195.24 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, roter Stift
  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 11.II.1935
Betreff: Kraus – AUFRUF | Ing. Butschowitz – Dr. Friedr. Bill.

Empfänger

An: P.T. | Herrn JUDr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Bei der heutigen Hauptverhandlung im Ehren-beleidigungsprozesse waren beide Angeklagten anwesend. Sieliessen sich durch Dr. Maximilian Reiner vertreten, dermit Dr. Bill verwandt ist und als nationaldemokratischertschechischer Anwalt und dermaliger Präsident der jüdischenKultusgemeinde einiges Ansehen geniesst. Es ist immerhinein Zeichen für die richtige Selbsteinschätzung des Dr. Bill,dass er, wiewohl selbst Anwalt, seine Vertretung einemanderen Anwalte übertragen hat.

Unmittelbar vor der Hauptverhandlung wurdeein Schriftsatz überreicht, den ich mit dem Bemerken übernom-men habe, dass ich, ohne den Inhalt zu kennen, eine Aeusse-rung zu diesem Schriftsatze nicht abgeben kann und mir eineschriftliche Aeusserung vorbehalte. Ich schliesse eine Ueber-setzung des jetzt erst gelesenen Schriftsatzes bei, ausdem hervorgeht, dass die Angeklagten von Dr. Schwelb gelernthaben, der übrigens als Zuhörer anwesend war.

Das Gericht bemühte sich um einen Vergleichden ich nur unter den in Ihrem Briefe vom 15.XI. v.J. ange-

führten Bedingungen abzuschliessen bereit war. Da jedochdie Angeklagten erklärten, keine Satisfaktionserklärung abge-ben zu können, in der sie eingestehen, Beleidigungen gegendie Person des Herrn Kraus begangen zu haben, ist es zumAbschlusse des Vergleiches nicht gekommen. Dr. MaximilianReiner stellte jedoch den Antrag, dass seine Mandantendie Verpflichtung zur Veröffentlichung folgender Satisfak-tionserklärung übernehmen, wenn diese von Herrn Kraus akzep-tiert und die Klage zurückgenommen wird: „In der Nummer22 und 23 der Zeitschrift ‚AUFRUF‘ habe ich unter dem TitelDie Fackel schwelt‘ einen Artikel veröffentlicht, welcherals Antwort auf den Inhalt des Heftes Nr. 890 bis 905 derZeitschrift ‚Die Fackel‘ anzusehen ist. In diesem Artikel Halb gegen sie Auffassung Beurteilung das österreich Ereignis plagiierthabe ich die Gründe zu widerlegen getrachtet, welche derHerausgeber der FACKEL für seine Stellungnahme zu den inDeutschland und Oesterreich herrschenden Verhältnissen an-geführt hat. Nachdem sich Herr Karl Kraus durch einzelneBehauptungen meines erwähnten Artikels verletzt gefühlt hat,erkläre ich, dass ich keine Absicht hatte, ihn durch meineAusführungen persönlich zu beleidigen. Wenn er sich trotz-L.Vdem beleidigt gefühlt hat, bedauere ich es aufs Lebhafteste.

Diese Satisfaktionserklärung soll nur vonIng. Butschowitz unterzeichnet werden, da Dr. Bill dabei bleibt,dass er den inkriminierten Artikel weder gelesen, noch inDruck gegeben habe.

Merkwürdigerweise legte Ing. Butschowitz aufdie Fassung „nachdem … verletzt gefühlt hat“ Wert und

wollte das Wort „nachdem“ nicht durch das Wort „da“ ersetztwissen.

Dr. Reiner stellte noch folgenden Antrag, derallerdings nicht protokolliert wurde und nur in der mehrprivaten Auseinandersetzung über den verhandelten Fall vor-gebracht worden ist: Da es sich um einen literarischen Kampfhandelt, dessen gedankliches Substrat dem Gerichte nur dannverständlich gemacht werden könnte, wenn ihm der ganze In-halt der letzten FACKEL-Hefte bekannt wäre, resp. durch Vorlageeiner entsprechenden Uebersetzung zur Kenntnis gebracht würde,was jedoch nach Ansicht Dr. Reiners unmöglich und undurchführbarist, soll der Prozess vor ein Schiedsgericht von Schriftstellerngebracht werden, in welches jede der beiden Parteien einen Ver-trauensmann entsendet. Dieses Schiedsgericht soll darüber ent-scheiden, in welchen Punkten seines Artikels Ing. Butschowitz das Mass einer erlaubten Kritik und literarischen Polemik über-schritten hat und welche Satisfaktion dem Kläger hiefür zuleisten ist.

Zu diesem Antrage habe ich mich offiziell nichtgeäussert und nur meiner Privatmeinung Ausdruck verliehen, dassich nicht wüsste, welche Schriftsteller berufen wären, einUrteil in einer Herrn Kraus betreffenden Angelegenheit abzugeben.

Trotzdem mache ich von beiden diesen AnträgenMitteilung und bemerke, dass Dr. Reiner angedeutet hat, erwürde für seine Partei evtl. Karel Čapek nominieren.

Ich habe der Strafanzeige und Anklageschriftdas Original der Nummer 22 bis 23 des AUFRUF mit einer beglaubig-ten Uebersetzung der inkriminierten Stellen ins Tschechische bei-geschlossen. Dies tue ich in allen Fällen, ohne den ganzen in-kriminierten Artikel zu übersetzen, was meiner Ansicht nachüberflüssig wäre und die Kosten des Gerichtsdollmetschs unnützer-weise erhöhen würde. Zum erstenmal ist es geschehen, dass dasGericht den Auftrag erteilt hat, es möge eine beglaubigte Ueber-setzung des ganzen inkriminierten Artikels vorgelegt werdenund zu diesem Zwecke die Verhandlung auf unbestimmte Zeit ver-tagt hat. Es wird mir also nichts übrigbleiben, als den gan-zen Artikel zu übersetzen und beglaubigen zu lassen, worauf eineneue Hauptverhandlung angeordnet werden wird.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Doktor,Herrn Kraus diesen Bericht vorzulegen und mir dann bekanntgebenzu wollen, ob er die von Herrn Dr. Reiner gestellten Anträgeals geeignete Basis für Vergleichsverhandlungen ansieht.

Mit besten Empfehlungen an Herrn Kraus undbesten Grüssen an Sie, bin ich Ihrergebener:Dr. Turnovsky

1 Beilage.

KrausAufruf14. FEB. 1935