193.46 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 27. Februar 1935
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, | Advocat
Vodickova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Ich bestätige Ihnen mit bestem Dank denEmpfang Ihres freundlichen Schreibens vom 25. Februar 1935. Durchdie Herrn K. und mir erst in den letzten Tagen bekannt gewordeneMöglichkeit der Gegner, den Anklagen mit dem § 9 Absatz 2 desEhrenschutzgesetzes ein wirksames Hindernis entgegenzusetzen,ist auch die Angelegenheit „Sozialdemokrat“ in ein Stadium ge-treten, das eine Ueberprüfung unserer Pläne und Angriffsmittelerfordert. Die von uns früher für so günstig gehaltene Beweis-führung durch den Aufsatz „Hüben und Drüben“, dass die Gegensei-te trotz der gleichen Tendenz dieses Aufsatzes den Huldigungsarti-kel geschrieben hat, konnte mit einiger Geschicklichkeit vomBeschuldigten gerade dazu benützt werden, um jene „Objektivität“ zu be-scheinigen, die trotz aller Gegnerschaft in der Anschauung nochden Huldigungsartikel zuliess, aber nach Erscheinen des Juli-heftes eben zur energischesten Abwehr herausgefordert wurde, daes ja einen grossen Unterschied bedeute, ob eine Partei nach denEreignissen des Februars 1934 in solcher Weise angegriffen werdeoder ohne solche Ereignisse, und insbesondere, ob für die politischen, siegreichen Gegnerin solcher Weise Stellung genommen werde oder nicht. Diese Gefahrmacht es notwendig, mehr als auf die Gleichartigkeit der Angriffein dem Aufsatz „Hüben und Drüben“ und im Juliheft 1934 auf dieTatsache hinzuweisen, dass der Huldigungsartikel nicht nur in

Kenntnis des Aufsatzes „Hüben und Drüben“ sondern auch inKenntnis der „Haltung“ des Herrn K. zu den Februar-Ereignissengeschrieben worden ist. Dieser Beweis lässt sich durch HerrnHeinrich Fischer führen, der mit Herrn Emil Franzl bei der An-wesenheit des Herrn K. in Prag nach den Februar-Ereignissenwiederholt über die „Haltung“ des Herrn K. gesprochen hat, undes wäre zweckmässig, Herrn Heinrich Fischer und Herrn Emil Franzl über diese Tatsache einvernehmen zu lassen. Den schärfsten Nach-druck muss man aber auch auf die Entgegnung gegen die Berechti-gung einer solchen „Erregung“ im publizistischen Verkehr legenund auf die Erbärmlichkeit der Ausrede auf eine solche Erregunghinweisen, die offenbar vor dem Leser nur zur Schau getragenwurde, in Wirklichkeit aber gar nicht gefühlt sein konnte, daja auch der Huldigungsartikel in Kenntnis der „Haltung“ desHerrn K. geschrieben wurde. Es ist psychologisch unmöglich, dasseine Erregung durch einen Huldigungsartikel unterbrochen wirdund dann wieder fortgeht. Diese Kenntnis von der „Haltung“ desHerrn K. geht sogar aus gewissen Wendungen des Artikels hervorund überdies erfolgte auch die Absage des Rundfunkvortrages fürden Brünner Sender vor dem Artikel, und war daher dem Blatt undHerrn Franzl bekannt. Herr Franzl hatte selbstverständlich Kennt-nis von dem ganzen Inhalt der Erregung, die sich seines FreundesBrügel bemächtigt hatte, der den Rundfunkvortrag hätte haltensollen. Diese Erregung mag, so töricht sie an und für sich ist,vielleicht vorhanden gewesen sein, aber sie wurde eben durchden Huldigungsartikel des Blattes in drastischer Weise unter-brochen und das Gegenteil kam zum Vorschein. Erst die beleidi-gende Notiz, die nach so vielen Monaten erschien, geht wiederauf den früheren Zustand zurück und deckt sich durchaus mit denMotivierungen des Herrn Brügel, die in einem Schreiben an Herrn

