23.43 Urteil des Strafbezirksgerichts I Wien

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Datum: 2. Dezember 1926
Seite von 6

U I 224/3633

Im Namen der Republik!

Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwartdes Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek des Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann über die Anklage verhandelt, die der Privat-ankläger Karl Kraus gegenDr. Fritz Kaufmann 30 Jahre, verh., verantw. Schriftleiterder Zeitung „Die Stundewegen der Übertretung nach § 30 Pressgesetz erhoben hatte,und über den vom Anklagevertreter gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung desselben zur Veröffentlichung des Urteiles in den Zei-tungen „Die Stunde“ und „Pester Lloyd“ und Erkenntnis auf Verfall derNummer 794 und 795 der „Stunde vom 30. und 31. Oktober 1925zu Recht erkannt: Dr. Fritz Kaufmann ist schuldig, er habe alsverantwortlicher Schriftleiter der in Wien erscheinenden Zeitung „DieStunde“ bei der Aufnahme der Aufsätze mit der Ueberschrift „KarlKraus, der Kämpfer“ in den Nummern 794 und 795 der genannten Zeitung vom 30. und 31. Oktober 1925, deren Inhalt das Vergehen gegen die Sicher-heit der Ehre nach § 488 STG. begründen, jene Aufmerksamkeit vernach-lässigt, bei deren pflichtgemässer Anwendung die Aufnahme des strafbarenInhaltes unterblieben wäre.

Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Pressgesetz begangen.Mit Rücksicht auf die hg. Urteile U I 286/25 vom 27. April 1926 und U I 244/26vom 28. Oktober 1926 wird unter Bedachtnahme auf § 265 STPO. von der Ver-

hängung einer Strafe Umgang genommen.

Dr. Fritz Kaufmann wird ferner gemäss § 43 Abs. 1 Pressgesetz verpflichtet, dieses Urteil in der ersten oder zweitnächsten nachRechtskraft des Urteiles erscheinenden Nummer der Zeitung „DieStundee“ in der im § 23 Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zuveröffentlichen, widrigenfalls diese Zeitung nicht mehr erscheinendürfte.

Weiters wird der Beschuldigte gemäss § 43 Pressgesetz 2 Absatz verpflichtet, dieses Urteil binnen 14 Tagen nach Rechtskraft in derZeitung „Pester-Lloyd“ zu veröffentlichen.

Gemäss § 41 Pressgesetz wird der Verfall der Nummern 794 und 795der „Stunde vom 30. und 31. Oktober 1925 ausgesprochen.

Gemäss § 389 STPO. hat der Beschuldigte die Kosten des Strafverfahrens zu tragen.

Entscheidungsgründe:

Erwiesen ist durch die Angaben des Beschuldigten und das Impressum,dass Dr. Fritz Kaufmann der verantwortliche Schriftleiter derNummern 794 und 795 der in Wien erscheinenden Zeitung „DieStunde“ vom 30. und 31. Oktober 1925 war, in denen unterder Ueberschrift „Karl Kraus, der Kämpfer“ Aufsätze erschienensind, in denen gegen die Person des Privatanklägers Karl Kraus ehrenrührige Vorwürfe erhoben werden.

So wird in dem Artikel in der Nummer 794 der „Stunde zu-nächst die Behauptung aufgestellt, der Budapester RechtsanwaltDr. Miksa Rosenberg habe unter Hinweis auf eine Voll-macht des Wiener Schriftstellers Karl Kraus im Evidenzbüro desBudapester Strafgerichtes die Ausfolgung von Akten begehrt und hiebeigeäussert, er müsse die Akten haben „kost’s was kost’s“ –.

Aus dem folgenden Inhalt des inkriminierten Artikels, insbesondersder Stelle „Diese Meldung … beweist nicht nur, welchen Grad

von Zuverlässigkeit Herr Kraus den von ihm selbst so sieges-sicher reproduzierten Aktenziffern beimißt, sondern auch, wie dieKampfmethoden dieses Ethikers überhaupt beschaffen sind“ gehthervor, dass die Person des Privatanklägers Karl Kraus mitdem früher geschilderten Vorgehen des Rechtsanwaltes Dr. Rosen-berg in eine derart innige Beziehung gebracht wird, die, wennnicht auf eine Anregung, zumindest auf die Billigung des Vorgehensdes Dr. Rosenberg durch den Privatankläger hinweist.

