19.21 Protokoll der Berufungsverhandlung (Landesgericht für Strafsachen I Wien, G.Z. Bl. XV 176/26, Richter: Franz Gottfried)

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Datum: 2. März 1926
Seite von 6

U I 286/25G.Z. Bl. XV 176/2610

Im Namen der Republik Österreich!

Vor dem Landesgericht in Strafsachen I Wien alsBerufungsgericht hat gemäß der die Verhandlunganordnenden Vefügung vom 21. Januar 1926 anunter dem Vorsitz des Hofrates Gottfried im Beisein des Hofrates Heidrich Hofrates Neuwirth Hofrates Dr. Moldauer und des Offztin Weber als Schriftführersin Abwesenheit des Privatanklägers Karl Kraus in Anwesenheit dessen Vertreters Dr. Oskar Samek (o.V. 12.12.25) in Anwesenheit des AngeklagtenDr. Fritz Kaufmann und in Abwesenehit des Ange-klagten Anton Kuh unddes Verteidigers Dr. Friedrich Schnepp für Anton Kuh (o.V. 17.I.26) die Verhandlung über die Berufungdes Privatanklägers pto. Nichtigkeit gegen dasUrteil des Strafbezirksgerichtes I Wien vom 21. Jänner 1926 G.Z. U I 286/25/5 stattgefunden.Das Gericht hat über den Antrag des klägerischenVertreters der Berufung des Privatanklägers Folgezu geben und den des Verteidigers für zurück-zuweisen.

Am 2. März 1926 nach öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Der Berufung des Privatanklägers wirdFolge gegeben, das Urteil nach § 475/3St.P.O. aufgehoben und dem Bezirksgericht aufgetragen sich der Verhandlung undUrteilsfällung zu unterziehen.

Der Ausspruch über die Kosten wirdder Entscheidung vorbehalten.

Gründe:Das Berufungsgericht erachtet denNichtigkeitsgrund nach § 281 Zl. 6 und 468/3St.P.O. für gegeben, da das Bezirksgericht zur Entscheidung der vorliegenden Sachezuständig erscheint. Unter Anklage stehtdie Beschimpfung des Privatanklägers durch den Ausdruck Vortragsaffe in denNummern 778 und 858 der Stunde vom10. Oktober 1925 bezw. 20. Jänner 1926, wofürAnton Kuh und Dr. Fritz Kaufmann, Letztererals verantwortlicher Schriftleiter gemäߧ 496 St.G. verantwortlich gemacht wurden.Ob für letzteren die Verantwortung imSinn dieser Gesetzesstelle ganz oderteilweise nach § 30 Pr.G. in Frage kommt,ist für die Entscheidung der Zuständigkeits-frage unentscheidend, ebenso auch dieArt der Erledigung der bei der Hauptver-

handlung am 21. Jänner 1926 ausgedehntenAnklage auf die Äußerung des Anton Kuh:Ich bedaure nämlich durch den Umstand,daß Karl Kraus den Ausdruck Vortragsaffeals Schmähung und nicht als Ehrenbeleidigungqualifiziert hat, mir sonach nicht dieMöglichkeit geboten hat den Wahrheits-beweis darüber zu führen ob er inder Tat ein Vortragsaffe ist, bestreiten zumüssen, daß ich ihn gemeint habe.“ DieBezeichnung eines Menschen als Affe öffentlichin einer Zeitung ist zweifellos eineBeschimpfung, denn durch diese Bezeichnungwird dem Beleidigten die Mißachtung seitensdes Täters zum Ausdruck gebracht undderselbe in seiner Menschenwürde undSelbstachtung in der Öffentlichkeit herabgesetzt.Die Beleidigung erfolgte durch die Form undnicht durch den Inhalt der beleidigendenÄußerung. Bei einer mündlichen Beleidigungist maßgebend wie der Zuhörer die Äußerungim Zusammenhange mit anderen gleich-zeitigen Äußerungen des Beleidigers auf-fassen muß. Das gleiche gilt vom Lesereiner durch Druckschrift begangenen Be-leidigung. Im vorliegenden Falle be-

schäftigte sich Kuh zuerst mit denjenigen,die seinen Namen zur Zielscheibe ihresSpottes gemacht haben, bezeichnet dann denneuesten Witzbold dieser Art als Vor-tragsaffen und fügt daran noch einigeWorte, die wieder an seine einleitendeBemerkungen anknüpfen. Von dem ganzenAufsatz in den beiden vorerwähnten Zeitungs-blättern ist blos das Wort Vortragsaffeinkriminiert, wozu der Privatankläger ohne weiters berechtigt erscheint. Was voraus-geht und nachfolgt, blieb außer Klage.Es ist daher nicht zu untersuchen ob dasVorausgehende und das Nachfolgendenicht etwa als eine Verspottung nach§ 491 St.G. zu qualifizieren wäre. DemInhalt und dem Sinne nach hat dieser mitdem inkriminierten Worte Vortragsaffegar nichts zu tun. Dieses Wort steht fürsich allein selbstständig da, und es würdeden Sinn des ganzen gar nicht tangieren,wenn an Stelle des Wortes Vortragsaffeirgend ein anderes nicht beleidigendes Wortstünde. Es ist daher in seiner Selbstständigkeitzu prüfen und zu werten und daist es klar, daß das Wort Affe nur

als Schimpfwort nach § 496 St.G. zuqualifizieren ist, trotz seiner Zusammen-setzung mit dem Worte Vortrag, weildieses Bestimmungswort nur dazubestimmt ist, dem Leser einen Wink zugeben, was unter diesem Affen zuverstehen ist und ist in dem Wort Vor-tragsaffe nicht auf das Bestimmungs-wort Vortrag sondern auf dasGrundwort Affe der Nachdruck zu legen,welches ebenso wie viele andere Tier-namen eine reine Beschimpfung dar-stellt. Da aber das Wort Vortragsaffeohne weiteren Zusammenhang gebrauchtwurde und eine Auslegung diesesWortes erst in der gerichtlichen Ver-antwortung versucht wurde, so kanndarin noch keine Verspottung imSinne des § 491 St.G. erblickt werden, zumaldie Wahl des inkriminierten Ausdruckeskeinen genügenden Anlaß bietet denPrivatankläger dem öffentlichen Spotte preis-zugeben und ihn der Verhöhnung aus-zusetzen.

Mit Rücksicht auf die Bestimmungdes Artikels II der Strafprozeßnovellevom 15. Juni 1920 St.G. Bl. 279 und

und § 493 St.G. erscheint daher dasBezirksgericht zuständig zur Erledigungdieser Strafsache, da der § 496 St.G. im§ 493 St.G. nicht zitiert ist, eine Schmähungim Sinne des § 491 St.G. überhaupt nichtin Frage kommt, da durch die Wahldes inkriminierten Ausdruckes derPrivatankläger nicht verächtlicher Ei-genschaften und Gesinnungen ge-ziehen wurde, daher ein Vergehens-tatbestand nicht vorliegt. Da aberdas Bezirksgericht mit Rücksichtauf die Lösung der Zuständigkeitsfragedie ausgedehnte Anklage nicht weitererörtert hat, ist das Berufungsgericht nicht in der Lage selbst zu entscheidenund muß dem Bezirksgericht die neuer-liche Verhandlung und Urteilsfällunggemäß § 475/3 St.P.O. überlassen werden,welches auch bei der Enderledigung überdie Kosten des Strafverfahrens zu entscheidenhaben wird.

Wien, am 2. März 1926.Der VorsitzendeFranz Gottfried Für die Richtg. d. Ausf.Pollak m.p.