195.44 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY
Vodičkova 33
Prag
Datum: 8.VI.1936
Betreff: Kraus – AUFRUF | Dr. Bill – Butschowitz

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien – XIV
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Doktor.

Heute fand die fortgesetzte Hauptver-handlung in obiger Angelegenheit statt. Ing. Butschowitz warnicht anwesend, Dr. Bill hat erklärt, sich und ihn alleinverteidigen zu müssen, weil der Verteidiger Dr. Reiner schwererkrankt ist. Der Vorsitzende O.L.G.R. Illner fragte, ob einVergleich möglich ist, worauf Dr. Bill in äusserst mangelhaft-tem Tschechisch erklärte, er habe immer seinen Vergleichwil-len bekundet, sei bereit, eine Satisfaktionserklärung abzu-geben und auf den Kostenersatz, auf den er Anspruch hätte,weil die Klage unbegründet ist, zu verzichten. Diese Erklä-rung wurde vom Gerichte nicht ernst genommen und auf meineErwiderung, dass die Angeklagten eine Satisfaktionserklä-rung abgeben, die Kosten und einen Sühnebetrag zu Gunstender Prager-Arbeitslosen bezahlen müssten, stellte der ersteVotant die Höhe dieser Kosten mit zirka 1600 Kč fest. Dr. Bill hat darauf erklärt, er zahle Herrn Kraus grundsätzlich keineKosten und überhaupt müsste auch er 1000 Kč für die Arbeits-losen erlegen, was vom Gerichte wiederum mit Heiterkeit auf-genommen wurde. Da also der Vergleich gescheitert ist, wurdedie Verhandlung eröffnet und der Vorsitzende konstatierte,

dass Dr. Bill am 5. d.M. einen Beweisantrag überreicht hat, dessenzweites Pare er mir gleichzeitig ausfolgte. Ich habe erklärt,dass ich mir, da ich den Inhalt des Beweisantrages gar nichtkenne, eine schriftliche Aeusserung vorbehalte. Nach flüchti-ger Durchsicht des mir ausgehändigten Schriftsatzes, der eineReihe schwerster Beleidigungen enthält, habe ich zu Protokollgegeben, dass ich mir die Strafverfolgung des Dr. Bill wegendes Inhaltes dieses Schriftsatzes vorbehalte, im Uebrigen aberden Antrag stelle, Dr. Bill möge ohne Rücksicht auf das Er-gebnis des Strafverfahrens der Ersatz der Kosten auferlegtwerden, da der Beweisantrag in der offenbaren Absicht, dasVerfahren hinauszuziehen, gestellt wird und der Angeklagte die angebotenen Beweise bereits früher hätte geltend machenkönnen und müssen. Ferner habe ich beantragt, die Beweisenicht zuzulassen, da sie zur Durchführung des Wahrheitsbewei-ses überhaupt nicht dienen können. Da ich schon bei flüchti-ger Durchsicht des Schriftsatzes konstatiert habe, dass fürdie Behauptung, die Verunglimpfung … zeige deutlich paranoischeZüge, der Wahrheitsbeweis beantragt wird, habe ich als Gegenbeweis die in der Geburts-tagsfestschrift veröffentlichten Artikel von Karel Čapek, JosefHora und Jan Münzer beantragt und überdies auch Herrn Dr. Liška als Zeugen geführt. Dies tat ich deshalb, weil ich mir dachte,dass man bei dieser Gelegenheit wird feststellen können, ob sichDr. Liška zum Zeugen in den wichtigeren Prozessen gegen die Arbei-terzeitung und den Sozialdemokrat eignet. Dr. Liška habe ich übri-gens noch als Zeugen über den ganzen Inhalt der von uns seiner-zeit abgegebenen Aeusserung gegen den ersten gegnerischen Beweisantrag

angeboten. Das Gericht zog sich zur Beratung zurück und ver-kündete dann den Beschluss, dass es sich die Entscheidung überdie Zulassung der gestellten Beweisanträge nach Einlangen dervom Privatkläger binnen 3 Wochen zu überreichenden Aeusserungvorbehält. Ebenso wird die Entscheidung nach § 34 Abs. 6 derEntscheidung in der Hauptsache vorbehalten. Die Hauptverhand-lung wird auf unbestimmte Zeit vertagt.

Ich übersende Ihnen eine Uebersetzung desBeweisantrages des Dr. Bill, den ich bisher nur für beschränktgehalten habe, jetzt aber als Vollidioten ansehen muss.Ich nehme an, dass Herr K. die Gegenäusserung mit Ihnen bespre-chen wird, resp. sie selbst wird verfassen wollen. Deswegen unter-lasse ich es, vorläufig einen Entwurf der Gegenäusserung, sowie ich sie mir vorstelle, einzusenden. Auf Wunsch würde ich sieaber verfassen und einschicken. Ich glaube, dass man Dr. Bill unbedingt wegen Ehrenbeleidigung klagen soll.

Mit der Bitte, Herrn K. meine besten Grüssezu bestellen, und mir mitteilen zu wollen, wie es ihm geht undwas ihm fehlt, jedenfalls auch meine Wünsche nach baldiger Bes-serung zu übermitteln, zeichne ich mit dem Ausdrucke vorzüglich-ster Hochachtung und mit besten Grüssen

Ihr ergebener:Dr. Turnovsky

10. JUNI 1936KrausAufruf