196.3 Brief RA Johann Turnovsky an Samek

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Johann Turnovsky, schwarze Tinte

Sender

JUDr. JOHANN TURNOVSKY | Advokat
Vodičkova 33
PRAG II.
Datum: 24.X.1934
Betreff: Kraus – Arbeiter-Zeitung.

Empfänger

An: P.T. | Herrn Dr. Oskar Samek, Advokat
Reindorfgasse 18
Wien -XIV
Datum: 25. OKT. 1934
Seite von 2

Sehr geehrter Herr Doktor.

Ich bestätige den Empfang IhresBriefes vom 23. d.M. und gestatte mir mitzuteilen, dass ichaus dem Artikel „Der Racheakt der Polizei gegen Braunthalden ganzen letzten Absatz für verfolgbar halte. Die Behaup-tung, Herr Kraus habe sich in seiner „FACKEL“ brav gleichge-schaltet und preise im Schweisse seines Angesichtes dieKulturtaten des „österreichischen Menschen“, was aller-dings vor Wöllersdorf schütze, ist unbedingt nach den §§ 1 bis 3des Gesetzes über den Schutz der Ehre zu verfolgen.

Aus dem Gedichte „Zeitgeister“ halte ich die Widmung:dem Karl Kraus und ähnlichen Helden der Gesinnung unddes Geistes zugedacht“, dann die zweite Strophe, inwelcher eben durch die Widmung Herr Kraus als einer vonjenen Dichtern mit Erlösermienen, Leisetretern, etc.bezeichnet wird, und die darauffolgende Strophe für inkri-minierbar.

Ich könnte die Angelegenheit vonhier aus insoferne vertreten, als ich die Schriftsätze/ Strafanzeige, Anklageschrift / verfassen würde, mit derIntervention bei der Vergleichs- und Hauptverhandlung jedoch

einen Brünner-Kollegen betrauen müsste.

Da ich in diesem Falle ein unnützes Zwischen-glied zwischen dem intervenierenden Anwalt und Herrn Kraus wäre, ist es wohl zweckmässiger, den Brünner-Anwalt direktzu betrauen. Nun kann man die Vertretung des Herrn Kraus wohlnicht jedem beliebigen Kollegen anvertrauen und von denen,die ich kenne, erscheint mir als der geeigneteste Herr Dr.Robert Herrmann, Advokat in Brünn, Masarykova 25.

Da ich gerne vermeiden wollte, dass Sie diesem Kollegen dieAkten einsenden und ihn mit der Vertretung betrauen, ohnevorher ermittelt zu haben, ob er sich für die Sache entspre-chend einsetzen wird und ob keine gesinnungsmässigen Bindun-gen vorliegen, die dies unmöglich machen, habe ich heutean Dr. Herrmann geschrieben und ihn befragt, ob er nicht durchirgendwelche Rücksichten auf die sozial-demokratische Partei und insbesondere auf die emigrierten Führer der Wiener-Sozial-Demokratie, sowie auf deren Parteiorgan gehindert ist, gegeneinen Mitarbeiter der Arbeiterzeitung einzuschreiten.

Ich werde mir gestatten, Ihnen seine Antwortbekanntzugeben.

Die von Herrn Kraus gewünschten Nummern derArbeiterzeitung und der Zeitschrift „Der Kampf“ habe ichbestellt und erhalte sie voraussichtlich morgen. Ich sendesie Ihnen dann sogleich ein.

Indem ich bitte, mich Herrn Kraus bestens zuempfehlen, zeichne ich

mit vorzüglicher Hochachtung:Dr. Turnovsky

KrausArbeiter Zeitung25. OKT. 1934