196.58 Brief RA Felix Gallia an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Annotationen

Schreiberhände:

  • Oskar Samek, Bleistift

Sender

Dr. FELIX GALLIA
MASARYKSTRASSE 25/27
BRÜNN
Datum: 19. Feber 1936
Betreff: Kraus – Arbeiterzeitung.
Diktiersigle: Dr.G/b

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Datum: 20. FEB. 1936
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege.

Ueber das Ergebnis der gestrigen Hauptverhand-lung gegen Hugo Sonnenschein und Redakteur Schramek werdenSie vielleicht schon aus den Berichten der hiesigen Presseinformiert sein. Ich berichte Ihnen vorläufig kurz folgen-des:

Die Angeklagten haben unmittelbar vor der ge-strigen Verhandlung einen umfangreichen Beweisantrag über-reicht. Da er in čechischer Sprache verfasst ist, werde ichihn übersetzen und Ihnen die Übersetzung in den nächsten Tagen schon zukommenlassen. Der Beweisantrag der Gegner stellt wohl schon dasMaximum an bewusst unwahren und niederträchtigen Unterstel-lungen dar, die sich überhaupt vorstellen lassen. So wirdz.B. unserm Klienten vorgeworfen, dass er vor dem Weltkriegund in diesem Kriege ein ostentativer Vergötterer des österr.Militarismus mit allem seinem Zubehör gewesen sei. Ausserdemwird versucht, durch Hinweise auf die Fackelnummern 909–911 sowie 912–915 das Gericht aus nationalen bezw. angeb-lich patriotischen Gründen gegen unsern Mandanten aufzu-putschen. Allerdings hat der Senatsvorsitzende diese offen-

kundige Tendenz der gegnerischen Behauptungen, die ich selbst-verständlich entsprechend gebrandmarkt habe, sofort erkanntund schon bei der gestrigen Verhandlung richtig gewürdigt.

Zugelassen wurden von den von der Gegenseite angebotenenNr 864–867 Seite 40ffBeweisen die Zeugen Paul Kornfeld und Johann Urzidil in Prag,ferner der Legationsrat Šrom der čsl. Gesandtschaft in Wien.

Die Angeklagten bieten auch, ebenso wie dies in Prag ge-schehen ist, den Wahrheitsbeweis durch eine ganze Reihe von Nummernder Fackel an. Das Gericht denkt jedoch gar nicht daran, allediese Fackeln zur Verlesung bringen zu lassen, sondern wird denAngeklagten zweifellos auftragen, genau seitenmässig die Stel-len zu bezeichnen, die vorgelesen werden sollen, sodass wir nurmit einer relativ kurzen Dauer der Verlesungen aus den einzelnenFackelheften rechnen müssen.

Der Vorsitzende hat ganz decidiert erklärt, dass er sichder Art und Weise, in welcher der Prager Prozess geführt wird,absolut nicht anzuschliessen gedenkt, sondern dazu schauen wird,die hiesige Sache rasch zu erledigen.

Wir werden natürlich zu dem gegnerischen Schriftsatz eineentsprechende Aeusserung zu verfassen haben, zu der vom Gericht eine 14 tägige Frist gewährt wurde.

Selbstverständlich habe ich mich sehr energisch bemüht, zu ver-hindern, dass über das gegnerische Vorbringen überhaupt Beweise

zugelassen werden, doch gelang es mir nicht, dies durchzu-setzen.

Ich behalte mir einen weitern ausführlichen Berichtvor und zeichne

mit kollegialer HochachtungergebenerDr. Gallia

KrausArb.Ztg. 20. FEB. 1936