193.38 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 24. Januar 1935
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

In der Anlage sende ich Ihnen den vonHerrn Kraus diesmal gründlich ausgeflickten Entwurf des Schrift-satzes zurück. Die vielen Einfügungen und Ergänzungen sollennicht so sehr eine Verbesserung Ihres ausgezeichneten Schrift-satzes darstellen, sondern die Information in wesentlichenPunkten ergänzen und Herr K. überlässt es Ihnen, den Schrift-satz noch zu beschneiden und einzelne Punkte der mündlichenHauptverhandlung vorzubehalten, wenn Sie glauben, dass er inder jetzigen Form eine zu grosse Belastung für das Gericht bil-det oder dem Richter die Durcharbeit eines so umfangreichenSchriftsatzes lästig fallen könnte.

Zu dem auf dem Bogen zwei als 4) bezeich-neten Punkt möchte ich das Folgende mitteilen:

Herr K. meint, dass er einer vollständigen Umarbeitungbedarf, weil man denn doch nicht sagen könne, dass der Autor inder Zeit zwischen Ende Juli und 10. August 1934 genügend Zeithatte, sich zu beruhigen und sich die Folgen seines angeblichin Aufregung geschriebenen Artikels zu vergegenwärtigen, daimmerhin das Studium des 315 Seiten starken Heftes einen beträchtlichenTeil der zehn Tage zwischen dem Erscheinen des Heftes und demErscheinen des Artikels in Anspruch genommen haben muss. Man

kann auch nicht als vollkommen unwahr bestreiten, dass der In-halt dieses Fackel-Heftes den Schreiber des inkriminiertenArtikels in Aufregung versetzen konnte oder versetzt hat unddass er durch diese Publikation in Uebereilung zur Verfassungund Veröffentlichung des inkriminierten Artikels veranlasstworden sei. Wir glauben vielmehr, dass es überhaupt zu bestrei-ten ist, dass der Entschuldigungsgrund der Uebereilung wegeneines unmittelbar vorangegangenen herausfordernden oder ärger-niserregenden Benehmens des Privatklägers auf die publizisti-sche Tätigkeit Anwendung finden kann. Öffentliche Meinung kannnicht im Wege der Aufregung und Uebereilung zustande kommen,selbst wenn man die Frist von 10 Tagen, die immerhin verstrichenwar, nicht als ein die Aufregung ausschliessendes Moment geltenlassen wollte, so wäre erst recht zu sagen, dass man eben nichtin der Aufregung zu antworten hat und dass sich der Schreiber eben etwas mehr Zeit lassen hätte müssen und erst später alsam zehnten Tage seine Erwiderung verlassen hätte sollen. DerSinn der Gesetzesstelle kann nur der sein, dass eine Beleidi-gung entschuldbar ist, bei der eine unmittelbare Reaktion aufein Benehmen des Beleidigten erforderlich und verständlich ist,wie etwa bei einer Versammlung oder bei einer sonstigen Beleidi-gung, die Aug im Aug erfolgt. Es ist diese Bestimmung offenbareine Erweiterung des schon im deutschen Strafgesetzbuch § 199 auftretenden Gedankens, dass der Richter einen Beleidiger, dereine Beleidigung auf der Stelle erwidert, straffrei erklärenkann. Die Unmittelbarkeit kann wohl im publizistischen Kampf nie-mals eintreten, es wäre denn, dass etwas eine sofortige Reaktionauf ein Vorgehen erforderlich macht. Hier war es aber gewissnicht notwendig, dass der beleidigende Aufsatz des ‚Sozialdemo-

krat‘ schon am 10. August erscheint und es wäre auch genügendgewesen, wenn er einige Tage später erschienen wäre. Der Ein-wand der Aufregung ist infolgedessen ganz falsch angebracht.

Aus der Tatsache, dass Sie den Strafantrag bezüglichdes Punktes „läppische und wilde Angriffe“ zurückgezogen haben,schliesst Herr K., dass Sie heute der Ueberzeugung sind, dassdas „läppisch“ einem Wahrheitsbeweis zugänglich ist, worüberSie noch Erkundigungen einziehen wollten. Herr K. lässt Siebitten, mir mitzuteilen, ob Sie sich erkundigt haben, obläppisch“ mit oder ohne Wahrheitsbeweis bestraft wird und wiesich der befragte Richter geäussert hat.

Zu dem auf Bogen vier Seite zwei eingeschalteten Zu-satz, dass der „Sozialdemokrat“ in einer durch Zeugen nachweis-baren Kenntnis der Haltung des Privatklägers gewesen sei, über-lässt es Herr K. Ihnen, ob Sie diese Zeugen, als welche HerrDr. Emil Franzel und Herr Heinrich Fischer in Betracht kommen,von welch Letzterem Herr Dr. Franzel genau über den Standpunktdes Herrn K. orientiert wurde, schon in dem Schriftsatz bean-tragen wollen. Die Adressen dürften Ihnen bekannt sein. Je-denfalls sind sie leicht zu erheben, da Herr Heinrich Fischer die Adresse des Herrn Dr. Emil Franzel kennt.

Zur etwaigen Verwendung im Prozess übersende ichIhnen die Seite 3 der am 24. Januar 1935 erschienenen ‚Reichs-post‘ und verweise auf die in der Spalte 3 erschienenen NotizRote Brüderlichkeit“. Die Entscheidung, ob Sie es für zweck-mässig halten, die Notiz zu verwenden, überlässt Herr K. voll-ständig Ihnen.

Bei dieser Gelegenheit lässt Sie Herr K. ersuchen,wenn Sie Herrn Heinrich Fischer sehen, ihm mitzuteilen, warum

er denn gar nichts von sich hören lasse.

Indem ich Ihnen nochmals den besten Dank des HerrnK. für den ausgezeichneten Schriftsatz und seine herzlichstenGrüsse übermittle, denen ich mich anschliesse, bin ich

mit vorzüglicher kollegialerHochachtungIhr ergebener

1 Entwurf1 Zeitungsausschnitt

Rekommandiert.

Betr. KrausSozialdemokrat exp. 24.1.1935.