27.11 Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen I Wien (G.Z. U XII 1761/26)

Materialitätstyp:

  • Durchschlag
Datum: 31. August 1927
Seite von 4

U XII 1761/26Bl XV 495/27

Beschluß.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien I als Berufungs-gericht hat in der heutigen nicht öffentlichen Sitzung be-schlossen:

Der Beschwerde des Privatanklägers Karl Kraus gegen den Beschluß des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom4. Juli 1927 U XII 1761/26/9 wird keine Folge gegeben.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluß wurde das Strafver-fahren gegen Ernst Ely wegen Uebertretung des § 45 Abs. 4des Urheberrechtsgesetzes wegen eingetretener Verjährungeingestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde ist unbegrün-det. Strafgesetze wirken grundsätzlich zurück. (Art. IX KMP.zum StG.). Nur, wenn das neue Strafgesetz strenger wäre alsdasjenige, welches zur Zeit der Tat in Geltung stand, oderwenn der Gesetzgeber ausdrücklich eine Ausnahme feststellt,findet die Rückwirkung nicht statt. Die Regel, daß das nichtstrengere neue Strafgesetz zurück wirkt, gilt auch für denBereich der Strafgesetznovelle vom Jahre 1926, soweit sienicht in Art. IX eine Ausnahme festsetzt. Diese Ausnahme be-zieht sich aber nur auf die Wertgrenzen bei solchen strafba-ren Handlungen, die nicht eine Summe Geldes ö.ä. zum Gegen-stande hatten. Es ist also nicht richtig, daß Art. IX StGN.1926 die Rückwirkung nur auf Art. I der Strafgesetznovelle anordne, im Gegenteile, Art. IX behandelt jene Fälle, in de-nen die Rückwirkung des Art. I nicht Platz greift, auch wenndas neue Gesetz milder wäre. Daraus kann aber nicht der Schlußabgeleitet werden, daß im übrigen die Regel des Art. IX. des

KMP. zum StG. nicht Platz zu greifen hätte. Wenn daher dieStrafgesetznovelle tatsächlich eine mildere Behandlung desAngeklagten als der frühere Rechtszustand zur Folge hat, dannist die mildere Strafgesetznovelle anzuwenden. Es ist rich-tig, daß die auf die Uebertretung des § 45 Z. 4 des Urheber-rechtsgesetzes angedrohte Strafe nach neuem Rechte höher ist,als die nach früherem Rechte bestimmte Strafe, allein Art. IXKMP. zum StG. spricht nicht von der strengeren Bestrafung, son-dern von der strengeren Behandlung. Es muß also als das milde-re Gesetz dasjenige angesehen werden, nach welchem der Täterim Einzelfalle eine günstigere Behandlung erfährt, die Auswir-kung auf den konkreten Fall ist zu prüfen, wenn jemand nachdem älteren Gesetze, sei es auch nur zu höchstens 300 S ver-urteilt werden kann, nach neuem Gesetze aber, mag dieses aucheine Höchststrafe von 2500 S aussprechen, freigesprochen wer-den muß, so ist zweifellos die Behandlung nach neuem Gesetzemilder und es muß daher dieses angewendet werden.

Da nun im vorliegenden Fall am Tage der Ueber-reichung des Strafantrages (16.XI.1926), an dem die Straf-gesetznovelle 1926 bereits in Wirksamkeit stand, die hier normierte 6 monatliche Verjährungsfrist bereits abgelaufen war,so wurde die Fortsetzung des Verfahrens mit Recht abgelehnt.Es hätte überhaupt gar nicht eingeleitet werden sollen, weildurch die Verjährung auch die Untersuchung erlischt (§ 531 StG.).

Die vom Beschwerdeführer herangezogene Analogie derdritten Teilnovelle zum bürgerlichen Gesetzbuche kann für dasStrafgesetz nicht angewendet werden. Im bürgerlichen Rechte han-delt es sich im Falle einer Gesetzesänderung darum, wohlerwor-bene Rechte Dritter nicht zu beeinträchtigen. Im Strafrechteist das neue Gesetz der Ausfluß einer geläuterten Rechtsan-schauung und es wäre eine ungerechtfertigte Härte, den Beschul-

digten zu strafen, obwohl es dem im neuen Gesetze zu Tage tre-tenden Rechtsempfinden nicht mehr entspricht.

Landesgericht für Strafsachen Wien I,Gerichtsabt. XV, am 31. August 1927.[Unterschrift]

KrausEly 30. Sep. 1927