27.10 Beschwerde gegen den Beschluss vom 4. Juli 1927

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 18. Juli 1927
Stempel: Strafbezirksgericht I
Seite von 6

U XII 1761/26

An dasStrafbezirksgericht I,Wien.

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Hintere Zollamtsstrasse 3,durch:

Beschuldigter: Ernst Ely, Redakteur der „Stunde“ inWien IV. Kühnplatz 4,wegen § 45 Absatz 4 Urhebergesetz 1 fach

Beschwerde

gegen den Beschluss des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom4. Juli 1927 G.Z. U XII 1761/26/9.

Gegen den Beschluss des Strafbezirks-gerichtes I in Wien vom 4. Juli 1927 G.Z. U XII 1761/26/9, zu-gestellt am 14. Juli 1927, erhebe ich durch meinen bereits aus-gewiesenen Anwalt fristgerecht folgende

Beschwerde:

Das Verfahren gegen den Beschuldigten wegen Uebertretung nach § 45 Absatz 4 Urh.Ges. wurde gemäss§ 46 St.P.O. eingestellt mit der Begründung, dass die strafbareHandlung im Zeitpunkte der Klageerhebung respektive der erstenVerfolgungshandlung gegen den Beschuldigten bereits verjährtwar. Diese Ansicht entspricht jedoch nicht den gesetzlichen Be-stimmungen. Die strafbare Handlung wurde durch Veröffentlichungeines Briefes am 10. Dezember 1925 begangen. Zur Zeit der Be-gehung der strafbaren Handlung war die Strafe mit Geld vonK 30.000.– bis K 3,000.000.– zu bemessen und die Verjährungs-zeit betrug daher ein volles Jahr. Nun ist allerdings durch dieStrafgesetznovelle vom Jahre 1926 die Verjährungszeit für diesesDelikt seit Inkrafttreten der Novelle nicht mehr ein vollesJahr, sondern bloss sechs Monate, andererseits aber wurde auch,die Obergrenze des Strafsatzes für dieses Delikt auf S 2.500.–erhöht. Ferner bestimmt der Artikel 9 der Strafgesetzovelle 1926 ausdrücklich, dass der Artikel 1, der lediglich von den fürdie Beurteilung der strafbaren Handlung massgebenden Beträgenhandelt, unter gewissen Umständen auch auf strafbare HandlungAnwendung findet, die vor dem Beginn der Wirksamkeit der Strafgesetznovelle 1926 begangen worden sind. Dadurch ist ausge-schlossen dass die übrigen Artikel der Strafgesetznovelle 1926 auf strafbare Handlungen angewendet werden, die vor dem Beginn

der Wirksamkeit der Novelle begangen worden sind. Wenn dieEntscheidung vermeint, dass es nicht die Absicht des Gesetzessein kann, dass eine mit der Strafe des § 45 Urh.Ges. belegteHandlung, die am 30.VIII.1926 gesetzt worden ist, noch am29.VIII. des nächsten Jahres verfolgt werden kann, während eineam 1.IX. begangene Handlung bereits am 2.III. des nächstenJahres nicht mehr verfolgbar wäre, so ist dem entgegen zu haltendass, wenn der Gesetzgeber die entgegengesetzte Konsequenz ge-wollt hätte, nämlich dass alle strafbaren Handlungen, bei deneneine Veränderung der Verjährungsfrist eintritt, am 1.IX.1926verjähren und so der Ankläger im Verfolgungsrecht verkürzt wird,er sie ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen hätte. Der erst-richterliche Beschluss glaubt diese Konsequenz gemäss ArtikelIX des Kundmachungspatentes zum Strafgesetz ziehen zu müssen,übersieht aber, dass diese und sämtliche andere Uebergangsbe-stimmungen der Strafgesetze, woferne sie nicht noch grössereEinschränkungen machen, nicht davon sprechen, dass die Rückwir-kung dann einzutreten hat, wenn die neuen Bestimmungen denTäter günstiger stellen, sondern dass der Wortlaut dieser Ueber-gangsbestimmungen immer der ist, dass das neue Gesetz auf straf-bare Handlungen vor Inkrafttreten desselben nur insoferne An-wendung, finden, als dieselben durch das neue Strafgesetz keinerstrengeren Behandlung als nach dem früher bestandenen Rechte,unterliegen. Ich muss aber noch darauf hinweisen, dass geradebei den Strafgesetznovellen der letzten Zeit die Rückwirkunggrössere Einschränkungen erfahren hat. Nun wird aber durch dieStrafgesetznovelle 1926 die Strafe erhöht, daher die strafbareHandlung strenger behandelt dass einzelne Bestimmungen für denTäter günstiger sind, machen noch nicht die Behandlung des

