198.2 Brief Bund junger Autoren Österreichs (Rudolf Weys) an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

Bund junger Autoren Österreichs
Getreidemarkt 1
Wien VI.
Datum: 20. Juni 1935

Empfänger

An: Herrn Dr. Oskar Samek | Rechtsanwalt
Reindorfgasse
Wien XIV
Stempel: Bund junger Autoren Österreichs
Seite von 1

col 2)

WIEN, 20. Juni 1935VI. GETREIDEMARKT 1

Herrn Dr. Oskar Samek RechtsanwaltWien XIV

Sehr geehrter Herr Doktor!

Zu Ihrem Schreiben vom 31. Mai d.J. haben wir Ihnen telepho-nisch mitgeteilt, dass über Verfügung unseres Vorstandes vom „Bund jun-ger Autoren Österreichs“ „… die Einreihung des Namens des HerrnKarl Kraus (wie auch einer blossen Andeutung)…“ in das mit der Ope-rette „Der Walzerkavalier“ gekennzeichnete Milieu im Programme derKleinkunstbühne „Die Stachelbeere“ am Tage des Erhalts Ihres Schreibens abgestellt worden ist.

Zur Sache selbst erlauben wir uns zu bemerken: Wir stehenim Allgemeinen auf dem Standpunkt, dass Autoren in ihrer satirischenZeitkritik nicht beschränkt werden sollen, selbst dann nicht, wenn sie– was vorkommen kann – ihr Ziel verfehlen. Das Recht zu solcher „dichte-rischer Freiheit“ muss in besonderem Mass das Kabarett für sich in An-spruch nehmen.

Im Falle des Herrn Karl Kraus gingen bezüglich der inkrimi-nierten Stelle schon ursprünglich die Meinungen weit auseinander.Einige vertreten den Standpunkt, Satire habe sich nicht um Verdienst,Rang und Ansehen der Person zu kümmern, andere lehnen diese Auffas-sung ab. Einige erwarten gerade von Karl Kraus Unbeugsamkeit, ja mehrals das: Unversöhnlichkeit in „beiden Sphären“, andere finden eineNotwehr“-Haltung in Tagen „schwersten Abwehrkampfes“ für selbstver-ständlich, die Mehrzahl geht noch weiter und sieht überhaupt keinenWiderspruch zwischen der früheren und der jetzigen Haltung des HerrnKarl Kraus.

Eine letzte Entscheidung über solche interne Meinungsver-schiedenheiten ist in diesem speziellen wie in allen andern Fällensehr schwer zu fällen und sieht sich der Vorstand des „Bundes“ dazuauch nicht berufen.

Da sich unsere Meinung jedoch in überwiegender Mehrheitmit dem Verhalten des Herrn Karl Kraus deckt, sind wir in diesem spe-ziellen Falle Ihrem Wunsch um Abstellung des inkriminierten Textes nachgekommen. Wäre jenes nicht der Fall, hätten wir Ihrer Aufforderungnicht folgen können.

Ihre materiellen Ansprüche an uns ersuchen wir Sie, fallenzu lassen, da wir einerseits nicht in der Lage sind, dieselben zutragen, anderseits sie – offen gestanden – für ungerechtfertigt halten.

Hochachtungsvollfür Bund junger AutorenÖsterreichs Dr. Rudolf Weys

KLEINKUNSTBÜHNELITERATUR AM NASCHMARKT TELEFON B25-100