198.3 Brief Verlag Die Fackel an Samek

Materialitätstyp:

  • Typoskript mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Kopie

Schreiberhände:

  • Karl Kraus, Bleistift

Sender

VERLAG „DIE FACKEL“
HINTERE ZOLLAMTSSTR. 3
WIEN, III.
Datum: 24. Juni 1935

Empfänger

An: Herrn Dr. Oskar Samek | Rechtsanwalt
Reindorfgasse
Wien XIV.
Datum: 24. Juni 1935
Seite von 4

petit d 4

Wien, 24. Juni 1935

Herrn Dr. Oskar SamekRechtsanwaltWien XIV

Hochgeehrter Herr Doktor!

Sie übermitteln uns die uns zugedachten interessanten Aus-führungen des „Bundes junger Autoren Österreichs“, die dieser nachdreiwöchiger Beratung an Sie gelangen ließ, jedoch immerhin recht-zeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist für ein anderes Verfahren,das uns noch mehr interessiert. Der Bund junger Autoren teiltmit, daß er „über Verfügung“ seines Vorstandes die Einreihungdes Namens des Herrn Karl Kraus (wie auch einer bloßen Andeutung)in das gekennzeichnete Milieu am Tage des „Erhalts“ Ihres Schrei-bens abgestellt habe, wünscht aber die von Ihnen gestellten Be-dingungen materieller Natur nicht zu erfüllen. Dafür scheint erwieder den Verzicht auf eine Ehrenerklärung nicht gelten zu lassen,sondern teilt Ihnen – wiewohl Sie es ausdrücklich abgelehnt haben,mit ihm die einschlägigen Probleme zu erörtern – das Ergebnissorgfältiger Urteilsberatung mit, das sich als ein moralischerFreispruch des Herrn Karl Kraus darstellt. Der Bund junger Autoren macht aber kein Hehl daraus, daß – was sonst von Instanzen nichtverraten wird – das Urteil erst nach einem Kampf der Meinungenzustandekam, die „bezüglich der inkriminierten Stelle schon ur-sprünglich weit auseinandergingen“. Einige hätten nämlich denStandpunkt vertreten, Satire habe sich nicht um Verdienst, Rangund Ansehen der Person zu kümmern, während andere diese Auffassungablehnten. Einige hätten gerade von Karl Kraus Unbeugsamkeit, jamehr als das: Unversöhnlichkeit in „beiden Sphären“ erwartet,andere fänden eine „Notwehr“-Haltung in Tagen schwersten Abwehr-kampfes für selbstverständlich; die Mehrzahl gehe noch weiter undsehe überhaupt keinen Widerspruch zwischen der früheren und derjetzigen Haltung des Herrn Karl Kraus. Die Gruppe, die ihn beson-ders interessiert, ist natürlich die der Persönlichkeiten, dieseine Unbeugsamkeit vermissen und falls sie sich entschlössenihre Anonymität aufzugeben, in einem andern Gerichtsverfahren be-rufen wären, nachzuweisen, daß er und um welcher Vorteile willener sich beugen ließ, ferner auch mit dem ihnen offenbar inne-

wohnenden Mannesmut darzulegen, wie „beide Sphären“ diese Eigen-schaft in gleicher Weise herausfordern. Daß er – wegen seinerHaltung und des etwaigen „Widerspruchs“ – mit großer Spannungdem Urteil des Bundes jüngerer Autoren entgegengesehen hat,versteht sich von selbst, nur bedauert er natürlich, daß es umseinetwillen zu Spaltungen kommen mußte, und vor allem, daß wie-der einmal wie so oft die Majorität durch eine erdrückende Mino-rität vergewaltigt wurde. Doch auch das Urteil, das jener Rechtgibt, schafft leider insofern nicht Klarheit, als ja „eineletzte Entscheidung über solche interne Meinungsverschiedenhei-ten in diesem speziellen wie in allen andern Fällen sehr schwerzu fällen“ ist, „und sieht sich“ der Vorstand des „Bundes“ (derjungen Autoren Österreichs) „dazu auch nicht berufen“. DieSchwierigkeiten scheinen da annähernd so groß wie die mit derSprache zu sein. Zur Erleichterung möchten wir aber darauf hin-weisen, daß der Angeklagte, wenn er schon nach einem moralischenTadel auch noch der Billigung seines Verhaltens durch einKabarett teilhaft werden soll, bei diesem doch keineswegs umeine letzte Entscheidung über dessen interne Angelegenheiteneingekommen ist. Zum Glück erscheinen sie schließlich auf dieArt geordnet, daß sich die Meinung der „Stachelbeere“, die einerintransigenten Minderheit zuliebe Herrn Karl Kraus im „GoldenenKreuz“ neben Herrn Werfel wohnen ließ, „in überwiegender Mehr-heit mit seinem Verhalten deckt“, weshalb sie „in diesem spe-ziellen Falle“ dem Wunsch „um“ Abstellung des inkriminiertenTextes nachkommen konnte, was sie natürlich nicht getan hätte,wenn jenes nicht der Fall wäre. So bedauerlich es nun sein mag,daß die „Stachelbeere“, von der man Unbeugsamkeit vor einerDiktatur erwartet hätte, das demokratische Prinzip jemals auf-gegeben hat, so löblich wäre die Erkenntnis der Verfehlung, wennsie nicht doch an jene letzte Entscheidung ge knüpft bunden wäre, diewegen der internen Vorgänge im Schoße der „Stachelbeere“ nichtzu erlangen ist und der leider auch ein geistiges Hindernis imWege steht.