Der Artikel in Nummer 795 wiederholt im Wesentlichen die gleichenBeschuldigungen gegen den Privatankläger.

Der Inhalt der erwähnten Artikel begründet daher objektiv das Ver-gehen der Ehrenbeleidigung nach § 488 STG., da dem Privatankläger zumindest der Vorwurf einer unehrenhaften, unkorrekten Handlungs-weise gemacht wird, begangen durch die Behauptung, Karl Kraus habe auf unrechtsmässige Weise versucht, sich in den Besitz von Aktenbetreffend Emmerich Bekessy zu setzen.

Mit Rücksicht auf die Verantwortung des Beschuldigten, dass erdie beiden inkriminierten Artikel nicht verfasst und vor der Druck-legung nicht gelesen habe, konnte der Beschuldigte lediglichwegen Uebertretung der Vernachlässigung der pflichtgemässenObsorge nach § 30 Pressgesetz belangt werden. Der Beschuldigte hat hinsichtlich der erwähnten Beschuldigungen den Wahrheitsbeweisangetreten.

Der Wahrheitsbeweis ist nicht erbracht worden; er ist vielmehr vollkommenmisslungen; denn es ist dem Beschuldigten nicht gelungen demGerichte den Nachweis zu erbringen, dass auf Veranlassung des KarlKraus, der Versuch unternommen wurde, Akten betreffend diePerson des damaligen Herausgebers der „Stunde“, EmmerichBekessy, zu erhalten. Der Beschuldigte hat sich zum Be-weise der Richtigkeit seiner Behauptung auf den Budapester Rechts-anwalt Dr. Miksa Rosenberg, dessen Substituten Dr. EmmerichFalus und dem Budapester Berichterstatter der „Stunde“,Geza Békeffy berufen, welche sämtlich über die vom Be-schuldigten behaupteten Umstände einvernommen wurden. Was zunächst

den Zeugen Dr. Rosenberg anbelangt, bezüglich dessenin dem inkriminierten Artikel vom 30. Oktober 1925 behauptetwurde, dass er es gewesen sei, der im Evidenzbüro des Buda-pester Strafgerichtes die Ausfolgung der Akten gegen EmmerichBekessy unter Hinweis auf eine Vollmacht des Privat-anklägers verlangt habe, so hat dieser Zeuge unter Eid angegeben,dass er zu der in Betracht kommenden Zeit überhaupt nicht inBudapest, sondern in Wien war, dass er in der betreffenden Angelegenheit nicht intervenierte, von niemanden hiezu eine Vollmacht be-sass und mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun hatte.Sein Substitut, Dr. Emmerich Falus habe, wie der Zeuge übertelephonischen Aufruf seiner Kanzlei erfuhr, über Ersucheneines Freundes unter Entsprechung der Anwaltsvorschriften vollkommenselbstständig ohne seine (des Zeugen) Kenntnis interveniert. –Der hierauf gleichfalls unter Eid vernommene ZeugeFalus hat zugegeben, bezüglich der gegen Emmerich Bekessy anhängigen Strafsachen interveniert zu haben, doch sei dies geschehenüber Ersuchen des Geza Békeffy, des Budapester Berichter-statters der „Stunde“, also jenes Blattes, dessen verant-wortlicher Schriftleiter der Beschuldigte ist.

Der Zeuge Falus hat weiters angegeben, Békeffy habeihn ersucht, Art und Stadium der gegen Bekessy anhängigenStrafsachen festzustellen. Davon, dass er von Karl Kraus irgendwie beauftragt war, derartige Erhebungen anzustellen, hat derZeuge kein Wort gesagt. Die Angaben dieses Zeugen werden auchdurch den Brief, den Dr. Rosenberg an den Privatanklage-vertreter sandte und dessen Abschrift (unter O.Z. 12) dem Aktebeiliegt, bekräftigt, in dem Dr. Rosenberg diesem mit-teilt, dass seitens seiner Partei, das ist des PrivatanklägersKarl Kraus, keinerlei Interventionen stattfand, wohl aberim Interesse der Gegenpartei. Keiner der genannten Zeugen hatangegeben, dass Karl Kraus versucht hat, sich auf irgendeineWeise in den Besitz von Akten betreffend Emmerich Bekessy zu setzen.

