195.25 Übersetzung des Schriftsatzes der Beklagten im Prozesse Karl Kraus ca: Aufruf (Egon Butschowitz und Friedrich Bill)

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, grüner Stift

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 6. Februar 1935
Seite von 6

Uebersetzung

des Schriftsatzes der Beklagten im Prozesse Karl Kraus ca: „AUFRUF“ / Ing. Egon Butschowitz, Dr. Friedrich Bill /

Bei der Hauptverhandlung haben wir uns dafürzu verantworten, dass in dem inkriminierten Artikel Tat-sachen behauptet worden sind, welche nach Ansicht desKlägers geeignet sind, diesen in der allgemeinen Meinungherabzusetzen und lächerlich zu machen, wobei klar ist,dass die über der Privatkläger mitgeteilten Tatsachen un-wahr sind, was beiden Angeklagten bekannt war und bekanntsein musste.

Zu Beweise für diese Behauptung hat der Pri-vatkläger aus dem Artikel „Die Fackel schwelt“ siebenStellen herausgegriffen, welche, aus dem Zusammenhangegerissen, unverständlich sind. Hinzu kommt noch, dass auchdie Uebersetzung dieser Stellen mangelhaft ist, was dasGericht auf den ersten Blick erkennen wird. Es ist Pflichtdes Privatklägers, dem Gerichte eine einwandfreie Ueber-setzung des ganzen Artikels, von dem er behauptet, er seiseinem ganzen Inhalte nach beleidigend, vorzulegen, dasonst eine richtige Beurteilung der Angelegenheit unmög-lich ist. Wir stellen daher den Antrag und werden ihn beider Hauptverhandlung wiederholen:

Dem Privatkläger möge aufgetragen werden, demGerichte eine sprachlich einwandfreie Uebersetzung desganzen Artikels „Die Fackel schwelt“ vorzulegen. / BemerkungDr. T.: die inkriminierten Stellen waren einwandfrei über-setzt. Die Richtigkeit der Uebersetzung vom Gerichtsdoll-metsch beglaubigt. Es ist allerdings nicht möglich, einen

philologisch nicht einwandfreien Text so zu übersetzen,dass die Uebersetzung philologisch einwandfrei erscheint. /

Erst nach Vorlage dieser vom philologischenStandpunkte einwandfreien und vollständigen Uebersetzungwird das Gericht die Möglichkeit haben, zu erkennen, dassder Artikel eine literarisch wertvolle Antwort auf dieAbhandlung Karl Kraus’ darstellt, in welcher Abhandlungdieser in höchst beleidigender Weise demokratische undsozialistische Schriftsteller – also auch den Erstbeklagten –angreift, ohne eine Menge von Ausfällen zu vermeiden.Welcher Art der Angriff des Privatklägers war, beweisenschon einige in der Zeitschrift „Die Fackel“ 890 bis 905 vomJuli 1934 enthaltenen Schimpfworte. Karl Kraus, welchernoch unlängst für Demokratie und Freiheit kämpfte undwelcher sich jetzt den heutigen faszistischen MachthabernOesterreichs zugesellte, schilt sozialistische und demo-kratische Schriftsteller – also auch den Erstbeklagten –mit folgenden Worten: Chance der Frechheit: Wanzen, dievermuten Seite 4, Der Hohlkopf, der sich überhaupt nichtsvorstellt S. 7. Das Geistgesindel S. 8. Ein Bemühen, dessenRiesenmass kein Tölpel ermisst S. 10. Schadenfreude derLumperei S. 10. Weiss ein Lump, dass man auch einer seinkann S. 11. Nichtsnutziger Aesthet S. 12. Der Zudrang erregterund mitteilsamer Dummköpfe S. 14. Schäbigkeiten der Links-presse S. 15. Dass am Prager-Schreibtischen Schwachköpfesitzen, die nicht einmal wissen, dass sie Lumpen sind. S. 17.Polemiker, die heute frech werden S. 18. Starkmutige, aberschwachsinnige Anhänger. S. 21. Der radikale Lump ahnt nicht S. 21. Die ermüdende Dummheit eines Postulats S. 23. DerenMut in der Unverantwortlichkeit besteht, S. 23. Die Gegen-tröpfe S. 24. Der Plunder der Freiheit S. 24. Das sich mit

