193.51 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift
  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 27.XI.1935
Betreff: Kraus – SOZIALDEMOKRAT

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, | Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Datum: 28.NOV.1935
Seite von 6

Sehr geehrter Herr Doktor.

Bei der heutigen Hauptverhandlung warder nichterschienene Angeklagte abermals durch Dr. Egon Schwelb vertreten. Ich gebe Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, zu IhrerInformation und zur Weiterleitung an Herrn Kraus das Verhand-lungsprotokoll in deutscher Uebersetzung bekannt:

Infolge der Aenderung in der Besetzungdes Senates wurde das Verfahren wiederholt. Der Verteidiger führt dasselbe an, wie in seinem Beweisantrage Blatt 20 bis 28und beantragt die Durchführung der dort angeführten Wahrheits-beweise.

Der Vertreter des Privatklägers wieder-holt das Vorbringen Blattzahl 30 bis 36, sowie seine bei derHauptverhandlung vom 1.III.1935 vorgebrachten Ausführungenund Anträge. Der Verteidiger beharrt bei seinen bei der glei-chen Hauptverhandlung gestellten Anträgen.

Der Verteidiger legt das Schreiben desDr. Paul Körbel, Advokaten und Gerichtsdolmetsch, vom 4.5.1935 vor und führt an, dass der Angeklagte fix besoldeter Beamterist, der für eine Familie mit zwei Kindern zu sorgen hat und

daher nicht in der Lage ist, Kosten in der Höhe von über 100.000 Kčfür die Führung dieses Prozesses anfzuwenden. Aus diesem Grunde war es dem Verteidiger unmöglich, in der vom Gerichte gewährtenFrist dem Auftrage, die im Beweisbeschluss vom 1.III.1935 an-geführten Schriftstücke in beglaubigter Uebersetzung in dieStaatsprache vorzulegen, zu entsprechen.

Deswegen beantragt der Verteidiger, die Aktenmögen dem Obergerichte in Prag mit dem Antrage vorgelegt werden,dass zur Verhandlung dieses Prozesses aus Zweckmässigkeitsgründenein Kreisgericht delegiert werde, bei welchem nach den Vorschrif-ten des Sprachengesetzes die Verwendung in deutscher Sprache ab-gefasster Schriftstücke zulässig ist. Nach Ansicht des Verteidi-gers wäre für beide Parteien das Kreisgericht in Leitmeritz dasam meisten geeignete.

Der Vertreter des Privatklägers beantragt, den an-gebotenen Wahrheitsbeweis für nicht erbracht zu erklären und ihnüberhaupt abzuweisen und zwar deshalb, weil der Wahrheitsbeweislediglich über die Tatsache angeboten worden ist, dass der Pri-vatkläger seine Gesinnung geändert habe. Selbst wenn diese Be-hauptung wahr wäre, würde sie den Angeklagten, resp. den Autordes inkriminierten Artikels nicht zu Angriffen auf die Ehre desPrivatklägers berechtigen, insoferne nicht bewiesen, resp. nichtwenigstens behauptet werden kann, dass der behauptete Wechselin der Gesinnung des Privatklägers auf unehrenhaften Motiven be-ruht. Dagegen beantragt der Vertreter des Privatklägers den Be-weis durch den am 28.IV.1934 in der Zeitschrift SOZIALDEMOKRAT

erschienenen Artikel und durch die Einvernahme der Zeugen Hein-rich Fischer und Dr. Emil Franzel darüber, dass der eben angeführ-te Artikel in dem Blatte, dessen verantwortlicher Redakteurder Angeklagte ist, in einem Zeitpunkte erschienen ist, inwelchem dem Angeklagten und seinem Blatte die Ansichten desPrivatklägers über die Sozialdemokratie aus persönlichen Rück-sprachen und aus dem Artikel „Hüben und Drüben“, erschienenim Oktober 1932 in Nr. 876 bis 884 der Zeitschrift FACKEL,bekannt waren.

Ferner beantragt er, dem Delegierungsantragedes Verteidigers möge mangels der gesetzlichen Voraussetzungennicht stattgegeben werden. In eventum stellt er den Antrag undzwar für den Fall, dass dem Delegierungsantrage stattgegebenwerden sollte, der Angeklagte möge zum Ersatze der bisherigenKosten verurteilt werden, weil er sie dadurch verschuldet hat,dass er den heute gestellten Antrag nicht gleich bei der erstenHauptverhandlung gestellt hat, wiewohl ihm bekannt sein musste,dass die Beschaffung von Uebersetzungen der Schriften des Pri-vatklägers, {welche er zum Beweise angebotenhat, } {in die Staatsprache } nicht möglich sein wird. Die bisherigen Kosten liquidierter mit dem Betrage von 2.500.–– Kč und zwar incl. Dolmetschgebüh-ren. Nach Beratung verkündete der Vorsitzende den Beschluss,dass dem Antrage des Verteidigers, die Akten mögen dem Oberge-richte in Prag zur Entscheidung über die Delegierung des Kreis-gerichtes in Leitmeritz vorgelegt werden, aus den vom Verteidiger angeführtenwichtigen Gründen entsprochen wird.