Professor Jaray zum Ausdruck kamen und eben in dem Juliheft als die Grundhaltung des Kreises besprochen worden ist. Esgeht denn doch nicht an, dass man über denjenigen, dem derHuldigungsartikel und zwar in voller Kenntnis der inzwischeneingetretenen Umstände gewidmet ist, in solch diametral ent-gegengesetztem beleidigenden Ton schreibt und sich dann aufErregung ausredet. Diese Entschuldigung wäre höchstens dannglaubhaft, wenn das Blatt überrascht gewesen wäre und in völ-liger Ahnungslosigkeit bezüglich des angeblichen Umschwungesder Haltung die Notiz geschrieben hätte. Es kommt vielleichtheute auf andere Beweise überhaupt nicht mehr an, sondern haupt-sächlich auf eine Uebersetzung des Huldigungsartikels. Die Vor-lage aller alten Werke, selbst die des Juliheftes, ist eigent-lich überflüssig geworden und auch die Vorlage des AufsatzesHüben und Drüben“ ist nicht so zwingend als Gegenbeweis gegendas Moment der Erregung, wie jener Huldigungsartikel, dennHüben und Drüben“ liesse noch trotz seinem vehementesten Angriffdie Anerkennung des Autors durch den „Sozialdemokraten“ zu, aberder begeisterte Artikel vom 28. April ist in voller Kenntnis derUmstände geschrieben, macht also eine eventuelle Ausrede, dassder Inhalt des Juliheftes überraschend kam, selbst wenn man ihnfür eine Steigerung der Aversion gegen die Partei ansehen wollte,weil eben die ganz bestimmte Ansicht des Herrn K. über die Er-eignisse vom Februar in Prag und insbesondere in den betreffendenKreisen bekannt war, ja bis zur Absetzung jenes Rundfunkvortrages(26.4.) nachweislich geführt hat, unmöglich.

Im Falle der Beweisführung müsste man aufdas Moment vom „Zuchthäusler und Lassalle“ grösstes Gewicht legen.Die Gegner wären dazu zu verhalten, klar auszusprechen, wen sieals diesen Zuchthäusler bezeichneten. Sehr wichtig erscheint auchdie Einvernahme des Herrn Franzl, der möglicherweise in einer

Person Autor des Huldigungsartikels und der beleidigendenNotiz ist. Allerdings wäre zu erwägen, ob nicht gerade dieserUmstand die Komödie von der „Erregung“ unterstützen könnte.(Ich kann Ihnen leider alle Ausführungen nur als meine Meinungund als Gedanken von Herrn K. und mir zur Kenntnis bringen, wirmüssen aber selbstverständlich die Taktik im Prozess Ihrer be-währten Führung überlassen, da ja in einem Augenblick sichmanches als notwendig erweisen könnte, was vorher nichtüberlegt werden konnte und anderes, was geplant war, als un-möglich.) Herr Heinrich Fischer weiss ganz genau, dass Franzl längst unterrichtet war, er hatte mit ihm schon zu Beginn derzweiten Februarhälfte über die „Haltung“ des Klägers gesprochen.Ausserdem kannte sie ein gewisser Erich Heller, der jenen HerrnBrügel informiert hatte, und der durch den Kläger selbst auf-geklärt worden war. Ihre Hauptaufgabe wäre es also, sehr ge-ehrter Herr Kollege, falls das Beweisverfahren eröffnet werdensollte, dem eventuellen Einwand der „Erregung“ auf dasEnergischeste entgegenzutreten, die Unanwendbarkeit des betreffen-den Paragraphen (falls überhaupt bei Pressdelikten möglich)gerade auf diese Tatsache nachzuweisen, was die Gegenseite für ihre Ehrenerklärung nachgiebig machen dürfte. Für diese ge-nügt natürlich wieder eine allgemeine Zurückziehung mit Bedauern.

Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir auchdie Anfrage, ob der Gegenseite das Kunststück gelungen ist, die3 bis 4.000 Seiten Uebersetzung herzustellen und vorzulegen?

Indem ich Ihnen den besten Dank und dieherzlichsten Grüsse des Herrn K. übermittle und Sie selbst herz-lichst grüsse, zeichne ich

mit vorzüglicher kollegialerHochachtungIhr ergebener