unreiner Intelligenz eingelassen hat, S. 25. Eine Generationvon Dieben, S. 28. Inquisitoren der Freiheit S. 28. Spiessrutender Dummheit S. 31. Schmecks, Kusch S. 34. Abgewiesene Hausiererder Literatur, S. 36. Deren höhere Kategorie, nämlich derHuren S. 36. Rabiate Kleinbürger S. 38. Tinterlhirne S. 42.Unbesiegbare Dummheit und unüberwindliche Frechheit S. 44.Dessen intellektuelles Rotwelsch üblen Geruch verbreitet S. 47Mischepochaler Dreck. S. 47. Ein kahler Intellekt im Leben kaumzur Advokatur tauglich S. 48. Miese Augurenschaft S. 48.Prager Schmock S. 49. Meint der Dummkopf S. 52. Dummheit derSozialdemokratie S. 61. Radikale Schwachköpfe Nr. 87. DieBlind- und Blödheit der Wortführer. S. 115. Wenn die Dumm-köpfe nur eine Ahnung hätten S. 137. Die Verschweinung derMenschheit durch Journalismus S. 140. Wenn das Gelichter eswagt S. 140. Prinzipielle Dummheit S. 171. Vision einer EinigungS.: dass der Würdenträger, der diese Woche nicht empfängt,auf der Barrikade abgehalten wäre / Minister Czech / S. 173.Nur die Bestialität des parteijournalistischen Hinterlandeswagt es, zwischen rechts und links zu unterscheiden, S. 175.Der Löwe / Karl Kraus / versetzt dem toten Esel einen Tritt S. 179. Ausbund von Rückgratlosigkeit und Halsstarre, S. 178. Dummheitsunterschiede zwischen den Linksgruppen, die Brettervor dem Kopf haben S. 201. Hysterische Wut der verkrachtenPfuscher S. 221. Ich weiss nicht, wozu man mich braucht,wenn man Czech und Deutsch hat. 258. Die Intellektuellen,die sich erfrechen, sind undankbar oder grausam-dumm, 263.Zu Gunsten der Opfer des sozialdemokratischen Verbrecher-tum S. 277. Das Freigesindel In Neue freie Presse S. 278. Dass derlei seelischerUnflat die Form von Propaganda annimmt und zum Geschäftramponierter Demagogen wird, S. 293. Rot wäre nur die Farbepolitischer Scham, S. 294.

Wir sind unter Umständen bereit, alle diese Schimpfworteund geschmacklosen Wortspiele über Aufforderung bei derHauptverhandlung in die Staatsprache zu übersetzen.

Wie aus allen diesen Beschimpfungen, inwelchen Karl Kraus sogar grundlos auch einen amtierendentschechoslovakischen Minister angreift, hervorgeht, istdie Abhandlung Karl Kraus so beschaffen, dass sie zuschärfster Entgegnung direkt herausgefordert hat.

Eine gründliche und richtige Beurteilung des inkriminiertenArtikels ist nur dann möglich, wenn das Gericht den Inhaltund die Art jenes Artikels erkennt, der den Impuls zuliterarischen Angriffen auf Karl Kraus gegeben hat, unteranderem auch zum Angriffe des Erstbeklagten. Hiezu kommtnoch, dass die Mehrzahl der inkriminierten Stellen / inder Klage sub 2, 3, 4 / nur Zitate der Aussprüche des Privat-klägers sind. Aus diesem Grunde, d.h. zur Erläuterung derganzen Angelegenheit beantragen wir, der Privatkläger möge dem Gerichte das Heft Nr. 890 bis 905 seiner Zeit-schrift „Die Fackel“ vom Juli 1934 in einwandfreier undvollständiger Uebersetzung in die Staatssprache vorlegen./ Anmerkung Dr. T.: unzulässiger Antrag, die Vorlage mussdurch die Angeklagten erfolgen /. Zur weiteren Beurteilungdes Angriffes Karl Kraus gegen den Erstbeklagten und derBerechtigung seiner Entgegnung, die Gegenstand dieses Pro-zesses geworden ist, beantragen wir die Verlesung der AktenTk VI 8789/34 dieses Gerichtes. Auch in diesem Falle han-delt es sich um eine berechtigte Kritik eines gleichenAngriffes des Privatklägers. / Prozess Karl Kraus ca: Dr. Strauss /

Wir machen, ebenso wie in dem erwähnten Falle,auch für diesen Fall die Bestimmung des § 9 Abs. 1 des Ge-setzes über den Ehrenschutz geltend, nämlich, dass der Pri-

vatkläger durch das unmittelbar vorangegangene herausfordern-de und ärgerniserregende Benehmen den Anlass zu der ent-schuldbaren und nicht strafbaren Handlung gegeben hat.

