193.95 Brief Samek an RA Johann Turnovsky

Materialitätstyp:

  • Durchschlag

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 21. April 1936
Betreff: Kraus – Sozialdemokrat
Diktiersigle: Dr.Sa/Bl.

Empfänger

An: Herrn | Dr. Johann Turnovsky, Advokat
Vodičkova 33
Prag II.
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege!

Von Herrn K. habe ich gehört, dass alleArgumente gegen die missverständliche Auffassung des§ 18 Ehrenschutzgesetzes fruchtlos geblieben sind undder Angeklagte freigesprochen wurde. Es sind mir nach-träglich noch einige Argumente eingefallen, die Sievielleicht bei der Berufung verwenden können. – Wennman schon zur Auffassung dieser Gesetzesstelle in derRichtung käme, dass bei einem Vergleich der Privatklä-ger gehindert sein soll, Beleidigungen zu verfolgen,wenn er sich dieses Recht nicht ausdrücklich vorbehal-ten hat, so kann deren Sinn doch nur der sein, dass dieHinterhältigkeit eines Privatklägers ausgeschlossenwerden soll, in einer ihm unangenehmen Sache einen Ver-gleich zu schliessen unter der Mentalreservation, wegeneiner anderen Beleidigung den Angeklagten weiter zuverfolgen. Keinesfalls aber könnte man doch eine bereitsanhängig gewordene Verfolgung unter diese Kategorieeinreihen. Auch bezüglich der Prozesskosten halte ichdas Urteil für verfehlt. Wenn das Gericht auf dem Stand-punkte steht, eine weitere Verfolgung einer bereits an-hängigen Sache sei durch den Vergleich ausgeschlossen,

so müsste es implizite auf dem Standpunkte stehen, dass beideAngelegenheiten durch den Vergleich erledigt seien und könntedem Angeklagten bei Einstellung des Verfahrens keine Kostenzusprechen oder höchstens die Kosten der einen Verhandlung,die deshalb notwendig geworden war, weil der Privatkläger nichtselbst die Einstellung beantragt hat.

Herr K. hat mir ferner mitgeteilt, dass einige Berich-tigungen wegen des Prozessberichtes hinausgegeben sind, und dasser mit Ihnen schon besprochen hat, für den Fall des Nichter-scheinens Klagen einzubringen. Ich erlaube mir zu diesen Klagenden Vorschlag zu machen, nicht alle gleichzeitig einzubringen,um das Prozesskostenrisiko zu vermindern, sondern vorläufig nurdie gegen das Prager Tagblatt und bezüglich der übrigen Blätterzuzuwarten, allerdings aber die subjektive Verjährungsfrist zuwahren. Ich habe darüber nachgedacht, welche Einwendungen dieBlätter dem Berichtigungsanspruch entgegensetzen könnten. Dassder Bericht von einer Korrespondenz ausgegangen ist, kann jaden Berichtigungsanspruch nicht ausschliessen, denn es wäre ab-surd, sich von der Berichtigungspflicht dadurch zu befreien,dass man sich auf den unrichtigen Bericht eines anderen beru-fen darf. Eine ähnliche Bestimmung, wie sie im „neuen österrei-chischen Recht“ enthalten ist, dass die Aufnahme der Berichti-gung verweigert werden kann, wenn diese offenbar mutwillig wah-re Tatsachen bestreitet, wonach es auch im Berichtigungsverfah-ren quasi einen Wahrheitsbeweis gibt, habe ich im tschechischenRecht nicht gefunden. In Österreich würde sich dadurch der an-genehme Zufall ergeben, den Nachweis zu erbringen, dass bei derVerhandlung überhaupt kein Berichterstatter anwesend war, son-dern dass der Bericht unbedingt auf die Information des gegne-rischen Anwaltes zurückzuführen sein muss, was gewiss eine gro-

teske Überraschung wäre.

Ich hoffe, dass es Ihnen gelingen wird, in derobersten Instanz die Absurdität der Auffassung des § 18 durch das Erstgericht begreiflich zu machen, und dass wirden Prozess in der zweiten Instanz gewinnen worden. Wenndies aber schon nicht der Fall sein sollte, so wird hof-fentlich die Kostenfrage in günstigeren Sinne gelöstwerden.

Indem ich Ihnen die herzlichsten Grüsse desHerrn K. übermittle und Sie auch persönlich herzlichstgrüsse, bin ich mit vorzüglicher,

kollegialer HochachtungIhr ergebener

KrausSozialdemokrat