193.76 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
Prag
Datum: 4.II.1936
Betreff: Kraus – SOZIALDEMOKRAT / erster Presseprozess /

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse Nr. 18
Wien – XIV
Datum: 5.FEB.1936
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich berufe mich auf meinen Bericht vom 23.I. d.J. und auf das diesem Berichte beigeschlossene Verhandlungsprotokoll,aus dem Sie ersehen haben, dass die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeitvertagt wurde. Heute teilt mir Herr Heinrich Fischer mit, dass er eineVorladung zur Einvernahme in diesem Prozesse für den 6. d.M. erhalten hat.Ich selbst habe bisher keine Ladung erhalten und kann mich heute auch nichtmehr darüber unterrichten, ob die Ladung auf einem Irrtum beruht. Dieswerde ich Morgen früh feststellen können.

Ich schreibe Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor,heute express, um für den Fall, dass die Hauptverhandlung wirklich am 6.d.M. stattfinden sollte, Informationen zu erbitten und Ihnen Folgendeszur Kenntnis zu bringen:

Herr Fischer verständigt mich soeben, dassihm vor einigen Tagen / noch vor seiner Ladung zur Zeugenschaft / DirektorFrankl von der URANIA in einem privaten Gespräch mitgeteilt habe, dass Dr.Strauss vom SOZIALDEMOKRAT den Prozess gegen Herrn K. ausgleichen möchteund dass seiner / Frankls / Meinung nach der Sozialdemokrat zur Abgabe einerEhrenerklärung bereit sei. Direktor Franke von der URANIA stellte in dem

Gespräch ausdrücklich fest, dass er mit dieser Mitteilung und dem Ersuchen,ob die Angelegenheit nicht zu vergleichen sei, keinerlei moralischen Druckauf Herrn Fischer ausüben wolle. / Herr Dr. Strauss ist nämlich Vorstands-mitglied der URANIA und deshalb wollte Direktor Franke diesen Anscheinvermeiden. / Herr Fischer erklärte, dass sich Herr Kraus immer nur vonstreng-sachlichen und publizistisch-rechtlichen Motiven leiten lasse unddaher eine „persönliche“ Einflussnahme auf Herrn Kraus auch durch einenFreund unwirksam bleiben müsse. Er, Herr Fischer behalte sich jedoch offen,dem Anwalt von Herrn K. den Wunsch von Herrn Dr. Strauss evtl. zu über-mitteln, da dieser die Situation und die Intentionen von Herrn Kraus indem betreffenden Falle besser übersehe. Damit war das private Gesprächbeendet, dessen Inhalt mir Herr Fischer soeben mitteilte mit der aus-drücklichen Bitte, Ihnen wahrheitsgemäss zu erklären, dass, wie immer sichHerr K. entscheidet – also für Vergleich oder gegen – ihm / Herrn Fischer /aus dieser Entscheidung keinerlei beruflichen oder sonstigen Nachteile er-wachsen werden.

Ich bitte Sie nun, sehr geehrter Herr Doktor, mir nachRücksprache mit Herrn K. tunlichst express oder noch besser telefonisch be-kannt zugeben, ob grundsätzlich über einen Vergleich verhandelt werden kann,in welchem Falle ich um die genaue Bekanntgabe der Bedingungen und desWortlautes der evtl. zu akzeptierenden Satisfaktionserklärung bitte.

Ich bemerke noch, dass ich, falls die Ladung fürden 6. d.M. auf keinem Irrtum beruht, um Vertagung werde ansuchen müssen,da ich am gleichen Tage zur gleichen Stunde eine Obergerichtsverhandlungin einem Prozesse abhalten muss, der seit 1931 anhängig, von niemanden inder kurzen Zeit übernommen werden könnte. Sollte allerdings der Vertagungs-antrag abgewiesen werden, dann müsste ich den Obergerichtsprozess doch

einem Kollegen übergeben und für diesen Fall möchte ich unbedingt genauinformiert sein.

Ich bin mit besten Grüssen an Sie und Herrn K., denensich Herr Fischer anschliesst,

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausSozialdemokrat 5. FEB. 1936