31.10 Strafantrag Karl Kraus gegen Hans Liebstöckl wegen Ehrenkränkung (Bezirkspolizeikommisariat Alsergrund)

Schreiberhände:

  • schwarze Tinte
  • Oskar Samek, Bleistift

Materialitätstyp:

  • Durchschlag mit handschriftlichen Überarbeitungen
  • Durchschlag mit handschriftlichen Annotationen
Datum: 21. August 1925
Seite von 3

An dasPolizeikommissariat Alsergrund,Wien,

Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3,durch:

Beschuldigter: Dr. Hans Liebstöckl, Redakteurin Wien IX. Hahngasse 24,

Wegen Ehrenkränkung.

1 fach,1 Beilage,1 Vollmacht,

Strafantrag:

Ich habe mich in mehreren Aufsätzen mit demTreiben der „Stunde“ beschäftigt. In einem dieser Aufsätzeunter dem Titel ‚Entlarvt durch Bekessy ‘, erschienen imJuli 1925 in der Nummer 691–696 des 27. Jahres der Zeit-schrift ‚Die Fackel‘ Seite 112, sah ich mich genötigt,einen Ausspruch des Beschuldigten zu zitieren, dass „DieStunde‘ ja das reine Banditenblatt geworden sei“. Daraufhinsendete mir der Beschuldigte am 20. Juli 1925 verschlossenden in Abschrift beiliegenden Brief. Auf das Verlangen,sich zum öffentlichen Charakter dieses Schreibens zu be-kennen und dadurch die Möglichkeit einer gerichtlichenFeststellung der in Streit stehenden Behauptungen, ob derBeschuldigte die zitierte Aeusserung getan hat oder nicht,zu ermöglichen, hat der Beschuldigte geantwortet, dass erden Brief selbst geschrieben habe und dass dieser keineMitwisser habe, sodass der Tatbestand einer gerichtlich zubestrafenden Ehrenbeleidigung nicht vorliegt.

Wohl aber liegt der Tatbestand einer polizeilichzu bestrafenden Ehrenkränkung vor. In diesem Briefe wirftmir der Beschuldigte vor, dass ich durch meine „leichtfertigeund ihn herabsetzende Behauptung“ in ihm und bei seinenFreunden Unmut geweckt habe. Es ist klar, dass der Beschuldigte mit Recht darüber unmutig sein könnte, wenn ich ihm einenderartigen Ausspruch in den Mund gelegt hätte, den er niemalsgemacht hat. Ich bin aber durch Zeugen zu erweisen in derLage, dass der Beschuldigte die von ihm geleugneten Wortetatsächlich gebraucht hat. Umso unerhörter und schwerer istdaher die durch den Beschuldigten mir zugefügte Beleidigung,

dass ich seine Aeusserung „leichtfertig“ behauptet habe.Es ist gewiss, dass die Behauptung der Leichtfertigkeiteinem Schriftsteller gegenüber speziell in einem Presse-kampf, in welchem die genaueste Prüfung sämtlicher Tat-sachen sittliche Pflicht ist, zumindestens den Vorwurfeiner unehrenhaften Handlung be hauptet deutet , ja man könnte sogarsoweit gehen, darin den Vorwurf einer strafbaren Handlungzu erblicken, da die Unwahrheit der Aeusserungen des Be-schuldigten vorausgesetzt, darin in meiner Behauptung mit Un R echt eine Ehren-beleidigung des Beschuldigten erblickt werden könnte.

Ich fühle mich daher durch den vom Be-schuldigten mir gegenüber gemachten Vorwurf der Leicht-fertigkeit in meiner Ehre gekränkt und beantrage gegenden Beschuldigten eine Tagsatzung anzuberaumen und ihnstrengstens zu bestrafen.

Karl Kraus.

H.L Ich habe den inkriminierten Brief selbst aufgesetzt geschrieben und zwar in Unmut darüber, dass vom Kläger eine angebliche Äußerung von mir weiter gegebenwurde, die mich in der Öffentlichkeit herunter setzen musste und die ist genug und die ich und nirgends getan habe: Mir fehlt jede beleidigende Absicht. Ich kann jede inkriminierteÄußerung eine Beleidigung sich nicht erblickt, weil das Wort „leichtfertig“ im journalistischen Gebrauch, so viel wie mangelhaft fundiert bedeutet.Daher nicht die Schärfe wie im sonstigen Sprachgebrauch besitzt. Ich hätte ebenso gut sonderbar oder merkwürdig sagen können. In diesem Sinn habe ich das Wort gebraucht.

Kr. O. S. Herr Kraus hat der Einspruch des Beklagten über die Stunde von der VI. Mariahilfer 47 I St. Wohnhaften Bankdirektorsgattin Alma Pollak erfahren. Frau Pollak erscheint vollkommen glaubwürdig. Sie hat die Äußerung nicht allein gehört, sodass auch 3 andereZeugen, deren Namen und Adressen Frau P. bekannt geben kann, was sie Herr Kraus ausgesagt hat. FallIch möchte darauf hinweisen dass Herr D. L als Schriftsteller so sehr sprachgewandt ist, dass wenn er damals etwas leicht merkwürdig findet, esnicht leichtfertig bezeichnen würde.