Mit Rücksicht auf diesen Beschluss wurde überdie Beweisanträge beider Parteien keine Entscheidung gefällt.

Der Vertreter des Privatklägers ersucht umGewährung einer 8-tägigen Frist zur schriftlichen Aeusserung zudem heute verkündeten Beschluss. Die Frist wird gewährt.“

Dr. Schwelb erklärte bei Vorlage des Briefesdes Dr. Körbel, er habe bei verschiedenen Dolmetschern über dieKosten der Verfassung der beglaubigten Uebersetzungen angefragtund alle hätten diese Kosten annähernd in der gleichen Weiseabgeschätzt, wie Dr. Körbel. Dieser beruft sich in dem vorgeleg-ten Briefe darauf, dass die Kosten der Uebersetzung, abgesehendavon, dass es sich um eine spezielle Arbeit handeln würde,unter Zugrundelegung des Dolmetschtarifes mit Rücksicht auf denUmfang der zu leistenden Uebersetzungsarbeit über Kč 100.000.––betragen würden.

Ich bin der Ansicht, dass ein Grund für dieDelegierung nach § 62 Str.P.O. nicht vorliegt und habe dieseAnsicht dem Gerichte gegenüber auch ausgeführt. Trotzdemhat das Gericht dem Antrage des Verteidigers stattgegeben.Ich will jedenfalls eine Aeusserung zu dem Beschlusse überrei-chen, muss dies jedoch, da der Vorsitzende behauptete, er könneden Akt nicht länger als 8 Tage liegen lassen, binnen 8 Tagentun. Deswegen bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Doktor, mir,falls Herr Kraus oder Sie bezüglich der Abfassung dieser Aeus-serung irgendwelche Wünsche haben, diese möglichst bald bekannt-zugeben.

Zum Schluss muss ich Ihnen noch folgende Mit-

teilung machen:

Während der Beratung über den Antrag desDr. Schwelb stand ich mit diesem auf dem Gang vor dem Ver-handlungsaal und machte die Bemerkung, dass diese Anträgedoch auf nichts anderes hinzielen, als auf Sabotierung desVerfahrens. Darauf erwiderte Dr. Schwelb: „Ich spreche jetztnicht vom Prozess und Sie müssen ja Herrn Kraus von dem, wasich jetzt sage, keine Mitteilung machen. Ich finde, dassdas Verhalten des Herrn Kraus die grösste Lumperei der Welt-geschichte ist. Diesen Prozess wird auch die Weltgeschichteentscheiden. “ / Ich glaube, die Aeusserung wörtlich behaltenund reproduziert zu haben. / Ich erwiderte darauf, dass ichdiese Reservation / Unterlassung der Verständigung des HerrnK. / nicht zur Kenntnis nehme. Daraufhin wurden wir in denVerhandlungsaal gerufen. Nach Beendigung der Verhandlungwiederholte Dr. Schwelb vor dem Verlassen des Gerichtsgebäu-des: „Wie gesagt, den Prozess wird die Weltgeschichte ent-scheiden und zwar vielleicht noch früher, bevor der Prozessentschieden ist. “ Ich fragte: „Was wollen Sie damit sagen?Soll dies etwa heissen, dass die Sozialdemokraten ein Attentatauf Herrn Kraus vorhaben “ Dr. Schwelb antwortete: „dasnicht, das ist er nicht wert, höchstens ein Paar Ohrfeigen. “Darauf erklärte ich, dass ich alle ausser gericht beruf lichen Be-ziehungen mit ihm abbreche und wir gingen auseinander.

Zuerst wollte ich von diesem, ausserhalbdes Gerichtsaales und unter vier Augen erfolgten GesprächeHerrn K. keine Mitteilung machen, weil ich ihm den Aerger

über die Frechheit des Dr. Schwelb, der Funktionär der sozial-demokratischen Partei ist, ersparen wollte. Die Erwägung je-doch, Herr Dr. Schwelb könnte sich vielleicht einmal diesesGespräches und der Angriffe auf die Ehre des Herrn K. rühmenund darauf hinweisen, dass von ihm nichts dagegen unternom-men worden ist, veranlasst mich, Ihnen über die Angelegenheitzu referieren und Sie zu bitten, Herrn K. darüber Mitteilungzu machen. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich na-türlich ohne Bedenken bereit bin, die Ehrenbeleidigungsklagegegen Dr. Schwelb zu überreichen und im Prozess gegen Dr. Schwelb als Zeuge aufzutreten. Hiezu bemerke ich, dass nach dem Ehren-schutzgesetze aus dem Jahre 1933 die Oeffentlichkeit auch danngegeben ist, weil wenn die beleidigende Aeusserung nicht in Gegenwartmehrerer Personen gefallen ist.

Ich zeichne mit dem Ausdrucke vorzüglichsterHochachtung und mit der Bitte, Herrn Kraus meine besten Grüssezu bestellen,

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 28. NOV. 1935