196.63 Brief RA Felix Gallia an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript

Sender

Dr. FELIX GALLIA
MASARYKSTRASSE 25/27
BRÜNN
Datum: 4. März 1936
Betreff: Karl Kraus – Arbeiterzeitung.
Diktiersigle: Dr.G/b

Empfänger

An: Wohlgeboren Herrn | Dr. Oskar Samek, | Rechtsanwalt
Reindorfgasse 18
Wien XIV.
Datum: 5. MRZ. 1936
Seite von 4

Sehr geehrter Herr Kollege.

Ich bestätige Ihr gesch. Schreiben vom 2. d.M. Gestern hat Herr Dr. Turnovsky bei mir angerufen und mir vonder Anwesenheit unseres Mandanten in Prag Mitteilung gemacht.Leider dürfte ich während der Dauer des Prager AufenthaltesHerrn Kraus’ in Prag kaum zu tun haben. Ich werde jedoch ver-mutlich gegen Ende der nächsten Woche beruflich in Wien seinund die Gelegenheit gern wahrnehmen, um mit Ihnen und HerrnKraus die Sache eingehend zu besprechen. Ich bitte Sie jeden-falls um Ihre freundliche Mitteilung, wann Herr Kraus wiedernach Wien zurückkommt, damit ich meine Dispositionen im An-schluss an die des Mandanten treffen kann.

Herr Dr. Herrmann wird wahrscheinlich morgenoder übermorgen beruflich in Wien zu tun haben. Die Zeit, dieer in Wien verbringen will, ist jedoch durch sein umfangrei-ches Programm vollkommen ausgefüllt. Falls er nur irgendwieZeit findet, wird er sich mit Ihnen, sehr geehrter HerrKollege, zumindest telefonisch ins Einvernehmen setzen.

Bei dem gestrigen Telefongespräch hat HerrDr. Turnovsky auch die Frage aufgeworfen, ob nicht der Beweis-antrag der Angeklagten zum Gegenstand einer neuen Klage wegen

Ehrenbeleidigung gemacht werden soll. Meiner Meinung nach wäredas Schicksal dieser Klage doch wohl davon abhängig, wie derhiesige Pressprozess entschieden wird. Weiters habe ich auchdas Gefühl, dass die Einbringung einer neuen Ehrenbeleidigungs-klage vom Strafgericht als eine Art Versuch angesehen werdenkönnte, das Recht der Angeklagten auf Verteidigung und aufVorbringen aller zu diesem Zweck nach Ansicht der Angeklagtennotwendigen, wenn auch unwahren Fakten, zu beschneiden.

Der Ehrenbeleidigungsprozess, der ja vor dem Bezirksge-richt durchgeführt werden müsste, würde wahrscheinlich bis zurErledigung des Pressverfahrens unterbrochen werden.

Schliesslich gestatte ich mir noch darauf hinzuweisen, dassdie subjektive Verjährungsfrist, wie Ihnen, sehr geehrter HerrKollege, ja bekannt sein dürfte, hier mit zwei Monaten festge-setzt ist.

Vielleicht ist vor Ablauf dieser Frist, die ich mir je-denfalls vormerke, das Pressverfahren so weit geklärt, dass esleichter fällt, eine Entscheidung über die Frage der Einbringungder neuen Ehrenbeleidigungsklage zu treffen. Darum möchte ichempfehlen, die Entscheidung in dieser Sache zunächst auf etwa5 Wochen zurückzustellen.

Für die Erstattung unserer Aeusserung im Pressverfahren habe ich mit einer gestern überreichten Eingabe um Frister-streckung bis 25. d.M. angesucht. Ich bin der Meinung, dass diese

Fristerstreckung ohne weiters wird bewilligt werden, wahr-scheinlich auch eine weitere Erstreckung, falls diese not-wendig werden sollte.

Ich verbleibemit vorzüglicher HochachtungergebenerDr. Gallia

KrausArb. Ztg. 5. MRZ. 1936