich auf die Wahrheit der vorgebrachten Behauptun-gen berufen, was sie aber bisher nicht getan haben. Solltendie Angeklagten diesen Wahrheitsbeweis nicht antreten, sowären sie nach Ansicht des Privatklägers ohne weiteres Ver-fahren zu verurteilen, da die Berufung auf den § 9 des zi-tierten Gesetzes im vorliegenden Fall auch dann nicht ge-geben wäre, wenn sich die vorhergehenden Beleidigungen durchden Privatkläger gegen die Person des heutigen Erstangeklagten gerichtet hätten. Wie aber oben ausgeführt wurde, ist dies

keineswegs der Fall, die Angeklagten berufen sich auf Stellender Fackel, die sich nicht mit dem Verfasser des beleidigendenArtikels befassen, wogegen er gerade die Stellen, die sichmit ihm befassen, weil sie offenbar und berechtigterweiseauch von ihm nicht als beleidigend angesehen werden konnten,geflissentlich verschweigt.

Der Privatkläger beantragt daher, sämtliche weitereAnträge der Angeklagten abzuweisen, ausser etwaige Wahrheits-beweisanträge, die bisher nicht gestellt worden sind.

Karl Kraus.