198.1 Brief Samek an Kleinkunstbühne des Bundes junger Autoren Österreich „Die Stachelbeere“

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

Oskar Samek
Reindorfgasse
XIV., Penzing
Datum: 31. Mai 1935
Betreff: Kraus – „Die Stachelbeere“
Diktiersigle: Dr.S/Fa.

Empfänger

An: die | Kleinkunstbühne des Bundes junger Autoren Oesterreichs | „Die Stachelbeere“
Rathausplatz 4
Wien I.
Seite von 3

1)

31. Mai 1935.

Dr.S/Fa. Betrifft: Kraus – „Die Stachelbeere“.

An dieKleinkunstbühne des Bundes junger Autoren OesterreichsDie Stachelbeere

Wien I. ,Rathausplatz 4.

Als Rechtsanwalt des Herrn Karl Kraus habe ich Ihnen das Folgende mitzuteilen:Sie führen, wovon ich mich persönlichüberzeugt habe, eine dreiaktige Operette unter dem TitelDer Walzerkavalier“ auf, worin Sie im letzten Akt, der ineinem Orte „Canossa“ vor einem Hotel „Zur schönen Aussicht“spielt, eine Reihe von Personen namentlich anführen, derenCharakter offensichtlich das Stigma der spekulativen Unter-werfung unter ein herrschendes Regime, vornehmlich das desDritten Reiches, aufgedrückt wird. Eine Verbindung derPerson meines Mandanten mit dieser anrüchigen Sphäre wird inso-ferne hergestellt, als es in jenem Canossa auch ein Hotel„Zum goldenen Kreuz“ gibt, wodurch offenbar auf eine spekulativeUnterwerfung unter eine angebliche österreichische Gewalt-herrschaft angespielt werden soll. Es liegt mir natürlich voll-kommen ferne, mich auf diesem Wege mit Ihnen über die Unbillsolch gleichstellender Fiktion auseinanderzusetzen, der jaschon die Möglichkeit widerspricht, sie in Tagen schwerstenAbwehrkampfes der einen gegen die andere Sphäre unbehindertvorzuführen. Nicht minder ferne liegt es mir, Sie auf diesemWege von der Unmöglichkeit einer Charakteristik überzeugen zu

wollen, zu der Sie sich offenbar in etwas simpler Auffassungder Wirksamkeit meines Mandanten, vielleicht verführt von demBeispiel einer anderen „Kleinkunstbühne“, angeregt fühlten,welches leider juristisch nicht fassbar war. Wie immer Sie über die mit einem Bereich des Terrors und der Spekulationverglichene Sphäre denken und in Zeiten der Notwehr diesergegen jenen sich betätigen mögen, wesentlich wird in jedemFalle der Umstand sein, dass die Einreihung meines Mandanten in den Umkreis Ihrer satirischen Betrachtung sich als eine demSachverhalt widersprechende Schmähung und Verspottung qualifi-ziert. Ihre Darstellung, wonach heute „jeder, der auf seinRenommee hält“ nach Canossa gehe und dass jeder, der es auf-sucht, „gut gefahren“ sei, schliesst offenbar den Vorwurf insich, dass mein Mandant, den Sie, wenn schon nicht im Hotel„Zur schönen Aussicht“, so doch in dem „Zum goldenen Kreuz“wohnen lassen, seine literarische Tätigkeit aus unlauterem,streberischem oder in irgend einer Art gewinnsüchtigem Motiveinem vermeintlich klerikalen, jedenfalls aber seiner ver-meintlich liberalen früheren Haltung widersprechenden „Kurs“,Diktat oder Gewissenszwang angepasst habe. Dazu kommt, dassdie Worte, Herr Franz Werfel wohne im Hotel zum goldenen Kreuz,im selben Stockwerk wie Herr Karl Kraus“, ihn in eine besonde-re Verbindung mit einer öffentlichen Persönlichkeit bringen, dieer aus besonderen Gründen, deren Erörterung der gerichtlichenGelegenheit vorbehalten bliebe, als herabsetzend empfindet.Ich nehme nicht an, dass Sie diese gerichtliche Gelegenheittrotz einem (derzeit erheblich reduzierten) Reklamewert herbei-wünschen werden, und fordere Sie auf, die Einreihung des Namensdes Herrn Karl Kraus (wie auch einer blossen Andeutung) in dasvon Ihnen gekennzeichnete Milieu von dem Tage des Empfangesdieses Schreibens, also vom 2. Juni 1935 angefangen, zu unter-

lassen, widrigenfalls gegen Direktion, Spielleitung und Autordie Klage eingebracht würde. Eine Ehrenerklärung für die bis-herige beleidigende Nennung des Namens wird nicht verlangt, da-gegen binnen fünf Tagen der Erlag eines Sühnebetrages von S 50.–zu Gunsten des Dollfuss-Werkes und die Bezahlung der in meinerKanzlei aufgelaufenen Kosten von S 25.64.

Ich zeichnehochachtungsvoll

Rekommandiert.