Zeuge Geza Békeffy hat bei der heutigen Vehandlungangegeben, einer seiner Kollegen, den er bereits seit Jahren kenne,habe ihm seinerzeit telephonisch mitgeteilt, dass er zugegen war,wie Dr. Emmerich Falus im Evidenzbüro des Budapester Straf-gerichtes eine Liste mit Aktenzahlen vorwies und sagte, er brauchediese Akten für Karl Kraus „koste es was es wolle“.

Ganz abgesehen von den Widersprüchen zwischen dieser heutigenAussage und der, die der Zeuge Békeffy vor dem königlichenStrafgericht in Budapest ablegte sowie dem Widerspruch zu derAussage des Zeugen Falus, sind die beiden Aussagen desBékeffy dem Gerichte nicht von Bedeutung. Der Zeuge weigert sich den Namen seines Gewährmannes, der bei dem Vorfallim Evidenzbüro des königlichen Strafgerichtes zugegen gewesensein will, dem Gerichte bekanntzugeben. Ohne diese Bekanntgabeerscheint aber die Richtigkeit der Angaben des Zeugen nicht über-prüfbar, welche Ueberprüfung mit Rücksicht auf die zahlreichenbei der heutigen Verhandlung dem Zeugen vorgehaltenen und vonihm keineswegs glaubhaft aufgeklärten Widersprüchen unbedingtnotwendig wäre. Durch die heutige Aussage Békeffy’s wäre daher nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsbeweis als er-bracht anzusehen. Im vorliegenden Falle hätte aber der volleWahrheitsbeweis erbracht werden [müssen], um den Beschuldigten frei-zusprechen. Es war somit wegen nicht erbrachten Wahrheitsbeweisesmit einem Schuldspruche vorzugehen. Mit Rücksicht auf die Bestimmungdes § 265 STPO., die durch § 5 Pressgesetz nicht aufgehoben wurde(:Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Os IV 114/23 vom 16.April 1923:) konnte über den Beschuldigten, da derselbe mit hg.Urteilen U I 286/25 vom 27. April 1926 und U I 244/26 vom 28.Oktober 1926 wegen § 30 Pressgesetz zu 80.– S und zu 30.– S ver-urteilt wurde, mithin die nach § 30 Pressgesetz zur Zeit der Ver-

übung dieses Deliktes zulässige Höchststrafe von 90.– S schon überschritt-ten ist, keine weitere Strafe verhängt werden.

Gemäss § 43 Abs. 1 Pressgesetz war über Antrag des Privatanklägers der Beschuldigte zur Veröffentlichung des Urteiles in der ZeitungDie Stunde“ zu verpflichten. Da der Privatanklagevertre-ter glaubhaft gemacht hat, dass der Privatankläger mit Rücksichtdarauf, dass er in Budapest als Schriftsteller sehr bekannt istund in dieser Stadt ebenfalls viel über die gegenständliche Affairegesprochen wurde, berechtigten Grund hat, dass das Urteil auch inder in Budapest erscheinenden Zeitung „Pester Lloydveröffentlicht werde, wurde gemäss § 43 Abs. 2 Pressgesetz dieVeröffentlichung des Urteiles auch in dieser Zeitung verfügt.Gemäss § 41 Pressgesetz war über Antrag des Privatanklagevertreters der Verfall der Nummern 794 und 795 der „Stunde vom30. und 31. Oktober 1925 auszusprechen.

Der Ausspruch über die Kosten ist im § 389 STPO. begründet.

Wien, am 2. Dezember 1926Dr. Christoph Höflmayr Kahlert

KrausStunde (Dr. Kaufmann).24. Jan. 1927