Noch aufschlußreicher nämlich als in der Stellung zumspeziellen Falle erscheinen uns die Ausführungen der jungenAutoren im Prinzipiellen, und zwar durch die endgültige Bestim-mung des Begriffes der Satire, die uns umsomehr fesseln mußte, als

unser Herausgeber selbst schon Versuche in diesem literarischenGenre unternommen hat. Er fühlt sich förmlich erleichtert durchdie Aufklärung, daß das Wesen der Satire eine Verfehlung aus-schließe. Denn der Bund junger Autoren Österreichs, der offenbarnicht nur in sprachlicher, sondern auch in moralischer Hinsichteine Lockerung beruflicher Fesseln anstrebt, steht „im Allgemei-nen“ auf dem Standpunkt, daß sie „in ihrer satirischen Zeitkri-tik nicht beschränkt werden sollen, selbst dann nicht, wenn sie –was vorkommen kann – ihr Ziel verfehlen“; und das Recht zu sol-cher „dichterischen Freiheit“ – die Anführungszeichen stammennicht von uns, deuten vielmehr schon die Satire an – müsse inbesonderem Maße das Kabarett für sich in Anspruch nehmen. EineAnschauung, die an Weitherzigkeit die Friedrichs des Großen nochübertrifft, der bloß Gazetten nicht geniert haben wollte, währendder Herausgeber der Fackel, reaktionärer, der Preßfreiheit abholdist und Kabaretts bisher nicht so sehr für eine gottgewollte Ein-richtung als für einen gesellschaftlichen Übelstand zu haltenpflegte. Was die Satire als solche anlangt, wollte er ihr bisherdie Hemmung auferlegt wissen, ihr Ziel in keinem Fall zu verfeh-len, also nicht etwa zu verbreiten, daß einer ein Schweinehundsei, wenn man weiß, daß er es nicht ist: weil man sonst einerwäre. Er wollte der Satire nur die Freiheit vergönnen, den ge-ringsten Gegenständen Ehre zu erweisen, weshalb wir Ihnen auch,sehr geehrter Herr Doktor, diese so eingehende Antwort an eineKleinkunstbühne übermitteln.

Was die materiellen Ansprüche betrifft, die sie –offen gestanden“ – für ungerechtfertigt hält, so bitten wir,dieses offene Geständnis erforderlichen Falles vom kompetentenGericht überprüfen zu lassen, was ihm umso leichter fallen dürf-te, als ja das offene Geständnis der erfolgten, „schon ursprüng-lich“ erkannten, mithin wissentlich gesetzten Beleidigung be-reits vorliegt. Wir vermuten, daß die Geldstrafe höher sein würdeals die Buße, wollen aber einem Entgegenkommen in der Richtungzustimmen, daß die jungen Autoren vor Ablauf der Verjährungsfrist(die durch ihre lange Beratung leider verkürzt wurde) zuerst denBetrag für den wohltätigen Zweck und hierauf die Anwaltskostenzu bezahlen haben, die selbst zu übernehmen so wenig der Absicht

des Beleidigten entspricht wie von jenem etwas abhandeln zu las-sen. Wenn sich die Beleidiger auf ihre Notlage berufen, so sindwir überzeugt, daß im Ernstfall die ihrem Geschäft nahestehendeUniversal-Edition – in reuigem Gedenken der Tage, da sie unsSchaden, Verdruß und die wenngleich genußvolle Mühsal einergroßen Korrespondenz verursacht hat – zur Aushilfe bereit wäre.Unser soziales Gefühl verwehrt es uns, zwischen Arm und Reicheinen Unterschied zu machen, wenn es sich um schlechtes Benehmenhandelt; davon aber, daß Armut einen Freibrief für dieses habensollte, davon kann so wenig die Rede sein, wie ein Zweifel be-stehen könnte, daß die Empfänger der Wohltaten des Dollfuß-Werkesbedürftiger und ihrer würdiger sind als Autoren Österreichs, diedessen Notwehr in Tagen schwersten Abwehrkampfes durch „satiri-sche Zeitkritik“, wiewohl vielleicht ohne hinreichenden Ertrag,zu fruktifizieren suchen.

Wir bitten Sie, bei Nichteinhaltung der noch einmal zustellenden Bedingungen, ohne sich auf weiteren Briefwechsel undTelephonanrufe einzulassen, die Klage anhängig zu machen, derenZurücknahme dann bloß in dem Fall möglich wäre, dass wenn die bisher erlasseneEhrenerklärung auf Kosten der Satiriker in der Tagespresse ver-öffentlicht würde, damit die Sorte Publikum, die sich an derSatire ergötzt hat, von der Remedur erfahre.

Mit dem besten Dank im Voraus und dem Ausdruck dervorzüglichsten HochachtungVERLAG „DIE FACKEL“