195.41 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 24.XII.1935
Betreff: AUFRUF – Dr. Bill, Ing. Butschowitz

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien – XIV.
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Doktor.

Wie Sie wissen, wurde heute die fortgesetzte Haupt-verhandlung in der obigen Angelegenheit abgehalten, nachdem ichden Antrag gestellt hatte, dass auch im Falle der Unmöglichkeitder Zustellung der Ladung an Ing. Butschowitz das Verfahren,eventuell gegen Dr. Bill allein, fortgesetzt werden soll.

Zu der heutigen Verhandlung ist Dr. Bill ohne Ver-teidiger erschienen. Er teilte mit, dass der Verteidiger beiderAngeklagten erkrankt sei und deswegen nicht erscheinen könne unddass der Mitangeklagte, Ing. Butschowitz, krank und unbekanntenAufenthaltes sei. Er behauptete, Butschowitz habe vor einiger Zeiteinen Blutsturz erlitten und sich in verschiedenen Sanatorienaufgehalten. Wo er sich jetzt befinde, sei ihm unbekannt.

Ich habe – ohne dies vorläufig protokollierenzu lassen – erklärt, dass Herr Kraus auf die weitere Strafverfol-gung des Ing. Butschowitz zu verzichten bereit sei, wenn tatsäch-lich festgestellt werden sollte, dass es sich um einen schwer-kranken Menschen handelt.

Ferner habe ich protokollarisch den Antrag gestellt,

das Verfahren gegen Ing. Butschowitz vorläufig bis zur Feststellungseines Aufenthaltsortes und seines Gesundheitszustandes auszuschei-den und gegen Dr. Bill weiterzuführen.

Diese hatte irgendwelche Beweisanträge auf einem Zettelaufgeschrieben und in der gewohnt frechen Weise erklärt, evtl. zurAbgabe einer Ehrenerklärung bereit zu sein, doch könne natürlich voneinem Kostenersatze nicht die Rede sein. Ich habe erwidert, dass ichmit Dr. Bill über einen Vergleich nicht verhandle. Da nach der Prozess-ordnung dem Angeklagten, auch wenn er einen Verteidiger hat, die La-dung zur Hauptverhandlung zu eigenen Handen zugestellt werden muss,hätte die Fortsetzung des Verfahrens nur dann erfolgen können, wennich die Anklage gegen Ing. Butschowitz bedingungslos zurückgezogenhätte. Dies wollte ich aber umsoweniger tun, als ich Dr. Bill keinWort glaube, demnach auch nicht, dass Butschowitz tatsächlich so schwerkrank ist und weil da ich festgestellt habe, dass dieser aus der Be-handlung des Mährischen Sanatoriums, in welchem er vor einigen Wo-chen war, entlassen worden ist. Das Gericht vertagte die Hauptver-handlung auf unbestimmte Zeit und beschloss, den Antrag auf Ausschei-dung des Verfahrens gegen Butschowitz bis nach der Feststellung seinesAufenthaltortes und Gesundheitszustandes zu erledigen. Ich werdedie Adresse zu ermitteln und Informationen über den Gesundheits-zustand des Angeklagten Butschowitz zu beschaffen trachten und danndie erforderlichen Anträge stellen.

Ich bitte Sie, sehr geehrter Herr Doktor, diese Mitteilungzur Kenntnis zu nehmen und an Herrn Kraus weiterzuleiten.

Mit dem Ausdrucke der vorzüglichsten Hochachtung und denbesten Grüssen,

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

KrausAufruf27. DEZ. 1935