195.35 Brief RA Johann Turnovsky an Samek
Materialitätstyp:
- Typoskript
Sender
JUDr. JOHANN TURNOVSKYVodičkova 33
Prag
Empfänger
An: P.T. | Herrn Dr. Oskar SamekReindorfgasse 18
Wien – XIV
Sehr geehrter Herr Doktor.
Ich sende Ihnen in der Beilage die Nr. 5der „Europäischen Hefte vereinigt mit dem Aufruf“. Der Artikel„Lumpenball“ von Willi Schlamm enthält viele Ausfälle gegenHerrn Kraus. Allerdings muss ich sagen, dass er vom Standpunkteder Verantwortlichkeit nach dem Ehrenschutzgesetze ausserordent-lich geschickt verfasst ist. Nicht nur, dass Herr K. in diesemArtikel nicht genannt wird, sondern insbesondere der Umstand,dass die Herrn K. betreffenden Stellen nur für diejenigen ver-ständlich sind, die die Presse-Kampagne der „antifaszistischen“Journalistik gegen Herrn K. kennen, wird die Verfolgung desAutors wesentlich erschweren. Es kann natürlich keinem Zweifelunterliegen, dass die betreffenden Stellen auf Herrn K. gemünztsind und dies wird, wenn es bestritten werden sollte, durch Sach-verständige oder Zeugen bewiesen werden können. Immerhin wird esnicht leicht sein, das Gericht davon zu überzeugen, dass der ein-geweihte Leser wissen musste, wen der Autor des Artikels gemeinthat und dass darum eine öffentliche Schmähung des Herrn K. vorliegt.Ich verweise auf folgende Entscheidungen: Bei Beleidigungen gegennichtgenannte, aber durch passende Merkmale bezeichnete Personenhandelt es sich nicht darum, ob die Kläger den Artikel auf sichbeziehen, sondern ob nach den Erkenntnissen dritter Personender Artikel als ein Angriff auf die Ehre der Kläger aufgefasst
werden kann. Eine andere Entscheidung besagt, dass es in einemsolchen Falle notwendig ist, unwiderleglich zu beweisen, wender Täter gemeint hat und dass der blosse Eindruck dritter Per-sonen nicht hinreicht. Ich erwähne dies nur deshalb, weil ichmir vorstellen kann, dass der Autor sogar imstande wäre, zu leug-nen, er habe Herrn K. gemeint. Dies kann ja allerdings durch dieAnspielungen selbst widerlegt werden / Nörgler, Zuspitzen vonKontrasten, etc. /, aber ob man unseren Gerichten wird beibringenkönnen, dass die Bezeichnung des Klägers so ist, dass ihn wenig-stens der eingeweihte Leser erkennen und daher wissen musste,dass er gemeint sei, erscheint mir nicht ganz gewiss. Doch darüberkönnen wir ja noch korrespondieren, bis Sie und Herr K. den Artikel gelesen haben werden.
Mit dem Ausdrucke vorzüglichster Hochachtungund besten Grüssen, Ihr ergebener:Dr. Turnovsky
1 Beilage
Kraus – diverses28. MRZ. 1935