189.116 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 15. Mai 1935
Betreff: Kraus . Gegenangriff § 1330 Abgb

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | JUDr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor!

Ich bestätige den Empfang Ihres frdl. Schreibensvorn 13. d.M. und teile Ihnen, Ihrem Wunsche entsprechend, den Tenorder Entscheidungen, auf die ich mich berufen habe, mit. EineEntscheidung aus dem Jahre 1925 besagt, dass der verantwortliche Re-dakteur einer Zeitschrift für die Veröffentlichung unwahrer Tat-sachen, durch welche der Kredit, der Erwerb oder das Fortkommen einesDritten geschädigt wurde, zu haften hat, wenn er sie ohne entspre-chende Information veröffentlicht hat, wiewohl die Nachricht auf-fallend unglaubwürdig und verdächtig gehässig war. Für einen soentstandenen Schaden hat auch der Herausgeber der Zeitschrift zuhaften.

Diese Entscheidung habe ich zur Widerlegung der gegnerischenBehauptung angeführt, dass die Beklagte nicht als Verbreiterin derTatsache zu gelten habe, zumal sie bei der Redaktion und Administra-tion, sowie im Expedit der Zeitschrift nicht tätig ist.

Der Gegner polemisiert gegen die Feststellung des Urtei-les, dass die Beklagte die Unwahrheit der Mitteilung hätte kennenmüssen. Dagegen habe ich aus einer weiteren Entscheidung des Ober-sten Gerichtes Folgenden Passus herangezogen: Die Wendung „kennen

musste“ ist zweifellos gleichbedeutend mit der Wendung „fürwahr halten konnte“. Dies beweist der Motivenbericht zu § 1330Abgb. Seite 47: „Wer Mitteilungen verbreiten will, die einenanderen schwer schädigen können, soll eine gewisse Gewähr dafür ha-ben, dass sie nicht frei erfunden sind, sonst haftet er“. Vergl.auch Krainz Ehrenzweig II. Band Seite 601 Lit.d. „… das Ver-schulden kann darin bestehen, dass er … die Wahrheit aus Fahr-lässigkeit nicht kennt / sie kennen muss /, aber auch darin, dass erwahrscheinlich einen unrichtigen oder zweideutigen Ausspruch ge-braucht.“ Der beklagte Redakteur hat schon nach § 1297 Abgb. eine solche Aufmerksamkeit aufwenden müssen, welche bei gewöhnlichenFähigkeiten angewendet werden kann und muss. Dieser Verpflichtungkann er sich auch nicht durch die Berufung auf die Hast bei der He-rausgabe der Zeitschrift entziehen. Er hat also die Aufmerksamkeitund den Fleiss ausser Acht gelassen, welche anzuwenden ihm seineStellung als verantwortlicher Redakteur gebietet, der eine Tages-zeitung redigiert, d.i. eine Einrichtung, welche zweifellos einengewichtigen Einfluss auf die Leser und deren Handlungen ausübt./ § 1299 Abgb. / Er hat jedoch nicht einmal jene Aufmerksamkeit undjenen Fleiss angewendet, deren auch jede gewöhnliche Person fähigist / § 1297 Abgb / und hat daher auffallend fahrlässig ge-handelt, sodass er schadenersatzpflichtig ist. Was vom verantwortli-chen Redakteur gilt, gilt auch vom Herausgeber. Das Gericht stehtauf dem Standpunkte, dass schon aus der Bestellung eines verant-wortlichen Redakteurs hervorgeht, dass dieser kein blosser Angestell-ter, sondern der Vertreter des Herausgebers ist, sodass dieser für dendurch den Redakteur verursachten Schaden in gleicher Weise zu haftenhat, wie wenn er den Schaden selbst verschuldet hätte.

Aus einer weiteren Entscheidung: Der Ausdruck „kennenmusste“ hat nicht nur die Bedeutung des groben Verschuldens, son-dern auch der blossen leichten Fahrlässigkeit, des Versehens. WerNachrichten verbreiten will, die den Kredit, den Erwerb oder das Fort-kommen eines anderen gefährden können, muss die Gewähr dafür haben,dass diese Nachrichten nicht ganz unwahr sind. Die Verantwortungdafür schliessen nicht einmal Vorbehalte aus, in denen mitgeteiltwird, dass es sich um eine unverbindliche Reproduktion erhaltenerInformationen handelt, insofern angenommen werden muss, dass von den-jenigen, die die Tatsache verbreitet haben, die Wahrhaftigkeit derMitteilungen überhaupt nicht geprüft wurde. Das Wort „Verschulden“heisst nicht nur grobe Fahrlässigkeit sondern auch Versehen. Auchin dieser Entscheidung wird auf Ehrenzweig § 496 S. 659 hingewiesen:Wer unwahre Tatsachen verbreitet, ist nur dann verantwortlich, wennihn ein Verschulden trifft. Das Verschulden kann darin liegen, dasser wissentlich die Unwahrheit behauptet, oder die Wahrheit nichtkennt / sie kennen musste /, aber auch darin, dass er aus Verse-hen einen unrichtigen oder doppelsinnigen Ausdruck angewendet hat.Das Oberste Gericht hat die Bedeutung der Worte „kennen mussteim Sinne „bei entsprechender Sorgfalt/Aufmerksamkeit / § 1297 Abgb /erkennen konnte“ als Unkenntnis erläutert, welche auf der Ausseracht-lassung der pflichtgemässen Sorgfalt gemäss § 1297 Abgb. oder Art. 282H.G.B. beruht. Wer sich also infolge Ausserachtlassung der vom Ge-setze gebotenen Aufmerksamkeit, demnach also auch durch ein Versehen,nicht davon überzeugt, dass eine den Kredit etc. eines Dritten gefähr-dende Nachricht wahr ist, wiewohl er bei Anwendung dieser Aufmerksam-

keit erkennen konnte, dass sie der Wahrheit nicht entspricht undwer trotzdem diese Nachricht verbreitet hat, ist für die schädli-chen Folgen, die dadurch entstanden sind oder entstehen konnten,verantwortlich.

Durch diese Entscheidungen wird die versuchteExkulpierung der Beklagten als missglückt erwiesen.

Ich zeichne mit dem Ausdrucke vorzüglicher Hoch-achtung

Ihr ergebenerDr. Turnovsky

KrausGegenangriff17. MAI 1935