zu einer weniger strengen. Denn in erster Linie wird dochfür die Beurteilung, ob ein Gesetz strenger istals das andere, die Höhe der Strafe heranzuziehen sein. Wieder Oberste Gerichtshof bereits in zwei Fällen entschieden hat,ist bei Prüfung der Frage, welches von zwei in Betracht kommendenGesetzen das strengere ist, die beiden Gesetze in ihrer Gänzezu beurteilen. Es erscheint mir ausgeschlossen auf eine vorInkrafttreten der Strafgesetznovelle begangene strafbare Hand-lung den neuen höheren Strafsatz anzuwenden, es ist aber dannauch ausgeschlossen, dass die Beurteilung des Täters bezüglichder Strafe nach dem alten, bezüglich der Verjährungszeit nachdem neuen Gesetz erfolgt.

Selbst wenn man aber die dem Erstrichter sounerhörte Konsequenz, dass eine am 30.VIII.1926 begangeneHandlung noch am 29.VIII. des nächsten Jahres verfolgt werdenkann, während eine am 1.IX. begangene Handlung bereits am 2.III.des nächsten Jahres nicht mehr verfolgbar wäre, ausschliessenwollte, kann man noch immer nicht zu dem vom Erstrichter eingenommenen Standpunkte kommen. Uebergangsbestimmungen bezüg-lich der Verjährungszeit finden sich in keinem Strafgesetze.Der Richter muss also die Lücke des Gesetzes eventuell durchGesetze oder Rechtsanalogie entscheiden. Hiezu bietet diedritte Teilnovelle zum bürgerlichen Gesetzbuch Anhaltspunkte.Damals wurde bestimmt, dass von einem gewissen Zeitpunkt andie kürzere Verjährungszeit Anwendung zu finden habe, dass aberdie Verjährung schon früher vollendet ist, wenn die nach demalten Gesetze bisher bestimmte Frist früher ablief, wenn manalso entgegen der ausdrücklichen Bestimmung der Strafgesetz-novelle 1926, dass nur der Artikel I rückwirkende Kraft hat,

zur Entscheidung käme, dass die kürzere Verjährungszeitauf strafbare Handlungen, die vor dem Inkrafttreten derStrafgesetznovelle begangen wurden, Anwendung finde, sokönnte dies nur in der Weise geschehen, dass vom Zeit-punkt des Inkrafttretens eine neue Berechnung einzutretenhat, wenn nicht der Rest der alten Verjährungszeit kürzerist. Allerdings wäre dies im gegenständlichen Falle ohneBedeutung, da nach dem alten Gesetze schon am 25. Dezember1926 die Verjährung eingetreten wäre. Da aber die ersteVerfolgungshandlung gegen den Beschuldigten schon am 4.XII.1926 vorgenommen wurde, ist die Verjährung nicht einge-treten.

Ich beantrage daher, der Beschwerde Folgezu geben und dem Strafbezirksgerichte I in Wien die Fort-setzung des Verfahrens gegen den Beschuldigten aufzutragen.

Karl Kraus.

KrausEly exp. am 15.7.1927Dr.S/Ma