Bevor eine einwandfreie Uebersetzung desArtikels des Erstbeklagten nicht vorgelegt wird, ist es– wie bereits erwähnt – unmöglich, sich sachlich mit deninkriminierten Stellen und mit der Interpretation, die derPrivatkläger für diese Stellen gibt, zu befassen. Nach Vor-lage dieses beantragten Artikels des Erstbeklagten behal-ten wir uns vor, zu beweisen, dass die vom Privatkläger den inkriminierten Aussprüchen gegebene Interpretation bei-nahe in ihrem ganzen Umfange fehlerhaft und unrichtig ist.Zum Beispiel der Ausdruck „paranoische Züge“ / Verunglimpfung /wurde vom Privatkläger zweifellos absichtlich falsch über-setzt. Er verwendete für das Wort Paranoia die Uebersetzung„Verblödung“, wiewohl Paranoia „Irrsinn“ bedeutet.

In dem Zusammenhange, in welchem dieser wissen-schaftliche Ausdruck verwendet war, verliert er die belei-digende Bedeutung, die auch vom Erstbeklagten nicht beansich-tigt war.

Dagegen als Beispiel Kraus’ Ausdruck Paralyseauf Seite 177 , Tollhäusler S. 212, Idiot S. 270 , Tölpel S. 297 .des zitierten Fackelheftes, also persönliche Ausdrücke desHerrn Kraus, die an der beleidigenden Absicht des Angriffes,welche eine entsprechende Antwort der angegriffenen Schrift-steller veranlasst hat, keinen Zweifel lassen.

Dass die Verunglimpfung in dem zitierten Fackel-hefte tatsächlich paranoische Züge aufweist, so wie andereStellen dieser Schrift, kann erst nach Vorlage einer einwand-freien Uebersetzung des Artikels beurteilt werden. Eventuellstellen wir jetzt schon den Antrag, die literarische Beurtei-

lung durch Sachverständige durchführen zu lassen. / dieserAntrag ist umsomehr begründet, wenn man erwägt, dass derselbeKarl Kraus aus Wien bei diesem Gerichte in Prag – allerdingserfolglos – sogar wegen einer blossen Interpunktion geklagthat, die der Setzer des „Gegen-Angriff“ aus Versehenbei einem Zitat irgendwelcher Verse des Herrn Kraus vergessenhatte.

Wir stehen auf dem Standpunkte, dassdie Bezeichnung eines Teiles des literarischen Werkeseines Schriftstellers, resp. durch die Qualifizierungeines unverantwortlichen Angriffes als irrsinnig / das hierverwendete tschechische Wort „pomatený“ hat sowohl dieBedeutung irrsinnig, als auch verwirrt, das davon abgelei-tete Substantivum „pomatenost“, das weiter oben verwendetwurde, wird mit Verwirrung und mit Geistesgestörtheit über-setzt / Gegenstand des Wahrheitsbeweises sein kann.

Der ganze inkriminierte Artikel stellt nureine literarische Kritik der in der Zeitschrift „Die Fackelerschienen Abhandlung des Privatklägers dar und überschrei-tet nirgends die zulässigen Grenzen einer ernsten litera-rischen Arbeit indem er nur in journalistisch und lite-rarisch einwandfreier Weise auf die groben und stilistisch unmöglichen Angriffe des erwähnten Artikels gegen die li-terarischen politischen Gegner des Privatklägers reagiert.

Darüber bieten wir den Beweis durch litera-rische und kritische Sachverständigen an, denen die Abhand-lung des Privatklägers in Nr. 890 bis 905 der FACKEL, sowieder inkriminierte Artikel im Original vorgelegt werden möge.Eine solche künstlerisch wertvolle Kritik der Arbeit desPrivatklägers kann wegen Ehrenbeleidigung nicht verfolgtwerden.

Ing. Egon Butschowitz Dr. Friedrich Bill.

Prag, am 6. Februar 1935.

KrausAufruf